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Matthias Vernaldi heute vor der Urania

Matthias Vernaldi bei seiner Rede
Matthias Vernaldi bei seiner Rede
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Matthias Vernaldi bei seiner Rede
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Matthias Vernaldi bei seiner Rede
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BERLIN (KOBINET) Matthias Vernaldi hat die Kundgebung zur Preisverleihung an Peter Singer in der Urania Berlin für das Aktionsbündnis "Kein Forum für Peter Singer" angemeldet. Das Bündnis verzichtete auf die Einladung, seine Position kurz vor dem Festakt darzulegen. Auch der Laudator für den Preisträger hat dann noch abgesagt, was von den Protestlern mit Beifall begrüßt wurde. Den Redebeitrag von Matthias Vernaldi vor der Urania dokumentiert kobinet zum Abschluss einer lebhaften Diskussion unter Leserinnen und Lesern dieses Nachrichtendienstes.   

Die behinderten Leute hier werden fast alle folgendes Phänomen kennen: Wenn wir Menschen kennenlernen, die vorher kaum Behinderte in ihrer Umgebung hatten, dann denken diese von uns, dass wir es wohl irgendwie besonders schwer haben müssen. Umso umfangreicher die Behinderung ist, umso größer muss doch unser Leid sein. Wir empfinden das aber gar nicht so. Es kostet uns Einiges an Mühe, unsere Mitmenschen von diesem seltsamen Blick auf uns abzubringen, und irgendwann sind wir dann auch ganz schön genervt davon.

Andere Menschen – zum Beispiel wenn sie eine depressive Erkrankung haben – drohen, an ihrem Leid zu zerbrechen, und kaum einer nimmt es ihnen ab. Sie sind doch sozial gesichert, körperlich intakt und familiär eingebunden.

Ich habe nur noch eine sehr reduzierte Muskulatur. Bewegen kann ich mich nicht mehr, Atmen nur mit Mühe und der Unterstützung eines Gerätes. Ich brauche Menschen, die mir Essen reichen und den Hintern abwischen, die mich kratzen, wenn es mich juckt, mich waschen, anziehen und im Rollstuhl durch die Welt schieben. Seit Jahren habe ich ununterbrochen Schmerzen. Ich muss mit meinem Leib sehr behutsam und sorgfältig umgehen lassen. Das schluckt in meinem Alltag mehr und mehr Kapazitäten und nervt mich und meine Assistenten.

Kein Mensch wünscht sich so etwas. Natürlich ist das Leid. Aber Genuss, Freude und Glück sind mir deshalb nicht verschlossen. Wie andere Leute auch trinke ich am Abend einen schönen alten Schnaps, lasse mich von einer Bach-Fuge hinreißen oder davon verzaubern, wenn mir das Haar meiner Gespielin ins Gesicht fällt.

Leid und Glück, Genuss und Schmerz haben sehr stark damit zu tun, wie sie wahrgenommen werden und in welchem konkreten Lebenszusammenhang sie stehen. Sie sind extrem subjektiv. Peter Singer meint nun aber, das sei objektivierbar, und man dürfe – ja müsse – Menschen zu Beginn ihres Lebens töten, wenn klar ist, dass sie eine schwere Behinderung haben, um ihnen schweres Leid zu ersparen – genau das Leid, was andere immer in uns hineininterpretieren, wir aber gar nicht so empfinden.

Eigentlich ist das sowieso eine Ausrede. Ihm geht es mehr ums Ersparen an sich. Er möchte der Gesellschaft ersparen, Ressourcen für Menschen wie mich zur Verfügung zu stellen.

Ich kam vor fünfeinhalb Jahrzehnten auf die Welt und hatte damit die Gnade der späten, aber nicht allzu späten Geburt. Wäre ich 20 Jahre früher da gewesen, hätte mich der staatliche Massenmord an Kranken und Behinderten des faschistischen Deutschlands gar nicht erst ins schulfähige Alter kommen lassen. Und 30 Jahre später hätte eine pränatale Diagnostik meine Mutter davon überzeugt, mich gar nicht erst zu einem autarken Organismus werden zu lassen. Peter Singer meint, man könne noch weitergehen und bereits autarke Organismen mit meiner Diagnose töten.

Ich führe ein wunderbares Leben. Ich finde es zum Kotzen, dass ich mich hier hinstellen muss, um das zu betonen, weil einer der „berühmtesten Philosophen der Gegenwart“ mein Recht darauf infrage stellt; ja, überhaupt infrage stellt, dass das möglich ist; Leute wie mich von vornherein zum Unwert erklärt.

