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Europäisches Parlament für bessere Teilhabe am Arbeitsmarkt

Katrin Langensiepen
Bild von Katrin Langensiepen
Foto: Andi Weiland

Brüssel (kobinet) Das Europäisches Parlament fordert eine bessere Teilhabe für behinderte Menschen am Arbeitsmarkt. Diese Woche stellte die Europaabgeordnete Katrin Langensiepen im Arbeits- und Sozialausschuss des Europäischen Parlaments den ersten Entwurf eines neuen Berichts zur Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vor. Dieser kritisiert vor allem, dass die EU-Mitgliedstaaten den Verpflichtungen der UN-Behindertenrechtskonvention erkennbar nicht nachkommen.

Link zum Berichtsentwurf: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/EMPL-PR-657235_EN.pdf

„Bis heute wird Menschen mit Behinderungen in der EU immer noch systematisch das Recht auf Arbeit vorenthalten. Nur 50,6 % der Menschen mit Behinderungen in der EU haben eine Arbeit. Effektiv ist die Anzahl noch niedriger, da Personen, die in Einrichtungen leben, hier nicht mitberücksichtigt sind. Mit der Ratifizierung des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) vor knapp 10 Jahren hat sich die EU zu einem offenen, inklusiven und barrierefreien Arbeitsmarkt verpflichtet“, erklärte die Grüne Eurpaparlamentsabgeordnete Katrin Langensiepen.

Der erste Entwurf des Berichtes sei das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen Katrin Langensiepen und neun Nichtregierungsorganisationen für Menschen mit Behinderung, FachexpertInnen, dem Europäischen Netzwerk der Gleichbehandlungsstellen und mehreren Organisationen aus dem Bereich Minderheitenschutz. Ihre Position sei klar: „Eine stärkere EU-Gesetzgebung ist dringend erforderlich, um die Mitgliedstaaten zur Umsetzung ihrer Verpflichtungen zu zwingen. Die horizontale Antidiskriminierungsrichtlinie, die seit mehr als einem Jahrzehnt im Rat blockiert wird, muss endlich verabschiedet werden. Zudem muss eine starke EU-Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen für die Zeit nach 2020 auf den Weg gebracht werden“, berichtet Katrin Langensiepen.

Die politischen Forderung in dem Bericht sind u.a.:

Alternativen zu Behindertenwerkstätten:

In mehreren Mitgliedstaaten sind Menschen mit Behinderung überwiegend in speziellen Werkstätten beschäftigt. Dies ist ein segregiertes Umfeld, in dem sie oft keinen Arbeitnehmerstatus, keine Arbeitsrechte oder einen garantierten Mindestlohn haben. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die UN-BRK.

Die Mitgliedstaaten müssen die bestehende Werkstättenpraxis hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bei der Vermittlung von Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt prüfen. Zudem müssen sie sicherstellen, dass sie an rechtliche Rahmenbedingungen in den Bereichen soziale Sicherheit, Mindestlöhne und Nichtdiskriminierung gebunden sind.

EU-Leitlinien für angemessene Vorkehrungen (Veränderungen an einem Arbeitsplatz/-umfeld):

Einer der Gründe, warum Arbeitgeber oft zögern, Menschen mit Behinderung einzustellen, ist der Mangel an Informationen über angemessene Vorkehrungen sowie die Angst vor hohen Kosten und langen, komplizierten Verfahren für die Beantragung staatlicher Unterstützung. Klare EU-Richtlinien sollten die Prozesse transparenter und leichter verständlich machen.

Diversitätsquoten:

Quoten müssen in den Mitgliedstaaten festgelegt, aufrechterhalten und durchgesetzt werden. Bei Nichteinhaltung sollten Unternehmen nicht allein nur Bußgelder zahlen, sondern auch aktive Unterstützung bei der Einstellung von Menschen mit Behinderung (z.B. durch freiwillige Listen von Bewerbern) und bei der Ausarbeitung von Diversitätsplänen erhalten.

