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Vor 39 Jahren: Krückenschläge gegen den Bundespräsidenten

Dr. Martin Theben
Dr. Martin Theben
Foto: privat

Berlin (kobinet) Am 18. Juni 1981, mitten im UNO-Jahr der Behinderten, erfolgte in Düsseldorf anlässlich der Eröffnung der REHA-Messe der Krückenschlag (genauer zwei leichte Schläge) gegen den Bundespräsidenten Karl Carstens. Franz Christoph wollte mit dieser Aktion deutlich machen, dass der Widerstand von Menschen mit Behinderungen auch dann nicht ernst genommen wird, wenn er sich gewaltsam artikuliert. Darüber berichtet Dr. Martin Theben heute für die kobinet-nachrichten.

Bericht von Dr. Martin Theben

Noch Stunden nach der Tat konnte sich Franz Christoph in der Kongresshalle frei bewegen und den anwesenden Journalisten seine Interpretation des Vorganges in die Blöcke diktieren. Die Szenen wurden in dem Film LIEBER ARM DRAN ALS ARM AB von Wolfram Deutschmann auf Zelluloid gebannt. In der während dieser Aktion verteilten Presseerklärung von Franz Christoph hieß es dazu u.a.: „Gewalt ist kein Heilmittel. Wir müssen aber das Gewaltdenken von einigen von uns offenlegen, verständlich machen, warum wir dazu getrieben werden. (…) Ich wollte provozieren, wollte in die moralische Verlogenheit reinbohren, bis die Blase platzt. (…) Am besten, so habe ich mir gedacht, sollte es der oberste Repräsentant des Staates und Sprüche klopfenden Krüppelfreund Carstens sein, mein Präsident. Vielleicht bringt er dafür mal ausnahmsweise kein Verständnis auf; er möge mir aber glauben, dass ich auf ihn persönlich nicht ärgerlicher bin, als auf andere Gönner. Es ist auch nicht der Neid, dass er ein besserer Wandersmann ist, als ich auf meinen Krücken. (…).“

Der letzte zitierte Satz in der Stellungnahme spielt auf die von Bundespräsident Carstens regelmäßig medienwirksam durchgeführten Wanderungen an, bei denen er mit der Bevölkerung in Kontakt kommen wollte. Gezeichnet war die Presseerklärung mit einer zynisch-satirischen Selbstbeschreibung, die Franz Christoph bzw. seine politische Sicht wahrscheinlich am treffendsten beschreibt: „Franz Christoph ein verbitterter, geltungssüchtiger, psyhatrieverdächtiger, krimineller und nicht zuletzt ungemein undankbarer Krüppel“. Der vollständige Wortlaut der sehr viel längeren Erklärung ist in der Ausgabe 2/81 der Krüppelzeitung abgedruckt. Die Krüppelzeitung erschien von Juni 1979 bis November 1985 und wurde zunächst von der Bremer Krüppelgruppe gegründet. Später schlossen sich Gruppen aus Hamburg und Berlin an. Zu den Herausgebern gehörten u.a. Horst Frehe, Swantje Köpsel und Udo Sierck.

Im April des Jahres 1983 erschien das von Franz Christoph verfasste Buch Krüppelschläge, in dem er ausführlich seine behindertenpolitischen Ansichten darlegte. In einem der Kapitel seines Buches beschreibt Franz Christoph seine Gefühlslage am Morgen des 18. Junis 1981. Es war der Tag der zwei gegen Bundespräsident Karl Carstens gerichteten Schläge auf der Reha 81 in Düsseldorf. Er wägt darin die möglichen Reaktionen ab und fürchtete am meisten die Psychatrisierung der offenbar geplanten Aktion. Bekanntermaßen kam es jedoch weder dazu, noch zu einem juristischen Nachspiel. Ein Hausverbot gegen ihn und seine Mitstreiter war alles gewesen, wozu sich der Rechtsstaat durchringen konnte. Ansonsten hatte Franz Christoph mit seiner Annahme, selbst gewaltsam geäußerter Widerstand Behinderter bliebe folgenlos, Recht behalten.

Ansonsten bekamen Behinderte und Nichtbehinderte in dem Buch ihr Fett weg. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel bezeichnete es in seiner Ausgabe vom 18. Juli 1983 als ein „angriffslustiges wie sensibles, vor allem aber selbstbewusstes Buch“. Auch andere überregionale Medien rezensierten das Buch überwiegend positiv. Anders hingegen der Hamburger Krüppelaktivist Gerlef Gleiss in der Krüppelzeitung 2/83. Auf vier engbeschriebenen Schreibmaschinenseiten setzte er sich sehr kritisch mit den Rundumschlägen Franz Christophs auseinander. Besonders dessen deutliche Kritik an der Krüppelbewegung und deren all zu großer Nähe zur von Nichtbehinderten getragenen Anti-Abtreibungs-, oder Friedensbewegung, nahm Gerlif Gleiss aufs Korn. Christoph, so hieß es in dem Artikel, würde Pappkameraden aufbauen. Es gäbe nach dem Resümee von Gleiss kein gemeinsames „Krüppelbewusstsein“, wie von Franz Christoph eingefordert, wohl aber Gemeinsamkeiten mit anderen sozialen Randgruppen, weshalb auch gemeinsam gegen soziale Ausgrenzung gekämpft werden müsse. Am Ende des Artikels nennt Gerlef Gleiss Franz Christoph einen ohnmächtigen Narren.

Franz Christoph, der am 2. Juli 1953 in Furth im Wald/Oberpfalz geboren wurde, fiel auch durch andere spektakuläre Aktionen auf. So beantragte er im Dezember 1979 aus Protest gegen die behindertenfeindliche Atmosphäre in Deutschland politisches Asyl in Holland. Als die Hamburger Wochenzeitschrift Die Zeit positiv über die Thesen des Bioethikers Peter Singer berichtete, kettete sich Franz Christoph vor dem Redaktionsgebäude an. Im Bundestagswahlkampf 1994 kandidierte er erfolglos für die damalige PDS. Franz Christoph veröffentlichte mehrere Bücher, einen autobiographischen Roman und zahllose Artikel. Er verstarb am 28. Dezember 1996 in Berlin.

Seine Krüppelschläge gegen das höchste Staatsoberhaupt der Bundesrepublik jähren sich heute zum 39igsten mal. Sie bleiben unvergessen!

Wer sich für die damalige Zeit der Behindertenbewegung und ihre weitere Entwicklung und Aktionen interessiert, findet im Archiv der Behindertenbewegung alte Ausgaben der Krüppelzeitung und anderer Publikationen und vieles mehr

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Beim derzeitigen Sommercamp gibt es übrigens eine Serie von drei bereits geplanten Veranstaltungen zur Behindertenbewegung. Dabei kommen die „Großeltern“, die „Eltern“ und die „jungen Wilden“ der Behindertenbewegung zu Wort.

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