Koblenz (kobinet) In einer Koblenzer Behinderteneinrichtung verstarben in der vergangenen und in dieser Woche mehrere Bewohner*innen, die sich mit Corona infizierten. Allen gemeinsam war eine sofortige hausärztliche Versorgung. Anlass genug für André Bender, als erster Vorsitzenden des Vereins "Der Kreis – Club Behinderter und ihrer Freunde“, und Sandra Niggemann, ihre Sorgen nun auch öffentlich zum Ausdruck zu bringen.
„Drei Menschen sind in einem Koblenzer Heim für Menschen mit Behinderungen gestorben. Auch in anderen Heimen in Rheinland-Pfalz kommt es zu gehäuften Infektionen mit dem Coronavirus. Viele Pflegekräfte sind an der Belastungsgrenze“, berichtete die in Koblenz erscheinende Rhein Zeitung am 6. April. Im Haus Eulenhorst im Koblenzer Stadtteil Metternich, wo Menschen mit Behinderungen bis ins hohe Alter betreut werden, seien drei am Coronavirus infizierte Bewohner gestorben. Dem Bericht zufolge gab es zuletzt im Haus Eulenhorst mit 38 Bewohnern sieben infizierte Bewohner und fünf infizierte Mitarbeiter. Im etwas kleineren Haus St. Franziskus, in dem ebenfalls Menschen mit Behinderungen wohnen, waren fünf Bewohner und vier Mitarbeiter infiziert. Erstmals wurde auch im Haus Oberwerth des Caritasverbands Koblenz ein Bewohner positiv getestet, heißt es in dem Bericht.
Link zum Beitrag der Rhein Zeitung
Wie geht es tatsächlich Menschen mit Behinderung, die in Einrichtungen leben und mit Corona infiziert sind? Dies fragen sich angesichts solcher Meldungen André Bender und Sandra Niggemann. „Über die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung erhalten wir keine spezifischen Anfragen zum Beispiel von Angehörigen, deren Verwandte in Einrichtungen leben. Schon gar nicht von den Betroffenen selbst, die sich in der Regel selbst nicht zu helfen wissen und oft auch nicht in der Lage sind, zum Telefon zu greifen, eine E-Mail zu schrieben und gezielt bei uns nachzufragen, wenn sie sich nicht mehr sicher fühlen“, resümiert Sandra Niggemann die letzten Anfragen innerhalb der Beratungsstelle.
Mit Sorge beobachten André Bender aus Koblenz die derzeitige Situation vor Ort und stellt sich Fragen, wo auch im Krisenmanagement zu Corona-Zeiten adäquate Antworten gefunden werden müssen. Welche geeigneten Maßnahmen können greifen? Wo ist der beste Ort der Unterbringung der Betroffenen, damit Bewohner*innen bestmöglich medizinisch außerhalb einer hausärztlichen Versorgung einer Einrichtung behandelt werden? Ist eine Einrichtung noch der richtige Ort, wo genügend Schutz geboten wird? Es handelt sich hier um Menschen mit schweren und mehrfachen Beeinträchtigungen bei gleichzeitig fortgeschrittenem Alter. Reicht eine hausärztliche Versorgung hier aus?
„Dies verlangt nicht primär nur für jeweils einzelne Corona-Infizierte nach individuellen Lösungen, sondern es müssen Konzepte her, die aus dem Krisenmanagement geboren werden“, fordert Sandra Niggemann. Denkbar als ein Lösungsweg und eine Option seien „Umbettungen“ in barrierefreien oder -armen und derzeit leerstehende Hotels, eine optimale und mit Schutzanzügen ausreichende Versorgung mit Pflegepersonal sowie das notwendige technische Equipment für den ernsten Notfall und letztlich die Sicherstellung der Hygiene. Wer zeigt sich für die betroffenen Menschen in Einrichtungen verantwortlich – die Heimaufsicht, das Landesamt für Soziales in Rheinland-Pfalz auf einer übergeordneten Ebene? Wer ist das Sprachrohr dieser Menschen, fragen sich André Bender und Sandra Niggemann, denn zu ihnen gelangen nur die Informationen, die aus der Presse erhältlich sind. Es braucht Akteure des Krisenmanagements, das hier Lösungen gefunden werden und nicht nur zugeschaut wird.
Anfragen bei der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung des Vereins gibt es zum Beispiel aber von Eltern, die individuelle Unterstützungsmöglichkeiten für ihre erwachsenen Kinder zum Beispiel außerhalb der Tagesstätte suchen, weil nun die Alltagsstrukturierung wegfällt und hier auch schnelle und individuelle Lösungen seitens der Kostenträger gefunden werden müssen und auch schon gefunden wurden. „Ich hoffe für die betroffenen Familien, dass diese in der für alle belastenden Zeit durchhalten und sich in Geduld üben. Auch hier kann es zu Gewaltsituationen aufgrund von Überforderung in familiären engen Beziehungen kommen. Direkte Anlaufstellen für diese Betroffenen und der offene tabulose Umgang mit dieser Thematik gibt es bis jetzt nicht“, so Sandra Niggemann.
André Bender hat zum ersten Mal auch persönlich für sich selbst die Angst in der Corona-Krise entdeckt: „Erhalte ich als Mensch mit einer neurologischen Erkrankung die bestmögliche Intensivmedizin und werde im Fall einer Infektion mit Corona bis zum möglichen Ende beatmet und entscheidet ein Arzt darüber, dass ich bei zu erwartenden Engpässen in den Intensivabteilungen erst gar nicht an Beatmungsgeräte angeschlossen werde?“
Bei der rheinland-pfälzischen Gesundheits- und Sozialministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler scheint die Ernsthaftigkeit der Problematik schon angekommen zu sein. In der gestern veröffentlichten Presseinformation zur Corona-Pandemie heißt es: „Hiermit rufe ich alle Pflegekräfte, Pflegehilfskräfte, und Menschen in anderen Gesundheitsfachberufen, die uns unterstützen können auf, sich bei der Landespflegekammer registrieren zu lassen. Sie können dabei helfen, pflegebedürftige Menschen in Einrichtungen oder über ambulante Dienste auch zu Hause zu pflegen und zu betreuen. Ihr Einsatz ist jetzt wichtig, damit pflegebedürftige Menschen diese schwierige Zeit möglichst unbeschadet überstehen können.“