München (kobinet) Seit vielen Jahren erhält Claus Fussek eine Vielzahl von Anrufen, Briefen und Berichten von Menschen, die auf Mängel und massive Menschenrechtsverletzungen in der Pflege und Unterstützung behinderter und alter Menschen aufmerksam machen. Immer wieder prangern er und viele andere diese Menschenrechtsverletzungen an, ohne dass entscheidende strukturelle Veränderungen erfolgen. Im folgenden dokumentieren die kobinet-nachrichten einen anonym gehaltenen Bericht, den eine Angehörige an Claus Fussek geschickt hat. Er schreibt dazu: "Eine engagierte, verzweifelte Angehörige hat mich gebeten, ihren traurigen Erfahrungsbericht weiterzuleiten: 'Ich möchte, dass das Leiden meiner Mutter nicht umsonst war', schrieb sie."
Alternativlos – Das Los pflegebedürftiger Menschen
In den Jahren ihrer schweren Erkrankung durfte meine Mutter viele Pflegekräfte kennenlernen, die ihr einfühlsam und kompetent geholfen haben und mit deren Hilfe sie selbstbestimmt leben konnte. Dafür war sie unendlich dankbar und wir Angehörigen waren glücklich, diese professionelle Unterstützung zu bekommen. Zahlreiche Personen müsste ich erwähnen, denen ich dankerfüllt verbunden bin. Paula, Thomas und Dorothea sind nur wenige Namen von vielen Pflegekräften, die korrekt und liebevoll sowie mit aller Kraft ihren Beruf ausübten und unermüdlich versuchten, die Situation der Pflegebedürftigen zu verbessern.
Doch es gab auch andere Pflegekräfte und die Mängel ihrer Arbeit wären mit wenigen Handgriffen vermeidbar gewesen. Dabei stellen wir Angehörigen nicht in Abrede, dass für die Pflegenden z.B. durch Personalmangel eine Überlastung bestand. Es ist ein dunkler Punkt in der Pflege, dass ein alter Mensch zur Ware wird, um Gewinnmaximierung zu erreichen. Gleichwohl ist es nicht hinnehmbar, dass aus betriebswirtschaftlichen Gründen (u.a. Einsparung an Personal), aus mangelnder Qualifikation oder sogar aus Respektlosigkeit die Pflegebedürftigen leiden müssen, so dass sie nur noch dahinsiechen und auf den Tod warten. Wenn beispielsweise die Pflegedienstleitung einem hilflosen Menschen das Anreichen eines Getränkes als „Sonderwunsch“ ablehnt, dann ist das unmenschlich. Inhumane Pflege ist nicht zu tolerieren, denn sie ist gewissenlos.
Hilfe beim Trinken
Gegen 9.30 Uhr bin ich im Pflegeheim bei meiner an Exsikkose leidenden Mutter. Auf dem Flur höre ich sie bereits husten. Sie liegt im Bett und flüstert: „Durst“. Alleine kann sie – weil blind, dehydriert und bettlägerig – keines der überall im Zimmer verteilten Trinkgefäße ergreifen. Aus dem angereichten Becher trinkt sie mit großer Mühe und unter starken Schluckbeschwerden zwei Schlucke. Später sehe ich, dass meine Mutter seit dem Nachmittag des vorhergehenden Tages über 15 Stunden nichts zu trinken bekommen hatte. Und das, nachdem sie unmittelbar zuvor 9 Tage wegen einer Exsikkose im Krankenhaus behandelt worden war. Vernachlässigende Pflege ist dilettantisch und skrupellos.
Hilfe beim Essen
Während ich nur wenige Minuten im Dienstzimmer war, hat eine Pflegefachkraft meine blinde, tief schlafende Mutter aus dem Schlaf gerissen und noch im Liegen zum Essen und Trinken gezwungen. Innerhalb kurzer Zeit wurden ihr Teile des matschigen Toastbrotes vom Frühstück und ca. 40 ml undefinierbare Flüssigkeit aus einem Becher mit sehr großer Tülle eingetrichtert. Meine Mutter verschluckte sich heftig. Bereits von weitem hörte ich sie röcheln. Laut rufend schritt ich ein, fuhr das Kopfteil des Bettes hoch und fragte: „Was ist denn hier los?“ Pflegekraft: „Irgendwie muss ich das ja anreichen. Ihre Mutter wird heute locker 2 Liter schaffen.“ Da meine Mutter blind war und dazu noch aus tiefem Schlaf gerissen wurde, konnte sie nicht sehen wer oder was auf sie zukam und was geschah. Seit diesem Vorfall war sie zunehmend verängstigt. Zwang in der Pflege ist brutal und zügellos.
