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Als Stachel Behindertenpolitik vorantreiben

Sören Pellmann
Sören Pellmann
Foto: Sören Pellmann

Berlin (kobinet) Als Opposition will die Linksfraktion im Deutschen Bundestag auch weiterhin als Stachel fungieren, der die Regierungskoalition auch in der Behindertenpolitik stets vorantreiben muss. Diese werde die Fraktion auch künftig durch eigene Antragsinitiativen, Kleine Anfragen oder schriftliche Fragen tun. Dies machte Sören Pellmann, Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag für Inklusion und Teilhabe im Interview mit den kobinet-nachrichten deutlich, das kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul mit dem Bundestagsabgeordneten führte.



kobinet-nachrichten: Sie sind Sprecher für Inklusion und Teilhabe der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag. Was macht ein Sprecher für Inklusion und Teilhabe genau?

Sören Pellmann: Wir haben uns Anfang 2019 dazu entschieden, die Sprecherposition von behindertenpolitischer Sprecher in Sprecher für Inklusion und Teilhabe umzubenennen. Wir wollen uns mit diesen menschenrechtsfundierten Begriffen klar an unserem Ziel einer inklusiven Gesellschaft orientieren. Menschen mit Behinderung sollen langfristig nicht mehr benachteiligt, sondern als gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft von allen anerkannt werden. Um unserem Ziel näher zu kommen, haben wir uns im Jahr 2019 die Schwerpunkte der Barrierefreiheit und der inklusiven Arbeitswelt gesetzt.

kobinet-nachrichten: Die derzeit regierende Koalition aus CDU, SPD und CSU hat bereits ihre Halbzeitbilanz gezogen. Wie ist Ihre Bilanz zur Arbeit der Regierungskoalition in Sachen Behindertenpolitik?

Sören Pellmann: Leider hat sich in der ersten Hälfte der Legislatur nur sehr wenig zum Positiven gewandelt. Vor meiner Zeit im Bundestag als Lehrer in einer Schule würde man sagen: Die Koalition ist akut versetzungsgefährdet. Solange Inklusion und Teilhabe von der Kassenlage abhängig sind, kann eine wirklich inklusive Politik in allen Lebensbereichen nicht umgesetzt werden. Gleichzeitig werden menschenrechtswidrige Bestimmungen, wie das Zwangspooling von Menschen mit Behinderung, weiterhin durch die Regierungskoalition hingenommen. Auch fehlt immer noch eine Verpflichtung der Privatwirtschaft zur Barrierefreiheit sowie eine deutliche Anhebung der Ausgleichsabgabe sowie der Beschäftigungsquote.

Ebenso sollte die Regierungskoalition beginnen, die Betroffenenverbände und Selbstvertretungsorganisationen endlich ernst zu nehmen. Solange die Bundesregierung in Einzelfällen nur drei Tage Zeit für Stellungnahmen lässt, kann nicht im Ansatz von einer Beteiligung gesprochen werden. Hier gibt es noch viel aufzuholen.

kobinet-nachrichten: Das Angehörigen-Entlastungsgesetz wurde mittlerweile vom Bundestag verabschiedet und hat auch den Bundesrat passiert und ist damit beschlossene Sache. Was fehlt Ihrer Meinung nach in diesem Gesetz?

Sören Pellmann: Die pflegenden Eltern minderjähriger Kinder mit Behinderungen sind nicht berücksichtigt. Uns fehlt vor allem, dass die Betroffenen selbst weiter entlastet werden. Denn die Unterhaltsgrenze für Menschen mit Behinderungen wird nicht auf 100.000 Euro angehoben. Das wäre wenigstens ein Übergangsschritt hin zu vollständig einkommens- und vermögensunabhängigen Leistungen, was wir seit vielen Jahren fordern. Eigentlich ist der gesamte Elternunterhalt ein Relikt aus dem vorigen Jahrhundert und widerspricht einem menschenrechtlichen Gesellschaftsverständnis. Und es bleibt leider dabei: durch dieses Gesetz wird es keinen Menschen weniger geben, der Sozialhilfe beantragen muss. Und nicht zu vergessen: nur ein Bruchteil der pflegenden Angehörigen sind unterhaltsverpflichtet. Für mehr als 3,5 Millionen pflegende Angehörige fehlt eine umfassende soziale Sicherung.

kobinet-nachrichten: Durch das Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPREG), wie es nun ja heißen soll, droht für Menschen, die Intensivbeatmung nutzen, ja Ungemach. Wie schätzen Sie die entsprechenden Pläne von Jens Spahn ein?

Sören Pellmann: Die Sorgen dieser Menschen, hat auch mich in den letzten Monaten intensiv beschäftigt. Kein Gesetz darf seit der UN-Behindertenrechtskonvention dazu führen, dass das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderung unmöglich wird. Das muss für alle Menschen gelten, unabhängig von Art und Schwere der Behinderung. Die Bundesregierung bekennt sich einerseits zu Inklusion und Selbstbestimmung, auf der anderen Seite werden elementare Menschenrechte ignoriert. Dagegen wurde zu Recht protestiert. Doch auch der überarbeitete Gesetzentwurf würde viele Menschen, vor allem die, die sich nicht aktiv selbst vertreten können, ins Heim zwingen. Und es spaltet die Betroffenen in zwei Gruppen: die mit dauerhaftem Bestandsschutz und die neu auf Beatmung angewiesenen. Für letztere bleibt die Textfassung ein „Ab-ins-Heim-Gesetz“. Größere und vor allem rechtzeitige Anstrengungen zur Beatmungs-Entwöhnung unterstützen wir. Die Fehlanreize für eine dauerhafte Beatmung müssen beseitigt werden. Profitmacherei auf Kosten von Patient*innen muss aufhören.

kobinet-nachrichten: Denken Sie, dass in dieser Legislaturperiode für behinderte Menschen noch etwas erreicht werden kann und wie sind da Ihre Möglichkeiten aus der Opposition heraus?

Sören Pellmann: Die Aktivitäten der letzten zwei Monate und der allgemeine Verfallszustand der GroKo machen leider nicht viel Mut, dass mit grundlegenden Verbesserungen zu rechnen ist. Derweil gäbe es bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention noch genügend Baustellen.

Als Opposition sind wir aber der Stachel, der die Regierungskoalition stets vorantreiben muss. Dies werden wir auch künftig durch eigene Antragsinitiativen, Kleine Anfragen oder schriftliche Fragen tun. Dass wir etwas erreichen können, zeigen die Erfolge bei der Aufhebung der Wahlrechtsausschlüsse. Hieran gilt es anzuknüpfen und stetig daran zu erinnern, welche Probleme für die Betroffenen tagtäglich existieren. Dieses Jahr werden wir unsere zehn Anträge zur Schaffung umfassender Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen und einen Antrag für Gute Arbeit für Menschen mit Behinderungen einbringen. Dann werden wir sehen, wie sich die Koalition aus CDU/CSU und SPD dazu verhalten wird.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche zur Behindertenpolitik frei hätten, welche wären dies?

Sören Pellmann: Dass Inklusion endlich in den Köpfen aller ankommt und es der Politik gelingt, die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention – und ja, darin verbergen sich dann sicherlich mehr als zwei Wünsche – ernsthaft umzusetzen, anstatt nach Möglichkeiten zu suchen, diese aufzuweichen.

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview.