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SãO PAULO (KOBINET) Mirien Carvalho Rodrigues verfolgt in Brasilien nicht nur das Geschehen um das runde Leder herum, sondern hat sich für die kobinet-nachrichten auch in Sachen Arbeit für behinderte Menschen umgehört und mit einigen Akteuren dort gesprochen.
Bericht von Mirien Carvalho Rodrigues
Von der weitgehenden Barrierefreiheit der Metro von São Paulo habe ich schon berichtet. Bei einem Besuch der Zentralverwaltung dieses teils staatlich und teils privat finanzierten Unternehmens erfuhr ich an einem Beispiel, dass dort auch Menschen mit Behinderung beschäftigt werden. Iara ist für die Auswertung der Kommentare zur Metro in den sozialen Netzwerken verantwortlich. Ihre Arbeit spielt eine wichtige Rolle für die Kundenbetreuung und Imagepflege des Unternehmens. Iaras Vorgesetzter, den ich als Marcus kennengelernt habe, erklärt mir eifrig, die seit Geburt blinde Mitarbeiterin werde hier gleichberechtigt behandelt. Man habe ihren Arbeitsplatz adaptiert und erwarte dafür von ihr dieselbe Leistung wie von allen anderen Mitarbeitern. Von falscher Rücksichtnahme und Überbehütung hält er überhaupt nichts. „Iaras Arbeit ist wichtig für unser gesamtes Team“, erklärt Marcus, „da darf es nicht zu Verzögerungen kommen. Passiert das doch einmal, lösen wir das Problem gemeinsam, wie wir es bei allen Mitarbeitern tun.“
Zwei Minuten Fußweg entfernt von Iaras Arbeitsplatz befindet sich das städtische Kulturzentrum São Paulos. Das Gelände mit Café, verschiedenen Räumen und Bühnen für Veranstaltungen, einer umfangreichen Braillebibliothek und Sitzgelegenheiten im Freien ist ein beliebter Treffpunkt für alle „Paulistanos“. Hier unterhalte ich mich mit Iara nach Feierabend. In ihrer Freizeit singt sie in einer Rockband und spielt verschiedene Instrumente. Ihre große Leidenschaft ist die deutsche Rockgruppe Scorpions. Erst kürzlich reiste sie eigens nach Stuttgart, um die Band dort live zu hören und auch persönlich zu treffen. Durch die Scorpions wurde ihr Interesse an Deutschland allgemein geweckt, sie liebt Currywurst, die Stadt Heidelberg und deutsche Chöre. Iaras Chef hält ihre Leidenschaft für die Rocker aus Hannover für überzogen. Das ist sein gutes Recht. Entscheidend ist, dass er und sein Team durch die Einstellung der jungen Frau, die für alle beteiligten ein gelungenes Experiment ist, seinen Teil dazu beigetragen hat, dass sie ihren Traum selbstbestimmt und von selbst verdientem Geld verwirklichen konnte.
Renato war bis zu seiner Erblindung vor acht Jahren Architekt. Heute streitet er in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen für die Umsetzung des wichtigsten Mottos der UN-Behindertenrechtskonvention: „Nichts über uns ohne uns“. Er sitzt mit uns vor dem Kulturzentrum, ist er doch der wichtigste Kontaktmann in Sachen Barrierefreiheit bei der Metro. Neben seinem ehrenamtlichen Engagement möchte der 49jährige jedoch auch ins Arbeitsleben zurückkehren. Deshalb macht er sich gemeinsam mit ein paar Gleichgesinnten dafür stark, dass die Frührente, die Personen beziehen, welche durch eine erworbene Behinderung ihre Arbeit aufgeben mussten, bei Antritt einer neuen Stelle zunächst weiter gezahlt wird. Bisher ist das Risiko, eine neue Arbeit anzunehmen, viel zu groß, denn die Frührente entfällt sofort, und sollte sich der neue Arbeitgeber nach wenigen Monaten gegen eine Weiterbeschäftigung entscheiden, ist der Anspruch auf die Frührente verfallen. Schon jetzt ist Renato als ehrenamtlicher Radiomacher im Dauereinsatz und regelmäßig im Internet zu hören. Parallel dazu schult er zum professionellen Radiomoderator um in der Hoffnung, sein Anliegen in absehbarer Zeit durchzusetzen.