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Gedanken zum Coronavirus 2. Teil

Andreas Reigbert
Andreas Reigbert
Foto: Andreas Reigbert

Hamburg (kobinet) Bereits am 22. März 2020 hat Andreas Reigbert seine Gedanken zum Corona-Virus und was dies für behinderte Menschen bedeutet, in den kobinet-nachrichten veröffentlicht. Gut einen Monat später folgt nun die Fortsetzung dieser Gedanken mit vielen Informationen zur aktuellen Lage des Diplom-Politologen, der sich für Barrierefreiheit und die Gleichstellung behinderter Menschen stark macht.

Gedanken zum Coronavirus (SARS-Cov-2), Teil 2

von Andreas Reigbert, Diplom-Politologe

Die Lage

Bis zum 23.04.2020 wurden in Deutschland laut Johns-Hopkins-Universität 150.773 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet (= 0,18 Prozent der Bevölkerung) und 5.319 sind an der Lungenkrankheit Covid-19 verstorben (= 0,006 Prozent der Bevölkerung). Bezogen auf die Zahl aller positiv getesteten Personen betrug die Letalität (= Verhältnis der Todesfälle zur Anzahl der Erkrankten) 3,5 Prozent – dabei handelte es sich überwiegend um ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen. Diese werden als so genannte „Risikogruppe“ bezeichnet. Abgesehen davon, dass der Begriff „Risikogruppe“ falsch verstanden werden könnte und nicht mehr verwendet werden sollte, gehören Menschen mit Behinderung leider zu dieser besonders gefährdeten Gruppe. Dabei ist nicht klar, ob die Menschen tatsächlich an oder „nur“ mit Covid-19 verstarben. Nach Aussagen des Rechtsmediziners Professor Püschel, der in Hamburg alle mutmaßlich an Covid-19 Verstorbenen obduziert hat, ist in Hamburg niemand (nur) an Covid-19 verstorben. Alle hatten Vorerkrankungen und die meisten waren zwischen 75 und 80 Jahre alt (https://www.welt.de/regionales/hamburg/article207086675/Rechtsmediziner-Pueschel-In-Hamburg-ist-niemand-ohne-Vorerkrankung-an-Corona-gestorben.html).

Das ist aber allenfalls für jüngere Menschen ohne Vorerkrankungen beruhigend. Rund 21 Prozent der Bevölkerung oder 17,5 Millionen Menschen in Deutschland sind älter als 65 Jahre, weitere knapp 8 Millionen sind schwerbehindert. Auch wenn sich diese beiden Gruppen teilweise überschneiden: Damit gehören in Deutschland rund 25 Millionen Menschen bzw. fast ein Drittel der Bevölkerung zur so genannten „Risikogruppe“ der besonders gefährdeten Menschen.

Die Ursachen

Die Welt hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten schon zahlreiche andere Pandemien gesehen (HIV, SARS, MERS, Ebola, Zika, um nur einige zu nennen), auch wenn die nicht so gravierend waren wie die jetzige. Das neue Virus stammt, wie die meisten Erreger, die für Pandemien verantwortlich sind, aus dem Tierreich.

Aber nicht von ungefähr, sondern durch ungehinderte Naturzerstörung, grausamen Tierhandel sowie die intensiven Verkehrswege der Globalisierung (https://happy-planet.net/corona-ursachen/). Man nimmt an, dass das Virus auf einem Markt in der chinesischen 11-Millionen-Metropole Wuhan, auf dem mit wilden Tieren gehandelt wurde, von einem Tier auf einen Menschen übergesprungen ist. Dieses „Überspringen“ von Krankheitserregern von Tieren auf Menschen nennt man Zoonose. Die aktuelle Diskussion über das Coronavirus sollte als Anlass dienen, jetzt endlich den Wissenschaftlern Gehör zu schenken, die bereits seit den 2000er Jahren immer wieder in Studien warnen, dass der Wildtierhandel das größte Risiko bei der Verbreitung von Zoonosen darstellt (https://www.prowildlife.de/blog/coronaviren-und-der-tierhandel/). Selbst wenn sich der Verdacht bestätigen sollte, dass das Virus aus einem Hochsicherheitslabor bei Wuhan, dem Wuhan Institute of Virology, entwichen ist (https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/china-unter-verdacht-kam-das-virus-aus-dem-labor-von-wuhan-70067966.bild.html), so ist und bleibt es ein Virus, das ursprünglich aus dem Tierreich stammt.

Bereits in der Bundestags-Drucksache 17/12051 vom 03.01.2013 wurde das mögliche Risiko einer in Asien auftauchenden Zoonose und einer anschließenden Pandemie beschrieben und sehr genau erklärt, wie diese verlaufen könnte und welche Gegenmaßnahmen dann von der Bundesregierung zu ergreifen sind. Die Risikoanalyse wurde unter fachlicher Federführung des Robert Koch-Instituts (RKI) und Mitwirkung weiterer Bundesbehörden durchgeführt (https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/120/1712051.pdf?fbclid=IwAR3cGMFtZWXZdqkE5O_j%E2%80%93YFA4BoMWjo125CJc_40jUsKG9SWt315L8nTuY).

Sowohl die Wissenschaft wie auch die Bundesregierung haben also spätestens seit Anfang 2013, also seit sieben Jahren, von der Gefahr einer Pandemie gewusst. Sieben Jahre Zeit, um sich vorzubereiten, um die Krankenhäuser finanziell gut auszustatten, für ausreichend Betten auf Intensivstationen, Beatmungsgeräte, Schutzkleidung, Mund-/Nase-Schutzmasken und vor allem für ausreichend qualifiziertes Personal zu sorgen. Das wäre die Aufgabe der Bundesregierung (und jeder anderen Regierung auf der Welt) gewesen. Doch was ist stattdessen geschehen? Die öffentlichen Gesundheitssysteme wurden in vielen Staaten kaputt gespart.

