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Spahn stoppen: Patient*innen nicht ins Heim zwingen

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Foto: omp

Berlin (kobinet) Im Vorfeld der heute Nachmittag stattfindenden Anhörung zum Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (GKV-IPReG) im Gesundheitsausschuss des Bundestags erklärt Corinna Rüffer, behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen: "Es wäre ignorant und fahrlässig das Gesetz so zu verabschieden, wie es vorliegt. Sie fordert, Jens Spahn zu stoppen, damit Patient*innen nicht ins Heim gezwungen werden. Auch der Deutsche Behindertenrat hat sich zur heutigen Anhörung zu Wort gemeldet.

„Seit Monaten laufen Menschen mit Behinderung und ihre Verbände Sturm gegen den Plan von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, das Wunsch- und Wahlrecht von Intensivpflege-Patient*innen auszuhebeln. Zukünftig soll der medizinische Dienst der Krankenkassen (MdK) darüber entscheiden können, ob Menschen, die beatmet werden müssen, im Zweifel gegen ihren Willen in stationäre Einrichtungen verlegt werden. Die Kassen aber sind nicht neutral in ihrer Beurteilung, da sie als Kostenträger ein Interesse an einer finanziell günstigeren Versorgung im Pflegeheim haben“, erklärte Corinna Rüffer.

Im Gesetzgebungsverfahren seien die Betroffenen nicht beteiligt worden, obwohl die Bundesregierung dazu auf Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention, die seit 2009 geltendes Recht in Deutschland ist, verpflichtet gewesen wäre. Und sie hätten in den vergangenen Wochen nicht einmal lautstark gegen die Gesetzespläne protestieren können, weil Corona sie in die häusliche Isolation gezwungen hat, betonte die Grünen-Abgeordnete des Bundestages.

„Der Gesundheitsminister handelt in kaum zu überbietender Ignoranz angesichts der Tatsache, dass pflegebedürftige Menschen in stationären Einrichtungen nicht etwa besser aufgehoben sind, sondern eben dort besonders hohen Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind. Das hat die Corona-Pandemie tragischerweise bewiesen: Die Hälfte aller Covid-19-Todesfälle betraf Menschen in Pflegeheimen, so eine aktuelle Studie der Universität Bremen. Dabei lebt nur knapp ein Prozent der Bevölkerung in solchen Einrichtungen. Auch Menschen, die Intensivpflege benötigen, haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden. Das IPReG darf dieses Menschenrecht nicht aushebeln“, erklärte Corinna Rüffer.

Der Deutsche Behindertenrat (DBR) hat im Vorfeld der heutigen Anhörung an die Abgeordneten appelliert, sich für dringend notwendige Änderungen einzusetzen. „Die Corona-Pandemie hat deutlich gezeigt, dass eine stationäre Versorgung in Pflege- und Wohneinrichtungen mit größeren Ansteckungsgefahren verbunden sein kann. Für beatmete Patienten ist das ein lebensgefährliches Risiko. Auch Menschen mit Intensivpflegebedarf haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben an dem Ort ihrer Wahl“, so Verena Bentele, diesjährige Sprecherratsvorsitzende des DBR und VdK-Präsidentin.

Der Deutsche Behindertenrat fordert, dass die medizinische und pflegerische Versorgung von den Krankenkassen an dem Ort sichergestellt sein muss, an dem die Betroffenen leben möchten. Das Wunsch und Wahlrecht der Betroffenen darf nicht durch einen Entscheidungsvorbehalt der Krankenkassen oder erhöhte finanzielle Belastungen für zu Hause Lebende ausgehebelt werden.

Die medizinische und pflegerische Versorgung müsse qualitativ sichergestellt sein, aber eine Überprüfung dürfe nicht zulasten der Betroffenen erfolgen mit der Konsequenz, dass sie nicht mehr zu Hause leben dürfen, sondern in eine stationäre Einrichtung geschickt werden. „Bei etwaigen Mängeln sollten die Krankenkassen verpflichtet werden, Abhilfe am Ort der Leistungserbringung zu schaffen und ihrem Sicherstellungsauftrag nachzukommen. Es dürfe kein Druck auf intensivpflegebedürftige Menschen ausgeübt werden, gegen ihren Willen in eine stationäre Einrichtung ziehen zu müssen, betonte Verena Bentele. „Auch die zeitliche Begrenzung der Zuzahlung auf maximal 28 Tage pro Jahr sowie die Kostenübernahme für häusliche Krankenpflege muss weiterhin auch für Menschen gelten, die in der eigenen Wohnung intensivpflegerisch versorgt werden.“

Der DBR hatte bereits im März mit einem offenen Brief an Ministerien und Abgeordnete auf den Nachbesserungsbedarf im Gesetzentwurf hingewiesen:
Offener Brief: Gesetzgebungsverfahren zum Intensivpflege und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG)