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Erschreckende Nachrichten – beängstigende Aussichten

Ottmar Miles-Paul
Ottmar Miles-Paul moderiert
Foto: Rolf Barthel

Kassel (kobinet) Soldaten finden verlassene Tote in spanischen Altenheimen - Sterbehilfe statt Beatmung von über 80jährigen im Elsass - Prioritätenlisten, wer im Überlastungsfall behandelt wird, in Deutschland

Als ob wir täglich nicht schon genug schlechte Nachrichten in Sachen Corona-Krise hätten, erschrecken Berichte über von spanischen Soldaten entdeckte Tote in einem spanischen Altenheim und von Sterbehilfe statt Beatmung von über 80jährigen im Elsass inzwischen viele behinderte Menschen hierzulande. Was kommt da auf uns zu und wie werden die Prioritäten gesetzt? Dies fragen sich heute am elften Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland immer mehr behinderte und ältere Menschen. Damit beschäftigt sich auch kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul in seinem Kommentar für die kobinet-nachrichten.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

In Corona-Zeiten hat man sich inzwischen schon an so manche Schreckensnachrichten gewohnt und zum Teil machen sich sogar schon erste Abstumpungserscheinungen breit. Auch wenn das Virus Tag fürTag bestätigt durch die stetig steigende Zahl der Infizierten und Toten immer etwas näher an uns in Deutschland heranrückt, scheint vieles trotzdem noch verhältnismäßig weit weg zu sein. Die bedrückenden Nachrichten aus italienischen, spanischen und französischen Krankenhäusern oder die schnelle Verbreitung des Virus in Metropolen wie Madrid und New York City lassen uns jedoch erahnen, was da auf uns zukommen kann.

Als heute um 15:15 Uhr die Meldung über den Coronavirus-Liveticker von ntv verbreitet wurde, dass im Elsass Patienten über 80 nicht mehr beatmet werden, musste selbst ich, der seit dem Ausbruch des Virus im Dezember in China die Entwicklung sehr aufmerksam verfolgt, kräftig schlucken. In der Meldung von ntv heißt es u.a. über einen Bericht von Mitarbeitern des Deutschen Instituts für Katastrophenmedizin in Tübingen an die baden-württembergische Landesregierung. „Die deutschen Katastrophenmediziner, die am Montag in Straßburg vor Ort waren, berichten in dem Papier von einer ‚greifbaren Gefahr‘ durch das Virus. Unter der Annahme, dass sich die Entwicklung im Elsass bald in Deutschland einstellen werde, sei eine optimale Vorbereitung von ‚allerhöchster Dringlichkeit‘. Nadelöhr seien die zu beatmenden Patienten, heißt es in dem Papier. Seit dem Wochenende würden Patienten, die älter sind als 80 Jahre, an der Straßburger Klinik nicht mehr beatmet. Stattdessen erfolge ‚Sterbebegleitung mit Opiaten und Schlafmitteln‘. So werde auch verfahren mit Patienten in Pflegeheimen in dem Alter, die beatmet werden müssten. Sie sollen durch den Rettungsdienst eine ’schnelle Sterbebegleitung‘ erhalten.“

Bei solchen Meldungen erschrickt man zwar gewaltig, hofft aber schnell auf Einzelfälle. Ein Blick nach Italien bestätigt aber den Zwang der Ärzte, entscheiden zu müssen, wem man das Leben rettet. Das macht der Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22.3.2020 deutlich. Auch Berichte aus Spanien zeichnen ebenfalls ein erschreckendes Bild und zeigen, dass es keine Einzelfälle sind. Am 23. März hatte ntv bereits gemeldet: „Bei der Desinfektion von Altenheimen im Zuge der Corona-Krise haben Soldaten in Spanien in mehreren Residenzen tote Senioren entdeckt. Die Leichen seien offensichtlich länger unbemerkt geblieben, berichteten die Zeitung ‚El Mundo‘, der staatliche Fernsehsender RTVE und andere Medien unter Berufung auf die Militärische Nothilfeeinheit UME. Verkehrsminister José Luis Ábalos bestätigte anschließend auf einer Pressekonferenz in Madrid die Berichte.“ In dem Bericht wird betont, dass die Staatsanwaltschaft nun ermittle. Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles hatte vor den Berichten schon morgens im TV-Sender Tele5 gesagt, Soldaten hätten in Heimen Senioren gesehen, „die völlig verlassen, wenn nicht sogar tot auf ihren Betten“ lagen.