Man geht davon aus, dass die hohen Zahlen der an oder mit Covid-19 verstorbenen Menschen in Italien, Spanien, Großbritannien und den USA unter anderem auch mit den Gesundheitssystemen, der unzureichenden personellen Ausstattung und den katastrophalen hygienischen Zuständen in den Krankenhäusern zusammenhängen.

Auch in Deutschland wurden seit Erscheinen der Bundestags-Drucksache 17/12051 vom 03.01.2013 zahlreiche kommunale und städtische Krankenhäuser geschlossen oder privatisiert, Betten abgebaut und 50.000 Pflegekräfte entlassen – die uns jetzt in der Krise fehlen. Auch wenn die Bundesregierung zurzeit sehr bemüht ist, Versäumtes nachzuholen und mit Hochdruck – in Zusammenarbeit mit der deutschen Industrie – an der Beschaffung und Herstellung von Beatmungsgeräten, Schutzkleidung, Mund-/Nase-Schutzmasken, etc. arbeitet – es besteht Anlass zur Sorge, dass das nicht ausreichen könnte. Es wurden deshalb umfangreiche Maßnahmen beschlossen, um die Zahl der gleichzeitigen neuen Infektionen zu verringern, damit die Krankenhäuser und das Gesundheitssystem nicht überlastet werden: das Herunterfahren der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens, Verbot von Großveranstaltungen, Ausgangsbeschränkungen, Schließung von Geschäften, Schulen, Kitas, Universitäten, Hotels, Restaurants, Museen, etc. Die Bundesregierung folgte damit den Empfehlungen der Virologen und Epidemiologen und der Bundestags-Drucksache 17/12051 vom 03.01.2013.

Unsere Gesundheit

Als Menschen mit Behinderungen sollten wir tunlichst vermeiden, uns mit dem Virus zu infizieren. Die Beachtung der Abstands- und Hygieneregeln ist selbstverständlich. Das Tragen von Mund-/Nase-Schutzmasken wird inzwischen auch von der Bundesregierung empfohlen und von allen Bundesländern vorgeschrieben – obwohl es anfangs hieß, das würde sowieso nichts nützen und obwohl es weiterhin gar nicht genügend Masken gibt für alle, die sie gerne tragen würden.

Wichtig sind jetzt vor allem die Stärkung des eigenen Immunsystems und der körpereigenen Abwehrkräfte, eine gesunde Lebensweise, gute Ernährung, viel Bewegung und Aufenthalt an frischer Luft, ausreichend Schlaf und die Vermeidung von Stress und Ängsten. Doch das Letztere wird in einer solchen Krisensituation erschwert. In den Medien ist die „Corona-Krise“ täglich das Hauptthema.

Die Dauerbeschallung der Bevölkerung mit Neuigkeiten über die Ausbreitung des Virus, die Zahlen der Verstorbenen und die Probleme der Wirtschaft verstärkt die ohnehin vorhandenen Ängste vieler Menschen. Doch Angst ist das Schlechteste, das wir unserem Immunsystem antun können. Es ist also zu empfehlen, sich etwas von der Dauerberieselung durch Nachrichtensendungen, „Extras“ und Talkshows zu distanzieren und stattdessen lieber etwas für das eigene Wohlergehen zu tun – Musik hören oder machen, lesen, spazieren gehen/-fahren/-rollen, Sport treiben, meditieren und vieles andere mehr ist sicherlich gesünder für Körper und Geist (Weitere Tipps hier: https://happy-planet.net/corona-gesund-bleiben/).

In einem Punkt haben wir Menschen mit Behinderungen jetzt ausnahmsweise vielleicht sogar einmal einen Vorteil gegenüber den so genannten Gesunden: In den vielen Jahren oder Jahrzehnten des Lebens mit Behinderung haben wir unschätzbar wertvolle Erfahrungen mit den Konzepten von Achtsamkeit, Empowerment und Resilienz sammeln können. Die meisten von uns sind es nicht erst seit drei oder vier Wochen gewohnt, zuhause isoliert zu sein und in ihrer Mobilität und „Freiheit“ behindert zu werden, sondern schon seit vielen Jahren oder sogar Jahrzehnten.

Unsere Rechte

Ein Punkt, der alle Bürgerinnen und Bürger betrifft, ob mit oder ohne Behinderung, ist die gewaltige Einschränkung der Grundrechte durch die staatlich angeordneten Maßnahmen. Diese Grundrechtseinschränkungen wurden ebenfalls schon in der Risikoanalyse der Bundestags-Drucksache 17/12051 vom 03.01.2013 erwähnt.

Die Diskussion über eine schrittweise „Lockerung“ der staatlich angeordneten Maßnahmen ist schon seit einiger Zeit in vollem Gang. Besonders die Vertreter der Wirtschaft drängeln schon seit geraumer Zeit auf eine „Rückkehr zur Normalität“ – auch wenn dies vermutlich zu mehr Neuinfektionen, einer Belastung des Gesundheitssystems und der Krankenhäuser und zu mehr Toten führen wird. Eine Überlegung, die in diesem Zusammenhang diskutiert wurde, bedeutet gleichzeitig eine Spaltung der Gesellschaft: Die jungen und gesunden Menschen, die nicht so einem hohen Erkrankungsrisiko unterliegen, sollen wieder arbeiten gehen und die Wirtschaft wieder in Schwung bringen.

