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Jens Beeck: Umfassende Teilhabe ermöglichen

Jens Beeck
Jens Beeck
Foto: Jens Beeck

Berlin (kobinet) Derzeit bemüht sich Jens Beeck gemeinsam mit der FDP-Bundestagsfraktion u.a. mit einem Antrag im Deutschen Bundestag darum, dass Pressekonferenzen der Bundesregierung und der Bundesministerien eine Gebärdensprachdolmetschung erhalten. Was den teilhabepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion sonst noch so umtreibt und welche Initiativen er in der Behindertenpolitik wichtig findet, dazu führte kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul mit dem FDP-Politiker folgendes Interview.



kobinet-nachrichten: Sie sind der Teilhabepolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag. Welche Aufgaben verbinden sich mit dieser Funktion und welche Themen sind hier derzeit für Sie wichtig?

Jens Beeck: Als teilhabepolitischer Sprecher arbeite ich dafür, dass das Versprechen, umfassende Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, auch zur Lebenswirklichkeit wird. Das beinhaltet eine Vielzahl von Themen, denn Teilhabe bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Und jeder Mensch, ob mit oder ohne Handicap, ist anders – und das ist auch gut so. Derzeit bemühe ich mich beispielsweise gemeinsam mit der FDP-Fraktion, dass Pressekonferenzen von Bundesregierung und Bundesministerien eine Gebärdensprachdolmetschung erhalten. Andernfalls werden Gehörlose und Menschen mit Hörbehinderungen von der Live-Berichterstattung im TV ausgeschlossen. Unseren Antrag dazu haben wir am 10. März beschlossen.

Ein weiteres Thema, das mir wichtig ist, ist der barrierefreie ÖPNV. Hier wurde 2012 unter Beteiligung der Freien Demokraten die Verpflichtung zur umfassenden Barrierefreiheit im Personenbeförderungsgesetz ab Januar 2022 festgeschrieben. Viele Länder machen keinen Hehl draus, dass sie dieses Ziel nicht erreichen und auch die Bahn kauft offensichtlich nicht barrierefreie Züge ein. Die Freien Demokraten haben deshalb bereits letztes Jahr zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen einen entsprechenden Antrag eingebracht, der die Umsetzung dieses Ziels fordert.

kobinet-nachrichten: Die derzeit regierende Koalition aus CDU, SPD und CSU hat bereits ihre Halbzeitbilanz gezogen. Wie ist ihre Bilanz zur Arbeit der Regierungskoalition in Sachen Behindertenpolitik? Und die entscheidende Stufe des Bundesteilhabegesetzes ist mit der Reform der Eingliederungshilfe zum 1. Januar 2020 in Kraft getreten. Welche Baustellen sehen Sie in der Umsetzung der gesetzlichen Regelungen?

Jens Beeck: Die Bundesregierung hat sich vielen Dingen verschlossen. So hat sie sich beispielsweise bis zum Ende beim Wahlrecht für Menschen unter Vollbetreuung und Schuldunfähige gesperrt. Die FDP musste gemeinsam mit Grünen und Linken erst vor das Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe ziehen, um den verfassungswidrigen Wahlrechtsausschluss von der Europawahl im Mai 2019 zu verhindern. Im Bereich Barrierefreiheit tut sich, wie schon erwähnt, auch nichts.

Das Bundesteilhabegesetz wird wegen rechtlicher Unklarheiten, die entweder in letzter Sekunde oder gar nicht ausgeräumt werden, immer mehr zum Bundestelefonhörergesetz. So war bis kurz vor Jahreswechsel unklar, wie die Mahlzeiten in Einrichtungen der Behindertenhilfe umsatzsteuerlich behandelt werden. Das hat bei Betroffenen und Einrichtungen für viel Unsicherheit gesorgt. Gleiches gilt für die Haftung ehrenamtlicher Betreuer wie auch Angehöriger. Hier sind aus unserer Sicht entscheidende Fragen ungeklärt, obwohl die Reform des BTHG schon seit 1. Januar gilt. Ein letzter Punkt, der viele trifft, ist das Problem rund um Taschengeld und Barbetrag. Die neue, komplizierte Einzelfallberechnung führt dazu, dass aktuell viele Bewohner in Einrichtungen ohne Bargeld dastehen, trotz Anrecht darauf.

Es ist also definitiv noch Luft nach oben.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie auf das Thema Arbeit von Menschen mit Behinderungen blicken, welche Initiativen halten Sie hier für besonders wichtig?

Jens Beeck: Die Beteiligung von Schwerbehinderten am Arbeitsmarkt hat sich zwar verbessert, die Arbeitslosenquote ist mit 11,5 Prozent aber noch immer viel zu hoch. Viele fordern in diesem Zusammenhang, dass die Beschäftigungspflichtquote erhöht werden muss. Ich halte diesen Ansatz für falsch. Denn rund 160.000 schwerbehinderte Menschen sind derzeit arbeitslos, die sog. Unterbeschäftigung ist mit rund 220.000 noch höher. Trotzdem übersteigen schon heute, bei 5 Prozent, die nicht besetzten Pflichtarbeitsplätze beide Zahlen deutlich. Demgegenüber allerdings geben noch immer ein Viertel der beschäftigungspflichtigen Unternehmen, das sind über 40.000, keinem einzigen Menschen mit Behinderung eine Chance. Ich plädiere daher für die Einführung einer neuen Ausgleichsabgabe für die Unternehmen, die keinen einzigen Menschen mit Handicap beschäftigen.