Universelles Design:

Alle neuen Gebäude und Produkte (einschließlich IT-Ausrüstung und Softwares) in der EU sollten systematisch nach der Logik des “universellen Designs” konzipiert werden. So können sie von einem Maximum an Menschen genutzt werden, unabhängig vom Grad Behinderung.

Berücksichtigung der Intersektionalität:

Menschen mit Behinderung sind keine homogene Masse. Je nach Geschlecht, Alter, Art der Behinderung, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung ist Diskriminierung vielschichtig. Die Mitgliedstaaten müssen dies berücksichtigen und gezielte Maßnahmen anbieten, um mehrfache und intersektionelle Benachteiligungen anzugehen.

Gegenseitigen Anerkennung des Behindertenstatus:

Bis heute unterscheiden sich die Definitionen des Begriffs „Behinderung“ und die damit verbundenen Ansprüche auf Sozialleistungen und Unterstützung in den Mitgliedstaaten. Das erschwert die Arbeit von Menschen mit Behinderung in einem anderen Mitgliedstaat. Damit auch sie ihr Recht auf Freizügigkeit in der EU vollständig nutzen können, brauchen wir eine einheitliche Definition.

Daten:

Gegenwärtig besteht ein erheblicher Mangel an Daten über Menschen mit Behinderung. Dies erschwert die Beurteilung der Situation in den Mitgliedstaaten. Die EU muss in die Erhebung vergleichbarer Daten zur Situation von Menschen mit Behinderung investieren. Erhebungen zu Beschäftigen sollten nach Geschlecht, Alter, Art der Behinderung, ethnische Herkunft und sexuelle Orientierung aufgeschlüsselt sein und auch die Menschen mit Behinderung einschließen, die bisher nicht in den Statistiken berücksichtigt wurden.

Katrin Langensiepen, stellvertretende Vorsitzende des Arbeits- und Sozialausschusses und der interfraktionellen Arbeitsgruppe Behinderung, kommentiert den Bericht wie folgt: „Als einzige weibliche Abgeordnete des Parlaments mit einer sichtbaren Behinderung weiß ich, wie diskriminierend die Arbeitssuche für Menschen mit Behinderungen sein kann. Nach der Schule sagte man mir, eine Arbeit in einer Einrichtung sei meine einzige Option. Heute arbeite ich als Europaabgeordnete. Ich hatte Glück. Nun setze ich mich für die vielen Menschen mit Behinderung ein, die diese Chance nicht haben. Zehn Jahre nach der Ratifizierung des UN-Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen scheitern die EU und ihre Mitgliedstaaten immer noch dramatisch daran, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Menschen mit Behinderung sind immer noch systematisch vom offenen Arbeitsmarkt ausgeschlossen. Die horizontale Antidiskriminierungsrichtlinie wird seit über zehn Jahren im Rat blockiert. Als ‚Hüterin der Menschenrechte‘ ist das für die EU ein absoluter Skandal.“

Um der kontinuierlichen Verletzung der Menschenrechte endlich entgegenzuwirken, brauche es eine starke, übergreifende EU-Gesetzgebung, die die Mitgliedstaaten dazu drängt, in allen Lebensbereichen tätig zu werden. Zusätzlich brauche es eine übergeordnete EU-Strategie zugunsten von Menschen mit Behinderungen, die den Schwerpunkt auf intersektionelle Diskriminierung legt, betonte Katrin Langensiepen.

„Wir müssen aufhören, Menschen mit Behinderungen in Werkstätten abzuschotten und die richtigen Voraussetzungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt schaffen. Mit universellem Design, Aufklärung, staatlicher Unterstützung für angemessene Vorkehrungen und Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen ist ‚Arbeit in Vielfalt‘ durchaus möglich und wünschenswert. Es hängt allein vom politischen Willen ab und der wird sich bei den anderen Fraktionen während der kommenden Verhandlungen zeigen”, betont die Europaparlamentsabgeordnete.