Während die so genannte „Risikogruppe“, also die älteren und behinderten Menschen, gleichzeitig abgeschirmt und „geschützt“ werden sollen, indem man sie unter Dauer-Quarantäne stellt. Da in Deutschland 17,5 Millionen Menschen über 65 Jahre alt und fast 8 Millionen Menschen schwerbehindert sind, müsste man also rund 25 Millionen Bundesbürger oder 30 Prozent der Bevölkerung einsperren und vom öffentlichen Leben ausschließen. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt Hans-Christian Ströbele hat angekündigt, dass er sofort beim Bundesverfassungsgericht dagegen klagen würde (https://kobinet-nachrichten.org/2020/04/07/hans-christian-stroebele-gegen-separierung-aelterer-und-chronisch-kranker/). Was ist zum Beispiel mit der jungen Mutter mit chronischem Asthma, die zur so genannten „Risikogruppe“ gehört und deren kleine Tochter jetzt wieder in die Kita gehen soll? Will man die Familien auseinander reißen?

Am 25. März 2020 veröffentlichte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) so genannte „Klinisch-ethische Empfehlungen“ zu „Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie“. Dagegen hatten eine Reihe von Aktivisten und Verbänden auf das Schärfste protestiert. Am 17. April 2020 hat die DIVI nun eine zweite, nur geringfügig überarbeitete Version der Empfehlungen veröffentlicht (https://www.divi.de/empfehlungen/publikationen/covid-19/1549-entscheidungen-ueber-die-zuteilung-intensivmedizinischer-ressourcen-im-kontext-der-covid-19-pandemie-klinisch-ethische-empfehlungen/file; die jeweils aktuelle Fassung ist unter www.divi.de zu finden). Darin heißt es jetzt: „Nach aktuellem Stand der Erkenntnisse zur COVID-19-Pandemie erscheint es möglich, dass auch in Deutschland trotz optimaler Nutzung der erhöhten Kapazitäten die intensivmedizinischen Ressourcen nicht mehr für alle Patienten ausreichen, die ihrer bedürften.“ Und weiter: „Wenn die Ressourcen nicht ausreichen – weder im eigenen Haus noch regional oder überregional –, muss unausweichlich entschieden werden, welche intensivpflichtigen Patienten intensivmedizinisch behandelt und welche nicht (oder nicht mehr) intensivmedizinisch behandelt werden sollen. … In diesem Fall muss analog der Triage in der Katastrophenmedizin über die Verteilung der begrenzt verfügbaren Ressourcen entschieden werden.“

Der Hauptkritikpunkt bleibt auch an der neuen Version dieser Empfehlungen bestehen: Die Priorisierung von Patienten soll sich am Kriterium der klinischen Erfolgsaussicht orientieren. Dabei werden – wenn nicht anders vermeidbar – diejenigen Patienten nicht intensivmedizinisch behandelt, bei denen nur eine sehr geringe Aussicht besteht zu überleben. Zwar heißt es einerseits: „…Eine Priorisierung ist aufgrund des Gleichheitsgebots … nicht zulässig aufgrund des kalendarischen Alters, aufgrund sozialer Merkmale oder aufgrund bestimmter Grunderkrankungen oder Behinderungen.“ Andererseits sind aber die „Indikatoren für eine schlechte Erfolgsaussicht“ intensivmedizinischer Maßnahmen geblieben. Dazu gehören „schwere Komorbiditäten, wenn diese in ihrer Schwere oder Kombination die Überlebenswahrscheinlichkeit bei einer Intensivtherapie erheblich verringern.“

Das bedeutet im Klartext, dass Menschen mit so genannten „schweren Komorbiditäten“, also weiteren schweren Erkrankungen, wie zum Beispiel fortgeschrittener Herzinsuffizienz, fortgeschrittenen Lungenerkrankungen, z.B. weit fortgeschrittener COPD oder beatmungspflichtiger chronischer respiratorischer Insuffizienz, fortgeschrittener Nierenerkrankung, fortgeschrittenem Leberversagen, weit fortgeschrittener neurologischer Erkrankung (wie MS), weit fortgeschrittener Krebserkrankung, schwerer und irreversibler Immunschwäche, „Multimorbidität“, oder Gebrechlichkeit (z.B. anhand der Clinical Frailty Scale) keine intensivmedizinische Behandlung (zum Beispiel Beatmung) erhalten würden, falls die Kapazitäten an Intensiv-Betten, Beatmungsgeräten oder ähnlichem nicht auseichen. Im Extremfall bedeutet das, dass Menschen mit diesen Erkrankungen nicht intensivmedizinisch behandelt und in der Folge wahrscheinlich sterben würden.

Was ich an diesen Empfehlungen sehr kritisiere, ist die schematische und pauschalisierende Vorgehensweise (mit Dokumentationsbogen zum ankreuzen!), nach der Menschen mit „Komorbiditäten“ von vornherein geringe Erfolgsaussichten bei der intensivmedizinischen Behandlung vorausgesagt werden. So kann diese Personengruppe im (hoffentlich nie eintretenden) Fall der Triage gleich am Anfang aussortiert werden. Das ist weder ethisch-moralisch noch rechtlich zulässig. Als Bürger und Patient möchte ich zu jedem Zeitpunkt auf eine individuelle und nicht-diskriminierende Betrachtungsweise meiner gesundheitlichen Situation durch die behandelnden Ärzte vertrauen können.

Die Empfehlungen der DIVI kann man auch als Hilferuf der Verfasser nach klaren und eindeutigen rechtlichen Vorgaben durch den Gesetzgeber betrachten. Diesen Wunsch der medizinischen Fachgesellschaften liest man zwischen den Zeilen in den aktuellen Empfehlungen der DIVI vom 17.4.2020: „Solche Entscheidungen müssen, da es zum aktuellen Zeitpunkt keine spezifischen rechtlichen Regelungen gibt, von den Akteuren vor Ort verantwortet werden.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht aber weiterhin keinerlei Notwendigkeit, gesetzlich zu regeln, welcher Patient im Falle von unzureichenden Behandlungskapazitäten zuerst medizinisch versorgt werden soll. Das geht aus einer Antwort des Gesundheitsministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen Bundestagsabgeordneten Corinna Rüffer hervor. Dabei sollte der Minister bedenken, dass rund 25 Millionen Menschen in Deutschland zur so genannten „Risikogruppe“ der besonders gefährdeten Menschen gehören – 25 Millionen Wählerinnen und Wähler, die bei der nächsten Bundestagswahl sicherlich keine Politiker oder Parteien mehr wählen werden, die bei diesem Thema jetzt „keinen Handlungsbedarf“ sehen.

