Berlin (kobinet) "Was Recht ist, muss auch Gerechtigkeit erfahren, auch wenn es zweifellos mit sechs Jahren viel zu lange gedauert hat", so bringt Angela Kraft ihren sechsjährigen Kampf für die Mitnahme ihres Blindenführhundes auf den Punkt. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul führte mit ihr und Bert Bohla, der sie in diesem Kampf unterstützt hat, ein Interview, wie es zu dem vor kurzem verkündeten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aufgrund ihrer Klage kam. Das Bundesverfassungsgericht hatte Angela Kraft, die mit ihrer Hündin ein Wartezimmer einer Arztpraxis auf dem Weg zu ihrer Physiotherapie durchqueren musste, Recht gegeben und ihre Verfassungsbeschwerde positiv beschieden.
kobinet-nachrichten: Der 30. Januar diesen Jahres muss für Sie ein richtig guter Tag gewesen sein. Denn an diesem Tag hat das Bundesverfassungsgericht Ihrer Beschwerde gegen das Verbot des Mitführens eines Blindenführhunds recht gegeben hat. Wie lange kämpfen Sie in dieser Angelegenheit schon um Ihr Recht und wie kam es dazu, dass Sie überhaupt bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen mussten?
Angela Kraft: Ich kämpfe seit sechs Jahren um eine positive Entscheidung. Weder das Landgericht noch das Kammergericht in Berlin hat die Problematik richtig verstanden. In beiden Fällen waren die Richter weder bereit, sich mit dem Thema richtig auseinanderzusetzen, unsere Argumente zu würdigen, noch haben sie sich bemüht, sich bei Unkenntnis Informationen einzuholen. Es war nur konsequent, die Sache durchzustehen und bis zu einem Urteil vom Bundesverfassungsgericht durchzuhalten. Die Gerichte sind zwar alle überlastet, aber was Recht ist, muss auch Gerechtigkeit erfahren, auch wenn es zweifellos mit sechs Jahren viel zu lange gedauert hat.
kobinet-nachrichten: Wie belastend war für Sie dieser Rechtsstreit und wie geht es nun für Sie in dieser Sache weiter?
Angela Kraft: Beschämend, wie man immer wieder um sein Recht kämpfen muss, um als behinderter Mensch aktiv am Leben teilhaben zu können. Es fängt mit der Bewilligung des Blindenführhundes durch die Kassen an, erstreckt sich auf die Ausbildungsstätten ohne rechtliche Richtlinien und endet im täglichen Kampf im Leben. Mir ging es nicht gut, deshalb hätte ich ja dringend meine physiotherapeutische Behandlung benötigt. Es fühlt sich auch überhaupt nicht gut an, sogar durch unsere Gerichte auf eine solche Weise diskriminiert zu werden. Ich warte jetzt erst einmal auf die abschließende Entscheidung des Kammergerichts, nachdem das Verfassungsgericht die Angelegenheit zur Korrektur dorthin zurückverwiesen hat. Danach werde ich neue Termine für meine Physiotherapie vereinbaren und den Erfolg auskosten.
kobinet-nachrichten: Welche Unterstützung hatten Sie während dieser Zeit? Und haben Sie nach dieser auch für andere Nutzer*innen von Assistenzhunden richtunggsweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgericht so richtig gefeiert?
Angela Kraft: Unterstützt hat mich alleine Bert Bohla, der mit Rat und auch finanzieller Unterstützung durch den Verein für mich mitgekämpft hat. Das Urteil wird für alle Assistenzhundehalter hoffentlich zum Erfolg führen, damit die Mitnahme eines Assistenzhundes zur Normalität wird. Gefeiert habe ich nicht, das Leben mit Assistenzhund wird immer wieder an Grenzen stoßen, so lange Gesetze nicht entsprechend geändert werden. Aber die Ausgangsposition ist jetzt viel besser. Nicht jeder Mensch hat die Kraft und Unterstützung, sechs Jahre zu kämpfen. Ohne Herrn Bohla hätte ich irgendwann aufgegeben. Ihm meinen Dank dafür.
kobinet-nachrichten: Herr Bohla, Sie haben den Rechtsstreit mit verfolgt und Frau Kraft durch die Instanzen unterstützt. Wie schätzen Sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein?
