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BERLIN (KOBINET) Wie wichtig es ist, bei den behindertenpolitischen Vorhaben der Bundesregierung genau hinzuschauen, zeigt sich nicht nur beim Bundesteilhabegesetz. Nun schockiert eine weitere Regelung im geplanten Pflegestärkungsgesetz die Verbände. War es bereits eine große Enttäuschung, dass viele behinderte Menschen, die in Wohnstätten leben dort auch in Zukunft von Pflegeversicherungsleistungen weitgehend ausgeschlossen sind, will die Bundesregierung diese Diskriminierung auch nun noch auf eine Vielzahl von ambulant betreuten Wohngemeinschaften ausweiten.
„Das ist absolut inakzeptabel“, erklärte Ulla Schmidt, Bundesvorsitzende der Lebenshilfe und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Die Lebenshilfe ist alarmiert, dass künftig Menschen mit Behinderung in ambulant betreuten Wohngemeinschaften statt wie bisher bis zu 1.612 Euro nur noch 266 Euro aus der Pflegeversicherung zur Verfügung stehen sollen. Die Möglichkeiten, ambulant betreut zu leben, werden sich nach Ansicht der Lebenshilfe gerade für Menschen mit hohen Unterstützungsbedarfen dadurch erheblich verschlechtern. Ohne diese Finanzierung drohten sie ihr Zuhause zu verlieren. Dies stehe im Widerspruch zu dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ und den Zielen des Gesetzgebers. „Pflegebedürftige Menschen mit Behinderung sind Mitglieder der Pflegeversicherung und zahlen Beiträge wie alle anderen auch. Sie müssen daher auch die gleichen Leistungen bekommen – unabhängig davon, wo sie leben“, fordert Ulla Schmidt.
Auch vonseiten des Bundesverbandes evangelischer Behinderteneinrichtungen hagelte es scharfe Kritik an der Gesetzesinitiative der Bundesregierung. Das Pflegestärkungsgesetz III soll nach Ansicht der Bundesregierung die Situation pflegebedürftiger Menschen verbessern, entpuppt sich nun aber ähnlich wie das Bundesteilhabegesetz zunehmend zu einer Bedrohung für behinderte Menschen in einigen Bereichen. Diese geplante Benachteiligung wird heute bei der Käfig-Aktion um 10:00 auf dem Washington Platz vor dem Berliner Hauptbahnhof sicherlich auch Thema sein. Denn die Kluft zwischen rhetorischen Beschwörungen, dass mit den Gesetzesvorhaben, die die Bundesregierung derzeit auf den Weg bringt, und den Realitäten, die in den Detailregelungen lauern, werde nach Ansicht von Ottmar Miles-Paul, dem Koordinator der Kampagne für ein gutes Bundesteilhabegesetz, immer größer, wie die negative Überraschung im Pflegestärkungsgesetz III nun zeige.