Die Bundesregierung hat die wichtige Aufgabe der Rechtsfindung zunächst an den Deutschen Ethikrat delegiert, der am 7. April 2020, also zwei Wochen nach den ersten Empfehlungen der DIVI, in einer Ad-hoc-Empfehlung mit dem Titel “Solidarität und Verantwortung in der Corona-Krise” befunden hat, dass der Gesetzgeber hier keine Vorgaben machen und nicht über den Wert von Menschenleben entscheiden dürfe. “Der Staat darf menschliches Leben nicht bewerten, und deshalb auch nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation vorrangig zu retten ist.” Gleichzeitig betont der Ethikrat, dass unfaire Einflüsse bei der Entscheidung über die Auswahl der Patienten nach aller Möglichkeit ausgeschlossen werden sollten, etwa solche im Hinblick auf sozialen Status, Herkunft, Alter oder Behinderung. Der Ethikrat findet es andererseits aber akzeptabel, dass sich die Mediziner selbst Regeln geben, die “inhaltlich über das hinausgehen, was staatlicherseits zulässig ist. … Wer in einer solchen Lage eine Gewissensentscheidung trifft, die ethisch begründbar ist und transparenten – etwa von medizinischen Fachgesellschaften aufgestellten – Kriterien folgt, kann im Fall einer möglichen (straf-)rechtlichen Aufarbeitung des Geschehens mit einer entschuldigenden Nachsicht der Rechtsordnung rechnen.”

Der Ethikrat ist aber weder ethisch-moralisch noch juristisch dazu legitimiert, ärztlichen Berufsverbänden einen „Freifahrtschein“ auszustellen, der gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstößt. Und er darf den Medizinern auch nicht von vornherein Straffreiheit in Aussucht stellen. Da gilt in Deutschland immer noch die richterliche Unabhängigkeit gemäß Artikel 97 Absatz 1 Grundgesetz.

Bei allem Respekt vor den fachlichen Kompetenzen seiner Mitglieder: Der Ethikrat ist „nur“ ein Beratergremium, das aus mehr oder weniger willkürlich ausgesuchten Expertinnen und Experten verschiedener Fachrichtungen besteht. Gemäß § 5 Ethikratgesetz (EthRG) beruft der Präsident des Deutschen Bundestags die Mitglieder des Deutschen Ethikrates je zur Hälfte auf Vorschlag des Deutschen Bundestags und der Bundesregierung für die Dauer von vier Jahren. Die reguläre Amtsperiode des Deutschen Ethikrates endete am 10. April 2020. Der Ethikrat hat seine „Ad-hoc-Empfehlung“ also drei Tage vor Ablauf seiner Amtsperiode abgegeben. „Aufgrund der mit der Corona-Krise einhergehenden Einschränkungen und Mehrbelastungen des Politikbetriebs hat sich das Benennungs- und Berufungsverfahren der neuen Mitglieder leider verzögert. Zudem musste wegen der derzeitigen Beschränkungen des öffentlichen Lebens die ursprünglich für den 30. April 2020 geplante konstituierende Sitzung des neuen Rates abgesagt werden.“ (https://www.ethikrat.org/mitglieder/). Kein Wunder, dass man unter diesem Zeitdruck nicht tiefer in die Materie einsteigen konnte.

Gemäß § 2 Absatz 1 Nr. 1 EthRG gehören zu den Aufgaben des Ethikrats „… insbesondere: Information der Öffentlichkeit und Förderung der Diskussion in der Gesellschaft unter Einbeziehung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen.“ Eine Information der Öffentlichkeit und eine gesellschaftliche Diskussion über die Triage in der Intensivmedizin, insbesondere bei Covid-19, haben aber noch gar nicht stattgefunden und die Gruppe der Menschen mit Behinderung wurde bisher nicht einbezogen. Es wäre jetzt die Aufgabe des Ethikrates gemäß § 2 Absatz 1 Nr. 1 EthRG, die gesellschaftliche Diskussion hierüber in Deutschland unter Einbeziehung der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu fördern und zu unterstützen – nicht mehr und nicht weniger. Der Deutsche Ethikrat hat keine Gesetzgebungskompetenz.

Folgende politische Forderungen sollten jetzt unverzüglich von den Verbänden der Behinderten(selbst)hilfe und den großen Sozialverbänden erhoben werden:

1.) Ersatzlose Rücknahme der „Klinisch-ethischen Empfehlungen“ der DIVI und der anderen medizinischen Fachgesellschaften und Aufforderung an die Ärzteschaft vor Ort, den gesundheitlichen Zustand der Patientinnen und Patienten nach individuellen medizinischen, nicht-diskriminierenden Gesichtspunkten zu beurteilen anstatt nach vorgefertigten schematischen Checklisten.

2.) Aufforderung an den Deutschen Bundestag, klare und eindeutige rechtliche Grundlagen zu schaffen, analog zum Transplantationsgesetz.

3.) Aufforderung an die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag, für zukünftige Krisensituationen RECHTZEITIG vorzusorgen.

Unsere Zukunft

Das Virus wird nicht so schnell verschwinden. Geeignete Medikamente dagegen oder eine Schutzimpfung wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Daher werden wir vermutlich noch über viele Monate, vielleicht Jahre, die Abstands- und Hygieneregeln einhalten müssen. Besonders gefährdete Menschen mit Behinderungen oder Vorerkrankungen müssen weiterhin besonders geschützt werden. Das heißt aber nicht, dass sie vom Rest der (jüngeren und gesunden) Bevölkerung abgesondert und vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen werden dürfen.

