
Foto: Mensch zuerst
Berlin (kobinet) "Die Vorzeichen in Sachen Partizipation waren schlecht, der Anfang äusserst holprig, aber nun sind wir auf dem Weg und vertrauen auf eine barrierefreie Zusammenarbeit auf Augenhöhe für die Entwicklung von Empfehlungen zur Leichten Sprache", so fasste eine Teilnehmerin die Kick-off Veranstaltung des DIN SPEC-Projektes zum Thema "Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache“ in Berlin zusammen. Am Dienstag hatten sich dafür ca. 80 Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen in Berlin getroffen.
Mit Schreiben vom 16. Januar 2020 hatte das Deutsche Institut für Normung (DIN) einen „Geschäftsplan für ein DIN SPEC-Projekt nach dem PAS-Verfahren zum Thema ‚Empfehlungen für Deutsche Leichte Sprache'“ zur Kommentierung durch die Öffentlichkeit veröffentlicht. Bis zum 18. Februar mussten die Anmeldungen und Rückmeldungen für eine Mitwirkung an diesem Prozess eingereicht werden. Verwundert zeigten sich daraufhin Mitte Februar einige Selbstvertretungsorganisationen behinderter Menschen über das erst spät und eher zufällig breiter bekanntgewordene Beteiligungsverfahren. In dieses Bild passte auch, dass die Informationen über den Prozess nicht in Leichter Sprache vorlagen und im weiteren Prozess auch kaum Übersetzungen in Leichte Sprache geplant waren. (Link zum kobinet-Bericht vom 13.2.2020)
Unter solchen Vorzeichen kann man sich gut vorstellen, dass Dampf im Kessel war, als sich am 3. März gut 80 Vertreter*innen zur Auftaktveranstaltung des geplanten Prozesses in den Räumlichkeiten des DIN in Berlin trafen. Immerhin hatten die Initiator*innen und Veranstalter*innen im Vorfeld noch die Zeichen der Zeit erkannt und die Teilnahme auf zwei Vertreter*innen einer Organisation erweitert, so dass Menschen mit Unterstützungsbedarf auch ihre Unterstützer*innen mitbringen konnten. Auch wurde eine Dolmetschung in Leichter Sprache und in Deutscher Gebärdensprache bereitgestellt. Die Kritik, dass weder der Geschäftsplan in Leichter Sprache zur Verfügung steht, noch Geld für die Übersetzung zukünftiger Dokumente im Projektplan zur Verfügung stehen, stand daher u.a. im Mittelpunkt der Debatten. „Würde eine Norm zur Barrierefreiheit in nicht barrierefreien Räumen im fünften Stock beraten, wäre der Eingang zu einer solchen Veranstaltung in Berlin schnellstens blockiert und die Medien wären nicht weit“, so brachte es eine Teilnehmerin in den Pausengesprächen auf den Punkt.
Als es letztendlich um die Frage der Partizipation und darum ging, wer dem Geschäftsplan zustimmt, bzw. im damit verbundenen Prozess mitmacht, drohte die Veranstaltung zu kippen. Die Tatsache, dass es allen Teilnehmer*innen wichtig ist, dass endlich einheitliche und breit abgestimmte Empfehlungen für Leichte Sprache geschaffen werden und Signale, dass es vor allem auch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales wichtig ist, dass dieser Prozess barrierefrei vonstatten geht, gaben letztendlich den Ausschlag, dass bis auf eine Enthaltung dem Geschäftsplan zugestimmt wurde. Vor der Zustimmung wurde aber deutlich gemacht, dass im Falle einer nicht gewährleisteten Barrierefreiheit für alle der Prozess schnell kippen werde, denn dann habe dies mit der Umsetezung der UN-Behindertenrechtskonvention nichts mehr zu tun. Wichtig sei auch, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten und andere Gruppen, die Leichte Sprachen nutzen oder prüfen, nicht einfach nur eine Zielgruppe sind, sondern Kernakteure dieses Prozesses. Denn ohne deren Engagement und mittlerweile im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz formulierten Rechts auf Leichte Sprache gäbe es diesen Prozess nicht.