Ich führe ein wunderbares Leben, weil schon vor 40 Jahren behinderte Menschen begannen, ihre Rechte einzuklagen, durchzusetzen und zu gestalten. Die Hilfeform der persönlichen Assistenz ist dabei entstanden, die es mir mit einer schweren Behinderung ermöglicht, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. So etwas haben sich keine Pflegewissenschaftler, gar Moralphilosophen ausgedacht, sondern wir haben es selbst entwickelt. Und wir kämpfen seither darum, es anzuwenden. Niemand gesteht es uns großzügig zu. Wir müssen es immer wieder einfordern. Das ist emanzipatorische Wirklichkeit im sozialen Bereich.

Der, der heute hier geehrt wird, hat sich vor ein paar Jahren in einer Fernsehsendung des hessischen Rundfunks dahingehend geäußert, dass man die 4000 € Mehrkosten, die für persönliche Assistenz anfallen gegenüber einer Heimunterbringung viel besser dafür verwenden könne, Menschen in der Dritten Welt vorm Verhungern zu retten. Abgesehen davon, dass bisher noch nie eine Kürzung im sozialen Bereich der Hungerhilfe zugute kam, bringt er hier die Ansprüche und Rechte der Schwächsten in der Gesellschaft in Konkurrenz zueinander.

Er bezeichnet sich selbst als Linker, weil er ein Drittel seines enormen Einkommens spendet und Flüchtlinge unterstützt sowie sich für Tierrechte einsetzt.

Alles jedoch, was er von sich gibt, inklusive seiner Spenden, ist paternalistisch und reaktionär. Altruismus – also eine großzügige Wohltätigkeit derer, die es dicke haben – führt nicht zu einer gerechteren Gesellschaft. Eine gerechtere Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der es gar nicht möglich ist, so ohne weiteres so viel Vermögen anzuhäufen, dass man problemlos auch ein paar größere Summen für mildtätige Zwecke ausgeben kann und sich damit noch als guten Menschen darstellt. Eine gerechtere Gesellschaft gibt genau denen, die benachteiligt und schwach sind, Mittel in die Hände, dass sie ihre Wirklichkeit nach ihren Maßgaben und Bedürfnissen selbst gestalten können. Eine gerechtere Gesellschaft schickt nicht 500 € nach Afrika, um dort einen Menschen vorm Verhungern zu retten (das ist im akuten Notfall sicher notwendig – unbestritten). Gerechtigkeit entsteht aber erst, wenn Märkte und Finanzströme reguliert werden, sodass die Gefahr von Hunger gar nicht erst entsteht und diese Menschen unsere Mildtätigkeit gar nicht nötig haben, weil sie sich sehr wohl allein ernähren können.

Ich habe es schon einmal gesagt: Für mich ist es widerlich, dass ich mich gezwungen sehe, öffentlich darzulegen, dass mein Leben nicht nur Leid ist, weil ein anderer öffentlich darlegen kann, dass es wahrscheinlich so ist und dass man deshalb Menschen wie mich unter gewissen Voraussetzungen durchaus töten darf. Dass er in großen Zeitungen, Sendern und Portalen darüber hinaus die Möglichkeit bekommt, darzulegen, dass es besser ist, Reservate für große Affen, weitere Hochschulplätze oder Hungerhilfen zu schaffen, anstatt mir ein gleichberechtigtes teilhaben an den Werten unserer Gesellschaft zu ermöglichen, empfinde ich fast genauso erniedrigend.

Am Ende bin ich noch derjenige, der gegen die Regeln der Gesellschaft verstößt, weil ich fordere, dass er so etwas nicht öffentlich sagen darf. Auch das macht mir zu schaffen. Ich bin in der DDR groß geworden und sehr allergisch bezüglich Denkverboten und Zensur. Jetzt sehe ich mich gezwungen, sie zu fordern.

Eigentlich wollte ich am Ende meines Beitrags dem ernst gemeinten Zynismus des Peter Singer den (das sage ich ausdrücklich!) ironischen ganz und gar nicht ernst gemeinten Zynismus entgegensetzen, dass er, wenn er seine Denkwege und Grundansätze ernst nimmt, doch bitte jetzt, also spätestens jetzt, wo er diesen Preis erhält, konsequent handeln möge. Seine Gedanken und die Ehrung seiner als Person löst ja bei ganz vielen Menschen, es stehen ja nur einige wenige davon heute hier, ganz enormes Leid aus! Aber das will ich dann doch nicht tun …