Die „Klinisch-ethischen Empfehlungen“ der DIVI und die Diskussion über das Thema Triage in der Intensivmedizin bei Covid-19 zeigen jetzt sehr deutlich, welchen geringen „Wert“ alte und behinderte Menschen in dieser Gesellschaft „genießen“. Menschen mit Behinderung werden trotz UN-Behindertenrechtskonvention und trotz Diskriminierungsverbot in Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz seit Jahrzehnten diskriminiert. Wer geglaubt hatte, dass dies in Krisenzeiten anders sein würde, der sieht sich jetzt endgültig getäuscht. So makaber es klingt: Die Empfehlungen der DIVI sind im Grunde nur eine Fortsetzung der Diskriminierung mit anderen Mitteln.

Selbstverständlich muss es erste Priorität haben, dass genügend Betten auf den Intensivstationen, Beatmungsgeräte, Mund-/Nase-Schutzmasken, Schutzkleidung, qualifiziertes Personal, etc. vorhanden sind, damit es gar nicht erst zu Situationen kommt, in denen Ärzte gezwungen sind, nach Kriterien der Triage entscheiden zu müssen. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, dies sicherzustellen.

Zu den dringend erforderlichen Maßnahmen gehört daher die Herstellung lebenswichtiger Produkte wie Medikamente, Beatmungsgeräte, Mund-/Nase-Schutzmasken, Schutzkleidung, etc. im Inland.

Eine weitere wichtige Lehre aus der Corona-Krise ist, dass die Politik rechtzeitiger auf die Wissenschaft hören und deren Empfehlungen folgen sollte. Das gilt für die Themen Pandemien und Gesundheitsschutz genauso wie für die Themen Klimawandel und Artenschutz – insbesondere, weil diese Themen in einem engen Zusammenhang miteinander stehen. Zu den erforderlichen Maßnahmen gehören daher auch ein internationales Verbot des Handels mit Wildtieren sowie die Schließung der Wildtiermärkte in Afrika und Asien (siehe Ursachen der Pandemie).

Wie Bundesumweltministerin Svenja Schulze vor kurzem in einer Pressekonferenz betonte, ist der Schutz des Klimas und der Umwelt auch ein Schutz vor weiteren Pandemien und anderen Naturkatastrophen, die unter Umständen noch schlimmer ausfallen könnten als SARS-Cov-2 und Covid-19 (https://www.rnd.de/politik/svenja-schulze-umweltschutz-kann-pandemien-verhindern-NUJTHDCTGBGXHG2XWFFVC4GPK4.html, https://w3.windmesse.de/windenergie/pm/34146-bmu-svenja-schulze-naturschutz-seuchen-ririsko-umweltschutz-krankhet-covid-19-corona-infektionskrankheit, http://www.dtoday.de/startseite/nachrichten_artikel,-Schulze-sieht-Corona-Pandemie-als-Weckruf-fuer-mehr-Naturschutz-_arid,719054.html, https://web.de/magazine/politik/ministerin-schulze-naturschutz-risiko-seuchen-verringern-34574170).

Virologen, Epidemiologen Klimaforscher, Politologen und Wirtschaftswissenschaftler sollten eng zusammenarbeiten und ihre Regierungen gut beraten. Jetzt ist die Zeit der Kooperation aller Beteiligten gekommen, auch auf internationaler Ebene. Ein „Zurück zur Normalität“ wird es höchstens kurzfristig geben. Bis zur nächsten Pandemie oder Naturkatastrophe. Denn es ist davon auszugehen, dass Covid-19 nicht die letzte Pandemie war. Das sagen namhafte Wissenschaftler (Quellen siehe: https://happy-planet.net/corona-gesellschaftswandel/ und https://happy-planet.net/buch/) und das sagt auch die Bunderegierung in ihrer eigenen Bundestags-Drucksache 17/12051 vom 03.01.2013.

Link zum 1. Teil der Gedanken zum Corona-Virus von Andreas Reigbert vom 22. März 2020

Lesermeinungen

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Michael Günter
30.04.2020 19:02

Hallo Herr Drebes, gerne hätte ich ihnen direkt auf ihren Beitrag (27.4. 22.51 Uhr) geantwortet, aber die Software lässt wohl Kommentare zu Kommentaren nicht mehr zu (Aufgabe 1 an die Admins – Aufgabe 2 wäre einem hier mal wieder ein Fenster zu schreiben zu öffnen, welches mehr als 3 Zeilen umfasst! Danke).
Zu meiner Aussage FDP-lastig – sorry, selbst ihr Gegenargument, dass Masken ggf. länger halten, als das MDH hinkt. Sie wissen doch sehr genau, dass man aus rechtlichen Gründen ein produkt nicht mehr einsetzen darf, wenn das MHD abgelaufen ist, oder? Bei uns werden – jenseits von absolut unbedenklichen Lebensmittel (aber auch diese in Einrichtungen aufgrund der Vorgaben) jährlich für x-Milliarden Produkte weggeworfen, weil der Gesetzgeber dies nicht eingeschränkt hat (sondern eher an den Markt und seinen Umsatz glaubt) – das meine ich mit FDP-lastig und nochmals sorry, selbst die von mir sehr geschätzte Frau Künast hat diesem Irrsinn wenig entgegen gesetzt (die war mal Verbrauchschutzministerin)…
Bei sachgerechter Lagerung dürfte selbst das Gummiband mind. 30 Jahre halten (ohne allzusehr ins Detail gehen zu wollen, habe ich U-Hosen, wo nach 15 Jahren der Gummi noch intakt ist – und die werden benutzt und nicht gelagert…). Bisher habe ich aber noch kein Teil gesehen, wo das MHD länger als 5 Jahre war – eben wegen unsinniger gesetzlicher Vorgaben…
Med. Produkte wie Masken und Schutzkittel prüft ihnen keiner, das wäre 100mal so teuer wie neue kaufen – gerade unter Umweltgesichtspunkten bietet sich der Status quo gerade jetzt als gute Spielwiese für die Grünen an!
Nebenbei, med. Personal wird auch mit Altmaterial besser geschützt als ganz ohne, oder? ID
Was das Spenden nach Afrika anbetrifft: Klar, Masken sind Cent-Artikel, aber manche Gesundheitssysteme sind damit schon überfordert – sie sagen selbst, die Artikel wären meist noch 100% okay, haben aber dann selbst was gegen das Spenden von Dingen, die wir – aufgrund der gesetzl. Situation – die sie bitte ändern können! – seltsamer moralischer Bias, oder?

