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Von Einheit und Freiheit

Tilo Bösemann
Tilo Bösemann
Foto: privat

Jena (kobinet) Tilo Bösemann konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Schulungsveranstaltung des Bundesverbandes behinderter Eltern (bbe) teilnehmen, die vom 2. bis 6. Oktober in Uder stattfindet. So hatte der Jenaer gestern etwas Zeit, sich Gedanken zum Feiertag zur deutschen Einheit, zur Freiheit behinderter Menschen und zur Bundesregierung zu machen. "Sie reden von Freiheit und verhindern diese mit dem Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz!" So beginnt sein Statement an die Bundesregierung, das Tilo Bösemann den kobinet-nachrichten übermittelte.

Gedanken von Tilo Bösemann

An die Bundesregierung

Sie reden von Freiheit und verhindern diese mit dem Reha-und Intensivpflegestärkungsgesetz! Dieser Gesetzentwurf gefährdet in höchstem Maße meine freiheitliche Lebensgrundlage. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und ertrage nach diesem Gesetzentwurf aus dem Hause von Herrn Spahn Beiträge über Freiheit, welche in Verbindung mit der deutschen Einheit stehen, nicht mehr.

Anlässlich des Feiertages der deutschen Einheit sind auf sämtlichen Kanälen große Reden über das hohe Gut der Freiheit zu hören. Sowohl der Bundespräsident als auch die Bundeskanzlerin betonten dies immer wieder in ihren jährlichen Festtagsreden. Da ich diese Reden nicht mehr ertragen kann, habe ich mir dies heute auch gespart. Ich bin in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Ich habe dieses damalige System auch als bedrückend und freiheitsberaubend empfunden. Grund dafür war unter anderem, dass Menschen mit Behinderungen, wenn sie auf fremde personelle Hilfen anderer angewiesen waren, ausnahmslos gegen ihren Willen in Anstalten untergebracht wurden. Damals hießen diese Anstalten „Feierabendheime“ – in denen man wusste, was behinderte Menschen brauchten. Fürsorge und Betreuung. Also war für Menschen mit Behinderung, die pflegerische Hilfen brauchten, Feierabend! Nix mit Freiheit, Selbstbestimmung und Lebensgestaltung! Jedoch mit hoher Qualität und Effizienz – auch für den medizinischen Fortschritt. Dieses System habe ich bekämpft mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln. Ich wollte nicht warten, bis man mich zum Feierabend abholt und interniert!

Seit dem Zusammenbruch des DDR Regimes bis zum heutigen Tage konnte ich mir ein Leben in Selbstbestimmung nach meinen eigenen Vorstellungen und Wünschen gestalten. Dass dies mit einer fortschreitenden Behinderung nicht ganz einfach war und ist, muss ich keinem behinderten Menschen näher erklären. Motiviert von meinem Optimismus oder auch von meiner Naivität – da bin ich mir nicht ganz so sicher – kämpfe ich täglich um die Verbesserung der Lebenssituation von behinderten Menschen, damit diese nicht in Anstalten leben müssen. Da sind wir noch lange nicht am Ziel, jedoch haben wir schon einige Etappen erfolgreich bestritten.

Seit dem Bekanntwerden des Gesetzentwurfes zum Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz (RISG) aus dem Hause Spahn ist mein bis dato grenzenloser Optimismus einem großen Entsetzen gewichen. Beatmete Menschen mit Behinderungen sollen wieder gegen ihren Willen in Anstalten interniert werden. Ich erlebe ein Deja-vu! Wie damals stehe ich einem System gegenüber, welches zu bekämpfen ist. Das Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz in seiner vorgelegten Form gefährdet massiv meine persönliche Freiheit und die persönliche Freiheit von anderen behinderten Menschen extrem und die sogenannte moderne und menschenrechtsschützende Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland mit ihrem so gefeierten Grundgesetz wird für mich persönlich zur Scheinheiligkeit. Das mit dem Menschenrecht behinderter Menschen habe ich schon einmal in den 80igern gehört. Das Menschenrecht beginnt mit dem aufrechten Gang! Wehrt euch!