Nach dem reinigenden Gewitter und dem Vertrauensvorschuss auf Lösungen für eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe konnte dann auch die Führung des Konsortiums gewählt werden, die zukünftig den Prozess moderiert. Nun kann der Prozess für die Entwicklung von Empfehlungen für eine Leichte Sprache – und damit die intensive und sicherlich aufwändige Zusammenarbeit – beginnen. So wie die Organisator*innen und Förderer jetzt in der Pflicht sind, Barrierefreiheit herzustellen und Menschen, die Leichte Sprache nutzen und prüfen, gleichberechtigt in den Prozess einzubinden, sind nun auch die gut 80 Mitwirkenden gefordert, den Prozess im vorgesehenen sportlichen Zeitraum gemeinsam zu gestalten und zum Erfolg zu führen. „Das gemeinsame Interesse an der Sache ist hierbei hoffentlich Antrieb und lässt so manche Gräben überwinden“, so die Hoffnung einer Teilnehmerin nach Beendigung der Kick-off-Veranstaltung.
Es ist zu hoffen, dass in dem Prozess auch noch einmal geprüft wird, ob die derzeit als Goldstandard angesehenen Vorgaben zur Leichten Sprache mit großem „L“ direkt in eine DIN-Norm überführt werden sollen. Es hat sich hier zwar bereits ein kleiner Dienstleistungszweig gebildet, der die Vorgaben des Vereins Netzwerk Leichte Sprache mehr oder weniger gut zu erfüllen versucht. Es fehlt jedoch an umfassenden Studien, ob diese Form der leichten Sprache die Zielgruppe tatsächlich erreicht. Angesichts der qualitativ stark differierenden Texte, die vorgeben, leichte Sprache sein zu wollen, angesichts der verbreiteten Nutzung des Signets für Leichte Sprache, ohne erkennbare Befolgung der hierzu zu beachtenden Regeln und angesichts einer verbreiteten Unsicherheit, wann Leichte, leichte, einfache oder verständliche Sprache einzusetzen sei, braucht es dringend klare Regelungen. Man sollte es sich jedoch nicht zu einfach machen und die Regeln des Vereins Netzwerk Leichte Sprache zum Standard machen ohne noch einmal einen prüfenden Blick darauf zu werfen. Die neue Norm sollte die Vorgaben so hoch wie nötig, aber auch so niedrig wie möglich ansetzen, um möglichst niedrige Hürden für eine weite Verbreitung aufzustellen. Da kann man der Arbeitsgruppe nur ein glückliches Händchen wünschen…
Als Teilnehmer an der Auftaktveranstalung habe ich eine Befürchtung: Menschen mit Lern-Schwierigkeiten werden nicht als gleichberechtigt angesehen bei der Erstellung von Texten in Leichter Sprache, sondern nur als „Zielgruppe“ gesehen. Wenn die Prüfer*innen nicht im Regelwerk auftauchen werden oder würden, dann fehlt eine Qualitätskriterium.
Es ist ja heute so, daß in der Regel die Übersetzer*innen einen Arbeitsplatz mit Vertrag, Sozialversicherung,Tariflohn haben oder als Übersetzer*innen freiberuflich arbeiten. Die Prüfer*innen jedoch nicht – auch das spricht nicht für eine gleichwertige Anerkennung des Prüfprozesses gegenüber der Arbeit der Übersetzer*innen.
Auch im Vorfeld des 1. Treffens wurde von einigen Teilnehmer*innen kristisiert, daß Menschen mit Lern-Schwierigkeiten auf Grund der schwierigen Texte nicht an der Erarbeitung der Norm mitarbeiten können. Da wurde nachgebessert, z.B. durch einen Geschäftsplan in Leichter Sprache.
Ich denke, das Thema werden wir immer wieder bei den zukünftigen Sitzungen einbringen müssen.
Hmm,
warum enden solche Aktionen immer darin, das letztendlich die behinderten Menschen hoffen müssen? Als hätte Ernst Bloch sein dickes Buch nur für sie geschrieben…
Wenn ich schon sportlicher Zeitplan im Zusammenhang mit der Zielgruppe lese, dann hört sich das Ganze an, wie: „Machen wir ein Projekt und danach ist abgehakt“ und nicht noch: „Es soll gut werden!“