Hubertus Thomasius
Antwort auf  Michael Günter
30.04.2020 22:09

Hallo Herr Günter,
Adminaufgabe 1 erledigt. Ich antworte auf Ihren Beitrag. Unter Ihrem Beitrag fand ich ein „Antworten“. Sicher sehen Sie das auch.
Adminaufgabe 2, Eingabefenstergröße, da schauen wir einmal, was sich da machen lässt. Steht in der Todo-Liste.

svendrebes
Antwort auf  Michael Günter
08.05.2020 14:49

Hallo Herr Günter,
ein MHD für Schutzmasken und -kittel ist natürlich Unsinn. Aber stellen Sie sich mal den Aufschrei im Jahr 2080 vor, den es gäbe, wenn bei Ausbruch einer Pandemie festgestellt würde, dass 2/3 der 2021 angeschafften Schutzausrüstung unbrauchbar bis gefährlich geworden ist.
Zum Thema Spenden stehe ich auf dem Standpunkt, dass wir nur das spenden sollten, was wir auch grundsätzlich gut genug für uns selbst finden, unabhängig davon, ob es Menschen in Kidera oder Berlin betrifft.

Michael Günter
Antwort auf  svendrebes
08.05.2020 19:22

Hallo Herr Drebes,
da liegen wir halt diametral auseinander – was funktioniert sollte nicht durch den Schredder wandern, egal wie bei uns die Rechtslage aussieht – es soll ja auch einen nicht unwesentlichen Anteil von Menschen geben, die auch einen 2 Tage „abgelaufenen“ Joghurt wegverwerfen – es zwingt ja auch keiner einen afrikanischen Staat dazu mehrere Millionen Schutzmasken wegzuwerfen, nur weil wir hier der Verbrauchslobby folgen…

svendrebes
Antwort auf  Michael Günter
08.05.2020 20:31

Hallo Herr Günter,
ich glaube, wir liegen eher bei der Frage auseinander, wann und wie festgestellt werden sollte, ob das Zeug noch funktioniert. Ich halte auch wenig von einer Ubertragungs des MHD-Konzepts auf Bereiche, auf die es nicht passt. Ich weiß aber auch, dass alles irgendwann mal kaputt geht. Nur darum geht’s.

svendrebes
Antwort auf  Michael Günter
08.05.2020 14:55

Und noch was allgemeines:
Wie kommen Sie nur immer darauf, meine Kommentare als Äußerungen „der Grünen“ zu lesen? Das ist zu viel der Ehre. Sie schreiben ja wahrscheinlich auch nicht für die EKD.

Michael Günter
Antwort auf  svendrebes
08.05.2020 19:26

Hi Sven,
manchmal wirkt es halt so, als wären deine „Interessen“ ziemlich genau orientiert an der „Parteilinie“…
Mit der EKD hatte ich nie was zu tun – auch wenn manche immer noch glauben, dass EKD etwas mit Diakonie zu tun hat…und selbst diesen Teil habe ich mittlerweile „abgelegt“…

svendrebes
Antwort auf  Michael Günter
08.05.2020 20:46

Hallo Michael (ich nehme das Du an, bin beim Antworten nur seriell vorgegangen),
klar bin ich oft „auf Parteilinie“, wäre auch komisch, wenn es nicht so wäre. Daraus kann man aber weder schließen, dass ich zu 120% dem Parteiprogramm folge, noch, dass alles, was ich hier schreibe, den Positionen der Partei entspricht.

Reigbert
30.04.2020 13:10

Im übrigen hätte man gar keine „100.000 Beatmungsgeräte und einige Milliarden Masken, Schutzkittel und -Brillen kaufen und irgendwo lagern“ müssen. Es wäre schon sehr hilfreich gewesen, wenn man die Produktion von Schutzkleidung und Mund-Nase-Schutzmasken (und Medikamenten!) nicht in Billiglohnländer wie China und Indien ausgelagert, sondern im Inland belassen hätte. Dann hätte man bei der jetzt eingetretenen Pandemie die Prouktion dieser Güter schnell hochfahren können. Jetzt rächt sich die Globalisierung und es zeigt sich, wie fragil und vulnerabel die einzelnen Volkwirtschaften und viele Branchen und Betriebe sind. Deswegen hatte ich im Artikel geschrieben: „Selbstverständlich muss es erste Priorität haben, dass genügend Betten auf den Intensivstationen, Beatmungsgeräte, Mund-/Nase-Schutzmasken, Schutzkleidung, qualifiziertes Personal, etc. vorhanden sind, damit es gar nicht erst zu Situationen kommt, in denen Ärzte gezwungen sind, nach Kriterien der Triage entscheiden zu müssen. Es ist Aufgabe der Bundesregierung, dies sicherzustellen. Zu den dringend erforderlichen Maßnahmen gehört daher die Herstellung lebenswichtiger Produkte wie Medikamente, Beatmungsgeräte, Mund-/Nase-Schutzmasken, Schutzkleidung, etc. im Inland.“ Was die Zahl der Betten auf den Intensivstationen betrifft, steht Deutschland zum Glück wesentlich besser da als andere europäische Länder wie Italien, Spanien und Frankreich. Insoweit ziehe ich meine Aussage zurück, dass die Bundesregierung „überhaupt nichts“ getan hat. In Deutschland wurde das Gesundheitssystem WENIGER kaputt gespart als in anderen Staaten. Es wurden allerdings auch zahlreiche Stellen im Pflegebereich abgebaut, die in der Krise noch schmerzhafter fehlen als im Normalbetrieb. Da fehlten sie in vielen Klinien schon vor der Corona-Pandemie.