Für den Bericht eingebundene Organisationen:

Autism-Europe, Bundesarbeitsgemeinschaft Inklusionsfirmen, the European Roma Grassroots Organisations (ERGO) Network, European Network Against Racism (ENAR), Equinet, European Blind Union, European Disability Forum, European Network on Independent Living, European Union of the Deaf, ILGA-Europe, Inclusion Europe, International Federation for Spina Bifida and Hydrocephalus, Mental Health Europe.

Lesermeinungen

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Raimund Barkam
02.10.2020 12:48

In diesem Artikel geht es um die Teilhabe Behinderter am Leben Nichtbehinderter und inwieweit die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen sich auf dem ersten Arbeitsmarkt geändert haben.

Menschen mit Behinderungen, die als Beschäftigte in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) arbeiten, erhalten überwiegend unter 300 € bis gar teilweise unter 200 € Werkstattlohn als Entlohnung pro Monat.

Daher sind Wir WfbM-Beschäftigte, unabhängig von Leistungsfähigkeit und vorhandener und erlernter Fähigkeiten, zwingend auf Unterstützungszahlungen durch Ämter und Behörden in Form von Grundsicherung, oder EU-Rente, oder EM-Rente angewiesen, auch mit möglichem Anspruch auf Wohngeld.

Durch eine Zangengeburt (*1966) erlitt ich eine seitliche Rückenverbiegung.

Ich konnte zwar in der Schule am Sport- und Schwimmunterricht teilnehmen, hatte aber immer wieder mit Rücken- und Kniebeschwerden.

Ich habe einen Schwerbehindertenausweis über 50%.

Bei der Musterung stellte sich heraus, dass ich für die Bundeswehr dienstuntauglich war.

Ich darf dauerhaft nicht mehr als 5 kg heben und kann nicht lange stehen, knien oder bücken.

Ein Eignungstest beim Arbeitsamt ergab, dass aufgrund meiner Behinderung und damit verbundener körperlicher Einschränkungen ein Beruf im Handwerk nicht in Frage kam, wohl aber eine Arbeitstätigkeit im Büro-/Verwaltungsbereich.

Somit belegte ich von 1987 bis 1990 meine Ausbildung zum Bürokaufmann in einem Berufsbildungswerk.

Nach knapp 4jähriger Langzeitarbeitslosigkeit konnte ich ab dem 02.11.1994 anfangen, als kaufmännischer Angestellter im Bürobereich einer Baumaschinenhandlung als Unternehmen auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten.

Durch private und berufliche Erlebnisse erkrankte ich an Depressionen.

Allein weger einer depressiven Erkrankung kam ich in eine WfbM und weniger wegen meiner körperlichen Behinderung.

Hin und wieder las ich in Artikeln, dass einige Betreiber (Leiter?) der WfbM einen Mindestlohn in den WfbM ablehnen, mit der pauschalen Begründung, dass die Arbeitsleistung der WfbM-Beschäftigten dafür nicht ausreichen würde.

Wenn also „generell“ in allen WfbM dann Menschen mit Behinderungen arbeiten, da diese auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitsleistung erbringen würden (?) und sogar offensichtlich die Arbeitsleistung der WfbM-Beschäftigten in den WfbM so schwach sei, dass pauschal geäussert deshalb kein Mindestlohn in den WfbM gezahlt werden könnte, welchen Sinn hätte dann noch das berufliche „Regalsystem“ WfbM?

Sollen denn nicht bundesweit alle ca. 740 WfbM und deren ca 2600 Niederlassungen durch eine Tätigkeit von Menschen mit Behinderungen als WfbM-Beschäftigte, diese in den vielfältigsten Arbeitsbereichen wieder soweit vorbereiten, dass diese WfbM-Beschäftigten, soweit von diesen gewünscht, wieder die WfbM verlassen und in den ersten Arbeitsmarkt zurückkehren können?

Pro Jahr würden wohl eher weniger als 1% aller ca. 310.000 WfbM-Beschäftigte
dauerhaft (!) die WfbM verlassen und auf dem ersten Arbeitsmarkt bei einer Behörde oder Werkstatt wieder arbeiten können.