Auch wenn Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, die zu Hause leben, in dieser Krise ebenfalls häufig einem höheren Risiko ausgesetzt sind und vor allem in der Berichterstattung und Unterstützung oftmals hinter dem Fokus auf Einrichtungen zurückbleiben, sprechen Expert*innen mittlerweile von Alten- und Pflegeheimen als „tickende Zeitbomben“. Ein Würzburger Pflegeheim, indem sich mittlerweile eine Vielzahl von Bewohner*innen und Pfleger*innen infiziert haben und mittlerweile schon mehrere Tote zu vermelden sind, muss also ein erstes riesengroßes Warnzeichen auch für Deutschland sein. Und damit sind wir wieder in Deutschland, wo die Folgen der Viruserkrankungen zunehmend sichtbarer werden und voraussichtlich auch an Grenzen stoßen könnten. Die Frankurter Allgemeine Zeitung (FAZ) hat dazu ein Papier mit Klinisch-ethischen Empfehlungen für Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19 Pandemie zum Download veröffentlicht, das aufhorchen lässt und bei sogenannten Risikogruppen für berechtigte Ängste sorgt. In dem von den Fachgesellschaften am 25. März 2020 verabschiedeten Papier heißt es u.a.: „Wenn die Ressourcen nicht ausreichen, muss unausweichlich entschieden werden, welche intensivpflichtigen Patienten akut-/intensivmedizinisch behandelt und welche nicht (oder nicht mehr) akut-/intensivmedizinisch behandelt werden sollen. Dies bedeutet eine Einschränkung der sonst gebotenen patientenzentrierten Behandlungsentscheidungen, was enorme emotionale und moralische Herausforderungen für das Behandlungsteam darstellt.“

Bisherige theoretische Überlegungen über Prioritätensetzungen im Katastrophenfall könnten also auch bald hierzulande über Leben oder Tod einzelner Gruppen oder Menschen entscheiden. Deshalb war es auch genau richtig und wichtig, dass das Deutsche Institut für Menschenrechte in diesen Tagen mahnt, dass bei allen Maßnahmen und Aktivitäten in Zeiten der Corona-Krise die Menschenrechte im Mittelpunkt stehen müssen. Und auch die LIGA Selbstvertretung mahnt, dass behinderte Menschen in der Diskussion nicht vergessen werden – vor allem auch diejenigen, die zu Hause leben. Erfahrungen mit ehtischen Diskussionen in Sachen Behindertenpolitik mahnen uns hier besonders wachsam zu sein. Sei es der Umgang mit Bluttests zum Down-Syndrom oder mit der Sterbehilfe, Deutschland ist dabei menschenrechtlich nicht der best aufgestellteste Staat, obwohl die Geschichte uns eigentlich anderes lehren müsste. Seien wir also besonders in diesen schweren Zeit besonders wachsam!

Lesermeinungen

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2 Lesermeinungen
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Peter Hecker
30.03.2020 18:13

Gezielt 80-jährige nicht mehr zu beatmen und sterben zu lassen ist um ein Vielfaches verwerflicher, als die Auswahl der Toten, etwa durch Lockerung oder Aufheben der Maßnahmen, den Zufall/einer höheren Macht zu überlassen. Ein derartiges Vorgehen ist nicht mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde vereinbar!

Michael Günter
27.03.2020 19:54

Ach kommt,
ehrlich jetzt? Am 13.3. haben wir faktisch alle Schulen geschlossen, als jene Bereiche der sozialen Daseinsvorsorge, deren „Mitglieder“ faktisch am wenigsten von Cornona betroffen sind. Damals lag die Infektionquote bei 3,1 Fälle auf 100.000 Einwohner und jedem ist klar, dass dies eigentlich die Werte der Vorwoche abgebildet hat.
Am 23.3. haben sich die Bundesländer endlich mal dazu durchgerungen, die WfbMen, wo sich massenweise besonders vulnerable Personen aufhalten, weitgehend zu schliessen – da lagen wir bei 27 Fälle je 100.000 Einwohner….
Okay, jetzt sind also 320.000 WfbM-Beschäftigte zuhause, nur bei vielen bedeutet dies „im Heim“ – jeder kann sich ausmalen, was dies bei einer 24er-Wohneinheit bedeutet….
Ist ja nicht so, dass ich auf diesen Umstand seit fast 2 Wochen hinweise – die einzige Reaktion kam von Werkstattbeirat…
Bitte liebe Redaktion, keine solchermaßen blauäugigen Beiträge mehr – und ganz nebenbei Rechte, inkl. der Menschenrechte beschreiben das Verhältnis zwischen einer Person und dem Staat – nicht zwischen Menschen untereinander – mag krass klingen, aber ist so….und Nein, ich will gerade kein Mediziner sein!