Bert Bohla: Diese höchstrichterliche Entscheidung dürfte bahnbrechend richtungsweisenden Charakter haben, weitreichende Auswirkungen auf die Rechte behinderter Menschen in unserer Gesellschaft haben und diese Rechte ganz entscheidend stärken. In dieser Entscheidung haben die Karlsruher Verfassungsrichter den Stellenwert der Menschenrechte in unserem Rechtesystem eindrucksvoll verdeutlicht und klargestellt, dass im öffentlichen Alltag vor allem sonst so hochgehaltene Rechte wie zum Beispiel die berufliche Autonomie oder auch das Hausrecht deutlich hinter dem Recht auf gleichberechtigte, selbstbestimmte Teilhabe zurückzutreten haben, solange dem keine tatsächlich sachlich rechtfertigenden Gründe entgegenstehen. Dass hypothetische Allergien oder Phobien anderer Mitmenschen oder hygienische Aspekte dafür regelmäßig nicht ausreichen, hat diese Entscheidung nun endlich abschließend geklärt. Die Auswirkungen dieser Entscheidung wird aber längst nicht nur auf den Bereich der Assistenzhunde beschränkt bleiben, sondern sich auch auf andere Arten von Hilfsmitteln erstrecken, die mit Assistenzhunden überhaupt nichts zu tun haben.
kobinet-nachrichten: Was können zum Beispiel blinde Menschen nun konkret tun, wenn ihnen wieder einmal der Zugang zu einem Geschäft oder einer Arztpraxis mit Führhund verwehrt wird?
Bert Bohla: Assistenzhundehalter, längst nicht nur Blindenführhundhalter, sollten in solchchen Situationen zunächst erst einmal – auch wenn es manchmal schwer fällt – auf jeden Fall möglichst ruhig und souverän bleiben. So gut wie immer wird von den Rechteinhabern der Unterschied zwischen einem „normalen Haustier“ und einem Assistenzhund als erforderliches medizinisches Hilfsmittel zur Teilhabe ignoriert und verkannt. Ich empfehle, konsequent und nachdrücklich auf diesen entscheidenden Unterschied hinzuweisen, sich nicht abweisen zu lassen und freundlich, aber bestimmt zu verdeutlichen, dass die Verweigerung des Zutritts ungeachtet des Hausrechts einen klaren Verstoß gegen die verbrieften Menschenrechte darstellt und das Bundesverfassungsgericht dies inzwischen endlich auch höchstrichterlich bestätigt hat.
kobinet-nachrichten: Was wäre aus Ihrer Sicht nun in gesetzgeberischer Hinsicht nötig, um mehr Klarheit über die Rechte von Nutzer*innen von Assistenzhunden zu schaffen?
Bert Bohla: Bisher finden Assistenzhunde in unserem Rechtssystem so gut wie keine ausdrückliche Berücksichtigung. Das führt leider immer wieder zu erheblichen Rechtsunsicherheiten auf allen Ebenen. Der allerwichtigste Schritt ist zuerst eine bundeseinheitliche, klare, rechtsverbindliche Definition, was ein Assistenzhund überhaupt ist. Als nächstes muss eine neutrale, unabhängige und unbedingt fachkompetente Prüfinstanz unter staatlicher Kontrolle zur rechtssicheren Anerkennung der Assistenzhundteams nach dieser Definition etabliert werden. Ganz wichtig aber ist: ein zukünftiges Assistenzhundegesetz darf auf gar keinen Fall mit so „heißer Nadel“ gestrickt werden, wie beispielsweise 2014 die Novellierung des § 11 des Tierschutzgesetzes mit der Erlaubnispflicht für Hundetrainer. Diese Novellierung war zwar sicher gut gemeint, aber leider in etwa das Gegenteil von gut gemacht…. das muss im Falle eines Assistenzhundegesetzes unbedingt wesentlich sorgfältiger angegangen werden.
kobinet-nachrichten: Ich danke Ihnen beiden ganz herzlich für dieses Interview.