Inwieweit ist der erste, freie und soziale Arbeitsmarkt überhaupt noch sozial, wenn Schikanen (Bossing/Mobbing), hoher Zeit- und Leistungsdruck und Mehrarbeitsbelastungen durch Personalabbau selbst nichtbehinderten Arbeitnehmern mehr und mehr zu schaffen machen?

Vielen meiner Kolleginnen und Kollegen in meiner WfbM waren auch zuerst jahrelang auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig, bevor diese in eine WfbM kamen.

Einige kamen auch eher wegen einer depressiven Erkrankung in eine WfbM.

Wie menschlich geht es überhaupt noch auf dem ersten Arbeitsmarkt zu?

Sehen viele Arbeitgeber des ersten Arbeitsmarktes in den Arbeitnehmern nicht überwiegend Personalkostenfaktoren?

Wäre die Arbeitsmarktsituation auf dem ersten Arbeitsmarkt für die meisten Arbeitnehmer nicht besser, hätte es niemals Computer und Roboter gegeben.

Das deutsche Unternehmen und andere westliche/östliche Unternehmen auch in Schwellenländern wie z.B. Indien und Bangladesch Arbeitsplätze durch Firmengrünfungen oder Arbeitsaifträge in diesen Ländern schaffen ist sicherlich
gutund wichtig, nur, wie sind dann dort die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten dort?

Wenn Arbeitsaufträge oder Firmengründungen in Schwellenländern, jedoch verstärkt zu einem Arbeitsplatzabbau von steuer- und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen, zugunsten der Arbeitnehmer auf dem ersten Arbeitsmarkt in Deutschland umgekehrt zur Folge hat, dann hätte dieses wohl eher einen bitteren Beigeschmack.

Kann es denn nicht Firmengründungen oder Arbeitsauftragserteilungen vom ersten Arbeitsmarkt in Schwellenländern zu gerecjteren und faireren Arbeitsbedingungen geben, ohne im Gegenzug dafür Arbeitsplätze in Deutschland auf dem ersten Arbeitsmarkt abzubauen.

Seitdem ein damaliger Gruppenleiter einmal sagte, dass die WfbM um Arbeitsaufträge der deutschen Wirtschaft des ersten Arbeitsmarktes mit China konkurrieren würden, seitdem verbinde ich das Wort „WfbM“ automatisch mit einem Billiglohnmodell.

Wenn für Behörden und Werkstätten des ersten Arbeitsmarktes in den dazu passenden vielfältigsten Arbeitsbereichen der WfbM, preiswerter Arbeitsaufträge als in Konkurrenzwerkstätten des ersten Arbeitsmarktes bearbeitet werden und Einrichtungen (Behörden+Werkstätten) des ersten Arbeitsmarktes die lt. gesetzlicher Regelungen bei ungenügender Besetzung von Menschen
mit Behinderungen eigentlich Ausgleichsangaben zahlen müssten, diese Ausgleichsabgaben als „Fehlbelegungsabgaben“ aber dadurch reduzieren können, indem diese teilweise ihre Arbeitsaufträge an die WfbM weitergeben, welches ernste Interesse sollten dann diese Einrichtungen des ersten Arbeitsmarktes überhaupt noch haben, vermehrt Menschen mit Behinderungen im Rahmen einer Inklusion als Teilhabe Behinderter am Leben Nichtbehinderter einzustellen?

Raimund Barkam
Antwort auf  Raimund Barkam
02.10.2020 12:55

Anstelle von „Regalsystem“ meinte ich „Rehasystem“!

(Hier hat mir die automatische Rechtschreibkorrektur meines Handys mir einen Streich gespielt!

Der Absatz muss daher wie folgt lauten:

Wenn also „generell“ in allen WfbM dann Menschen mit Behinderungen arbeiten, da diese auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht genügend Arbeitsleistung erbringen würden (?) und sogar offensichtlich die Arbeitsleistung der WfbM-Beschäftigten in den WfbM so schwach sei, dass pauschal geäussert deshalb kein Mindestlohn in den WfbM gezahlt werden könnte, welchen Sinn hätte dann noch das berufliche „Rehasystem“ WfbM?