svendrebes
Antwort auf  Reigbert
08.05.2020 00:23

Auch hier muss ich teilweise widersprechen. Die Krankenhausplanung, also die Entscheidung darüber, wo ein Krankenhaus mit welchen Abteilungen und wie vielen Betten stehen soll, ist ausschließlich Aufgabe der Bundesländer. Für die Finanzierung bzw. Förderung der Investitionen in Krankenhäusern gilt dasselbe.
Der Bund regelt den Rahmen Finanzierung der laufenden Kosten, die die Krankenkassen und Versicherungen bezahlen. In allen drei Bereichen wurden Fehler gemacht.

Reigbert
29.04.2020 21:39

Hallo, Herr Dr. Drebes,
von einem promovierten Volkswirt hätte ich auch eine sachlich fundiertere, auf Quellen basierte Kritik erwartet.
Im Einzelnen:
1.) Es ist unbestritten, dass es auch heimische (Wild-)Tierarten gibt, die Überträger von Krankheiten sein können, wie z.B. Füchse (Tollwut), Zecken (Borreliose und FSME), Tauben, etc. Allerdings ist mir nicht bekannt, dass diese jemals Pandemien im Maßstab von SARS-Cov-2 ausgelöst hätten. In der Fachwelt herrscht weitgehende Einigkeit über die gefährliche Rolle, die die Wildtiermärkte bei der Entstehung von Pandemien spielen (können).
2.) In der Fachwelt besteht auch Einigkeit darüber, dass die Umweltzerstörung im Zusammenspiel mit der Globalisierung zum häufigeren Auftretetn von Zoonosen führt.
3.) Ich habe nicht behauptet, dass das Virus aus einem Labor stammt. Der Verdacht ist aber keinesfalls widerlegt. Von wem soll er Ihrer Meinung nach wann widerlegt worden sein? Haben Sie dafür seriöse Quellen? Mehrere Staaten, allen voran die USA, haben die chinesische Regierung um mehr Mithilfe und Transparenz bei der Aufklärung des Ursprungs von SARS-Cov-2 gebeten. Der Leiter des Wuhan Institute of Virology und der chinesische Botschafter in Deutschland haben erwartungsmäß alle Anschuldigungen weit von sich gewiesen.
4.) Ich habe auch nicht behauptet, dass „gute Laune und Entspanung“ gegen ein Virus helfen. Vielleicht helfen Sie aber dabei, mit der persönlichen Situation im Lockdown besser klar zu kommen.
5.) Die Risikoanalyse der Bundesregierung aus Bundestags-Drucksache 17/12051 vom 3.1.2013 beschreibt das Risiko des Auftretens einer Zoonose, die, ganz ähnlich wie SARS-1 die Atemwege betrifft, und anschließenden Pandemie (und nicht „eine durch Insekten übertragene Haut-, Blut- oder Nierenkrankheit oder etwas ganz anderes“) aus heutiger Sicht ja relativ genau, wie Sie selbst schreiben. Es ist auch richtig, dass die Bundestags-Drucksache 17/12051, Seite 56, die Eintrittswahrscheinlichkeit mit „Klasse C: bedingt wahrscheinlich“ angegeben hat: „Ein Ereignis, das statistisch in der Regel einmal in einem Zeitraum von 100 bis 1.000 Jahren eintritt.“ In diesem Punkt war die Risikoanalyse allerdings sehr naiv, wenn man sich das immer häufigere Auftreten von neuen Krankheiten und Pandemien in immer kürzeren Zeitabständen betrachtet: 1999 Nipah, 2002/2003 SARS-CoV (SARS = schweres akutes respiratorisches Syndrom), 2012, 2015 und 2018: Mers-CoV ( MERS = Middle East Respiratory Syndrome), 2019/2020: SARS-CoV-2, Verursacher des Krankheitszustandes Covid-19. In weiser Voraussicht hätte man tatsächlich einige Tausend Beatmungsgeräte und einige Milliarden Masken, Schutzkittel und -Brillen kaufen und lagern können.
6.) Ich weiß nicht, was Sie als Referent der Bundestagsfraktion von Bündnis 90 / Die Grünen dazu bewegt, die verfehlte Gesundheitspolitik der Bundesregierung zu verteidigen, die in dieser Hinsicht in den vergangenen Jahren jedenfalls ÜBERHAUPT NICHTS zur Vorsorge getan hat.
7.) In einem Punkt gebe ich Ihnen recht: „Hinterher ist man meistens klüger!“

svendrebes
Antwort auf  Reigbert
08.05.2020 00:05

Hallo Herr Reigbert,
ich komme erst heute dazu, Ihnen zu antworten.

