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Landesbeauftragte gegen dieses Intensivpflegegesetz

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Foto: ht

München (kobinet) Mit einer gemeinsamen Erklärung wenden sich die Beauftragten der Länder für Menschen mit Behinderungen an die Abgeordneten des Deuitschen Bundestages. Dabei geht es um den geänderten Entwurf des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes aus dem Bundesgesundheitsministerium, das die Versorgung von Versicherten mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege regeln soll. Die Beauftragten fordern die Abgeordneten auf, dem Gesetzentwurf so nicht zuzustimmen.

Sie kritisieren, dass auch dieser Entwurf klar gegen die UN-Behindertenrechtskonvention verstößt, die in Artikel 19 festlegt, dass Menschen mit Behinderungen selbstverständlich ein Wunsch- und Wahlrecht des Wohn- und Aufenthaltsortes haben. Darüber hinaus bestimme Artikel 4 lit. d, dass „Handlungen oder Praktiken, die mit diesem Übereinkommen unvereinbar sind, zu unterlassen [sind].“ Alle Beauftragten der Länder für Menschen mit Behinderungen fordern daher die Abgeordneten dazu auf, dem Gesetzesentwurf in der derzeitigen Fassung nicht zuzustimmen und Änderungsanträge zu folgenden Punkten zu stellen:

Das verfassungsmäßig verbriefte Wunsch- und Wahlrecht des Wohnortes und der Wohnform darf nicht aufgrund des Fachkräftemangels ausgehebelt werden. Es müssen der Sicherstellungsauftrag der Krankenkassen und auch der Erstattungsanspruch gegenüber den Krankenkassen für selbstbeschafftes Personalgesetzlich verankert werden.

Holger Kiesel, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für die Belange von Menschen mit Behinderung und Sprecher der Konferenz der Beauftragten aus Bund und Länder für Menschen mit Behinderungen, fordert: „Das Bundesgesundheitsministerium muss sich so lange mit den Verbänden und dem Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen zusammensetzen, bis dieses Gesetz den Anforderungen und Bedürfnissen von uns Menschen mit Behinderung gerecht wird. Jeder und jede Abgeordnete, die diesem Entwurf zustimmen, stimmen für einen Gesetzesentwurf, der internationalem Recht widerspricht.“

Im folgenden dokumentieren wir die Erklärung der Landesbehindertenbeauftragten der Länder:

Entwurf des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes widerspricht dem Recht auf Selbstbestimmung und damit der UN-Behindertenrechtskonvention

Erklärung der Beauftragten der Länder für Menschen mit Behinderungen

Juni 2020

Wie auch die Verbändeanhörung vom 17. Juni 2020 und der Protest der Verbände zum Entwurf des Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPREG) gezeigt haben, widerspricht dieser immer noch klar der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK).

Die Beauftragten von Bund und Ländern für Menschen mit Behinderungen äußerten sich bereits im Dezember 2019 zu den die UN-BRK verletzenden Vorhaben im damaligen Referentenentwurf. Seitdem gab es bereits leichte, aber nicht ausreichende Modifizierungen im Entwurf. Allerdings werden auch weiterhin in der aktuellen Vorlage Handlungsvorhaben der staatlichen Behörden und öffentlichen Einrichtungen verzeichnet, die in Unvereinbarkeit zu gesetzlichen Vorgaben und Übereinkommen stehen.

Die Beauftragten der Länder für Menschen mit Behinderungen fordern deshalb dringend eine Nachbesserung der Regelung für die außerklinische Intensivpflege in § 37c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V-E). Art. 19 lit. a UN-BRK bestimmt, dass Menschen mit Behinderungen, wie jeder andere Mensch auch, das verfassungsmäßig verbriefte Recht haben, ihren Wohn- und Aufenthaltsort frei zu bestimmen. § 37c Absatz 2 SGB V-E steht diesem Wahlrecht fundamental entgegen. Wünschen der Versicherten, die sich auf den Ort der Leistung richten, ist nach dem aktuellen Entwurf nur dann zu entsprechen, wenn die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann. Ist dies nicht möglich, geht der Fachkräftemangel aufgrund der geplanten Regelung zu Lasten der Betroffenen und ihrer Angehörigen. Denn die Entscheidungshoheit über den Wohnort wird auf den Medizinischen Dienst bzw. auf die Krankenkassen verlagert. Er führt damit zu einer massiven Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes. Der Sicherstellungsauftrag für die pflegerische Versorgung liegt jedoch klar in der Zuständigkeit der Krankenkassen und nicht in der Verantwortung des Versicherten. Für die Ziele, Abrechnungsbetrug in der Pflege zu verhindern und die Qualität zu erhöhen, ist die Regelung in der vorliegenden Form in § 37c Abs. 2 SGB V-E nicht zielführend. Die Regelung muss dringend dahingehend überarbeitet werden, dass die Krankenkassen Abhilfe schaffen müssen, wenn ein Mangel in der Versorgung durch fehlendes Pflegepersonal festgestellt wird.

Dem Fachkräftemangel kann auch dadurch begegnet werden, dass den Versicherten die Kosten für selbst organisiertes Personal erstattet wird. Eine entsprechende Regelung findet sich bereits für die häusliche Krankenpflege in § 37 Abs. 4 SGB V und sollte auch zukünftig für die außerklinische Intensivpflege in § 37c SGB V-E gesetzlich verankert werden.

Aus der Corona-Pandemie sollten auch jetzt schon Lehren gezogen werden. Die Unterbringung in stationären Pflege- und Wohneinrichtungen birgt eine erhöhte Infektionsgefahr, die besonders für beatmete oder tracheotomierte Menschen lebensbedrohlich sein kann. Es wäre somit gerade in dieser Zeit ein falsches Signal, wenn durch die Regelung in § 37c SGB V-E intensivpflegebedürftige Menschen die Wohnform der stationären Einrichtung aufgezwungen würde.

Alle Beauftragten der Länder für Menschen mit Behinderungen fordern daher die Abgeordneten des Bundestages dazu auf, dem Gesetzesentwurf in der derzeitigen Fassung nicht zuzustimmen und Änderungsanträge zu folgenden Punkten zu stellen:

– Das verfassungsmäßig verbriefte Wunsch- und Wahlrecht des Wohnortes und der Wohnform darf nicht aufgrund des Fachkräftemangels ausgehebelt werden. Es müssen der Sicherstellungsauftrag der Krankenkassen und auch der 3 Erstattungsanspruch gegenüber den Krankenkassen für selbstbeschafftes Personal gesetzlich verankert werden.

Nur so kann das Recht auf Selbstbestimmung im Sinne der UN-BRK umgesetzt werden. Da es bei diesen gesetzgeberischen Änderungen um grundlegende Freiheitsrechte von Menschen mit Behinderungen geht, ist in besonderem Maße darauf zu achten, die Verbände der Menschen mit Behinderungen nach dem Grundsatz „Nichts über uns ohne uns“ konsequent einzubinden.