Wichtig ist mir darüber hinaus auch die Arbeit der Inklusionsfirmen, die vielen Menschen mit Behinderungen einen Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt bieten. Ihnen droht aktuell eine steuerliche Benachteiligung, die wir vermeiden müssen.

kobinet-nachrichten: Demnächst wird sich der Deutsche Bundestag mit dem Gesetzentwurf zur Intensivpflege beatmeter Menschen befassen. Teilen Sie die Kritik von Betroffenen, dass damit das Leben in der eigenen Wohnung mit Beatmung erschwert wird, und welche Chancen sehen Sie, dass das Parlament – ähnlich wie beim Bundesteilhabegesetz – hier noch Änderungen im Sinne der Selbstbestimmung bewirken kann?

Jens Beeck: Beatmete Patienten müssen trotz des mehrfach geänderten Gesetzentwurfes noch immer fürchten, dass sie gegen ihren Willen ihren Wohnort nicht bestimmen können. Sie haben berechtigte Sorge, dass sie aus ihrem häuslichen Umfeld in eine stationäre Einrichtung umziehen müssen. Als Freie Demokraten werden wir uns im weiteren Gesetzgebungsverfahren für das Selbstbestimmungsrecht der Patienten stark machen.

kobinet-nachrichten: Denken Sie, dass in dieser Legislaturperiode für behinderte Menschen noch etwas erreicht werden kann und wie sind Ihre Möglichkeiten aus der Opposition heraus, etwas zu bewegen?

Jens Beeck: Der Erfolg in Karlsruhe beim Wahlrechtsausschluss von Menschen unter Vollbetreuung zeigt, dass die Opposition durchaus etwas erreichen kann. Außerdem können wir aus der Opposition heraus immer wieder Druck machen. Das war beispielsweise der Fall bei der Frage der umsatzsteuerlichen Bewertung von Mittagessen in Einrichtungen der Behindertenhilfe. Hier haben wir wiederholt auf eine Klarstellung gedrängt, die dann mit viel zu viel Verspätung auch kam. Als Freie Demokraten werden wir weiter Themen auf die Agenda setzen, die wichtig für Menschen mit Behinderungen sind. Ein Herzensanliegen ist mir hier die Anerkennung von Assistenzhunden als Teilhabeleistung im SGB IX.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche zur Behindertenpolitik frei hätten, welche wären dies?

Jens Beeck: Ein Bundesteilhabegesetz zum Wohle der Menschen und die Anerkennung von Assistenzhunden als Teilhabeleistung.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.

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Michael Günter
19.03.2020 19:08

Hmm,
naja, den Beitrag den Herr Beeck letzte Woche im Bundestag zum Thema BTHG gehalten hat, würde ich nicht unter „aus der Opposition heraus Druck machen“ werten, dafür war er zu dünn.
Auch diese Sache mit den Assistenzhunden hat er da schon vorgetragen, dabei ist der Sachverhalt in §33 SGB V geklärt – nur halt nicht für das Klientel der Privatversicherten, die sich irgendwie ja doch relativ häufig in der FDP wiederfinden…sorry, wenn die PKVen die Assistenzhunde nicht bezahlen wollen, dann ist es m.E. nicht das Problem des Staates hier eine neue Regelung einzuführen (sonst will die FDP doch auch immer nur weniger Staat, hier seltsamerweise Sonderrechte für „Sonderbehinderte“!)…
„Der Erfolg in Karlsruhe“ – ja mai, irgendwie war die FDP in den 39 Jahren seit dem Jahr der Behinderten 1981 21 Jahre in Regierungsverantwortung – da hat sie dieses Thema irgendwie nicht gejuckt… Auch ein wesentlicher Beitrag der FDP während ihrer letzten Regierungsbeteiligung (2009-2013) ist für mich nicht erkennbar, dabei schloß diese Regierungsbeteiligung unmittelbar an die Ratifikation der UN-BRK an; der Entwurf zum BTHG (es ist schlecht, aber immerhin etwas) erfolgte dann erst 2016 – was hat die FDP denn in ihren 4 Jahren Regierungsbeteiligung gemacht?
Und um es nochmals klarzustellen: Beamtete Menschen müssen nicht ins Wohnheim für behinderte Menschen (aka besondere Wohnform), sondern – aufgrund der Auflagen – in ein Pflegeheim (und dies sind zu 99% Altenpflegeheime)! Beamtmen und Absaugen sind pflegerische Fachleistungen, die die EGH aufgrund ihrer Personalstruktur nicht anbieten kann – auch Menschen mit Beamtmungsbedarf, die in den besonderen Wohnformen leben, werden so, sobald sie dies betrifft (etwa nach Schlaganfall) in die Pflege ausgegliedert.