Grundversorgende Maßnahmen
Meine Mutter musste zur Toilette. Die Enkelin, die gerade zu Besuch war, klingelte. Nach ca. 20 Minuten kam jemand und sagte „Ich komme gleich“. Nach weiteren 10 Minuten und wiederholtem Klingeln ging meine Tochter und suchte eine Pflegekraft. Zwei Pflegekräfte halfen meiner Mutter auf den Toilettenstuhl im Zimmer während meine Tochter auf dem Flur wartete. Dann holte man sie herein, damit sie auf ihre Großmutter (sitzend auf dem mit Stuhlgang gefüllten Toilettenstuhl) achtete. „Passen Sie auf, dass Ihre Oma nicht von dem Stuhl kippt. Vielleicht kommt ja noch was.“ Meine Mutter, die immer eine kultivierte Frau war, hat sich sehr geschämt, war aber zu kraftlos, um sich zu wehren. Und meine Tochter? Sie hatte Angst, dass ihre Großmutter stürzen und sich verletzen würde. Scham und Hilflosigkeit waren auf beiden Seiten. Pflege ohne Feingefühl ist beschämend und taktlos.
Körperpflege und -hygiene
Dehydriert und blind war meine Mutter auf Hilfe angewiesen. Sie morgens nicht zu versorgen, sondern im Bett liegen zu lassen, ungewaschen, ungekämmt, mit während der Nacht zugeklebten Augen, ohne Zahnreinigung (eigene Zähne waren noch vollständig vorhanden), ohne Wechseln der Wäsche und Kleidung, ohne Getränk, ohne Frühstück, nur mit einer Schutzhose und einem T-Shirt bekleidet, das ist erniedrigend. Stündlich zu rauchen anstatt zu pflegen ist gleichgültig und hemmungslos.
Medikamentenversorgung
Die kleinen Tablettenbecher wurden häufig auf den Tisch gestellt – immer wieder an anderer Stelle. Meine blinde Mutter sollte ihre lebenswichtigen Medikamente eigenhändig einnehmen. Fragwürdige Äußerung der Pflegefachkraft dazu: „Das ist Training.“ Dank der Hilfe und Umsicht des befreundeten Herrn S., ebenfalls Bewohner des Seniorenheimes, gelang die Medikamenteneinnahme reibungslos. An einigen Tagen erreichte mich sein Anruf, warum ich ihm die Änderung der Tablettengaben nicht mitgeteilt hätte? Es hatte jedoch keine Änderung gegeben. Bei meiner umgehenden Inaugenscheinnahme der Medikamente stellte ich mehrere Male fest, dass die Tabletten mit denen anderer Bewohner vertauscht oder nicht der Tagesdosierung entsprechend ausgeteilt waren. Nachlässigkeit in der Pflege ist körperverletzend und verantwortungslos.
„Eigen-Diagnosen“ der Pflegekräfte
Die im Krankenhaus gestellte und nachgewiesene Diagnose „Exsikkose“ wurde immer wieder von den Pflegekräften und der Pflegedienstleitung angezweifelt, anstatt umgehend eine Flüssigkeitsversorgung zu sichern. Stereotyp, desinteressiert und ohne angepasste Pflege wurde behauptet: „Ihre Mutter trinkt genug!“ Erfahrungen mit einer Exsikkose, ihren Symptomen und ihrer Behandlung, vor allem den sehr guten Behandlungserfolgen bei Flüssigkeitsgaben wurden unter Berufung auf falsche Eigen-Diagnosen ignoriert: „… ist alt, Parkinson, ihre Mutter baut ab, neurologisches Problem, Geschehen im Kopf …“, hieß es immer wieder und verhinderte dadurch eine adäquate Behandlung. Ignoranz in der Pflege ist anmaßend und kompetenzlos.
Das sind Beispiele für eine würdelose sowie nachlässige und körperverletzende Pflege. Je entkräfteter meine Mutter war, umso mehr fiel auf, dass es in diesem Seniorenheim an durchdachter Pflege und unterstützender Hilfe mangelte. Es war erschreckend, wie zahlreich auch ärztliche Verordnungen missachtet wurden. Hätte es nicht jeden Tag regelmäßig Hilfe durch Angehörige und Freunde gegeben, wäre alles noch schlimmer gewesen (was kaum vorstellbar ist).