zu 1 und 2.: Ja, es gibt deutliche Anhaltspunkte, dass die Umweltzerstörung der letzten Jahrzehnte zu mehr Zoonosen führt. Andererseits – vielleicht auch ergänzend dazu – haben wir Menschen heute deutlich seltener Kontakt zu Tieren als unsere Vorfahren. Die bisherigen Erkenntnisse zu SARS-CoV-2 deuten aber eher darauf hin, dass es diesmal eher weniger an der modernen Umweltzerstörung liegt. Tiermärkte wie der in Wuhan existieren laut Wikipedia in Südchina schon seit der Ming-Dynastie, also seit mindestens 400 Jahren.
zu 3: https://www.deutschlandfunk.de/falschmeldungen-zu-covid-19-der-boom-der-corona.724.de.html?dram:article_id=474810
Jede Suchmaschine liefert ihnen mit den Stichworten Corona und Verschwörungstheorie beliebig viele weitere Quellen. Das Donald Trump und seine Minister mal behauptet haben, das Virus stamme aus einem Labor in Wuhan, würde ich nicht als stützendes Argument nutzen.
zu 4.: Lesen Sie nochmal kritisch die ersten zwei Absätze des Abschnitts „Unsere Gesundheit“!
zu 5.: Ich wollte darauf hinaus, dass der Risiko-Bericht nur eine von hunderten möglichen Epidemien / Pandemien beschrieben hat, Es war aber Zufall, dass gerade diese Krankheit gerade jetzt aufgetreten ist, und es war genau so wahrscheinlich, dass sie in 300 oder 800 Jahren ausgebrochen wäre. Und das Auftreten anderer Krankheiten mit anderen Übertragungswegen, die andere Organe betrifft, war 2013 ähnlich wahrscheinlich.
zu 6.: Ich schreibe hier immer als Privatmensch.

svendrebes
27.04.2020 12:40

Und noch ein paar andere Gedanken:
– Krankheiten werden auf Wildtiermärkten (wahrscheinlich) nicht wahrscheinlicher von oder durch Tiere auf Menschen übertragen als in Parks und Wäldern (Borreliose, FSME, Tollwut…). Zu den größten Überträgern in Mitteleuropa gehören übrigens neben Zecken die ach so geliebten Tauben.
– Es kann sein, dass die Umweltzerstörung zum häufigeren Auftreten von Zoonosen führt, geben tut es sie aber, seit es Menschen gibt.
– Die Behauptung, das Virus stamme aus einem Labor, war schon bei Veröffentlichung des 1. Teils widerlegt.
– Gute Laune und Entspannung sind schön und gut, helfen aber wohl kaum direkt gegen ein Virus…

Allgemein hätte ich von einem Politologen mehr Fähigkeit zu Quellenkritik, Quellenreflexion und Faktenprüfung und von der Redaktion zumindest eine Plausibiltätsprüfung erwartet.

svendrebes
27.04.2020 12:15

Ein paar Gedanken zur Frage, ob Bund, Länder und Kommunen besser auf die Corona-Pandemie hätte vorbereitet sein können:
– Theoretisch ja, der verlinkte Risikobericht beschreibt die Situation aus heutiger Sicht ja relativ genau.

ABER:
– Schon in den ersten drei Zeilen wird das Eintreten einer derartigen Pandemie als wenig wahrscheinlich angenommen, so etwas trete einmal in „100 bis 1000 Jahren“auf. Geht man davon aus, dass die „Spanische Grippe“ 1918 die letzte vergleichbare Pandemie war, war die nächste bei Erscheinen der Analyse irgendwann zwischen damals und dem Jahr 2900 zu erwarten. Klar, man hätte 100.000 Beatmungsgeräte und einige Milliarden Masken, Schutzkittel und -Brillen kaufen und irgendwo lagern können. Ein Teil davon wäre dann aber heute schon kaputt oder unbrauchbar. Wie oft hätte man die unbenutzt entsorgen und ersetzen müssen, wenn die Pandemie erst im Jahr 2130 oder 2755 gekommen wäre? Wie viel Personal hätten wir einsetzen müssen, um die Reserve zu betreuen, und wo hätten diese Menschen gefehlt? Und was hätten diejenigen die heute mangelnde Vorsorge kritisieren wohl gesagt, wenn der Staat über Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg jährlich große Summen an ein paar Unternehmen für „unnütze“ weil ungenutzes Zeug zahlt?
– Wenn statt „Modi-SARS“ eine durch Insekten übertragene Haut-, Blut- oder Nierenkrankheit oder etwas ganz anderes gekommen wäre, hätte der ganze Vorrat an Mitteln gegen Atemwegserkrankungen wenig bis nichts genutzt.

Hinterher ist man meistens klüger!

Michael Günter
Antwort auf  svendrebes
27.04.2020 19:56

Hallo Herr Drebes,
auch mir ging einiges des Beitrags, ebenso wie beim 1. Teil zu quer…
Andererseits und da sind sie mir zu FDP-lastig, die immer auf Umsatz schielt, denken sie wirklich eine Maske hätte ein MDH? Da ist wirklich rein garnichts dran, was bei sachgerechter Lagerung – also um Umkarton und mit-ohne Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen, kaputt gehen könnte!
In Belgien wurden kurz vor Corinna Millionen Masken vernichtet, die man etwa im Kongo gut hätte gebrauchen können! Klar wird im Laufe der Jahrzehnte der Gummi von den Masken porös, aber die derzeitigen MDHs dienen doch nur der Verkaufsförderung…

svendrebes
Antwort auf  svendrebes
27.04.2020 22:51

Hallo Herr Günter,
was ist an Qualitätskontrolle und Sicherung der Funktionsfähigkeit FDP-lastig? Masken und Kittel haben zwar kein Mindesthaltbarkeitsdatum und müssen bestimmt nur in langen Abständen erneuert werden. Wenn der Gummi spröde wird, reißt er aber leichter und die Maske kann gerade dann abfallen, wenn sie im Einsatz ist. Möglicherweise erfüllen auch die anderen Teile irgendwann ihren Zweck nicht mehr (weiß ich nicht, schließe es aber nicht aus). Deshalb sollte man die Sachen regelmäßig stichprobenhaft prüfen. Im Gegensatz zu Bussen, Autos… sollten wir medizinisches Material, dass wir nicht mehr geeignet für uns finden, nicht nach Afrika oder sonstwohin „spenden“ oder gar verhökern.