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So, so? – Ja, ja!

Harald Reutershahn
Harald Reutershahn
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UNBEKANNT (KOBINET)

Die Kanzlerin steht plötzlich ohne Mehrheit da. Die Opposition ist stärker. Die Wähler haben es so entschieden. Doch kaum sind die besserverdienenden Showmaster, Meinungsmacher und politischen Kulissenschieber im Schmierentheater der Medien abgeschminkt, packen sie die "vaterlandslosen Gesellen" am patriotischen Schlafittchen und versuchen ihnen beizubiegen, es gehe jetzt um Deutschland. Springen die SPD oder die Grünen in diesem Geiste für die abgewrackte FDP nun als Mehrheitsbeschaffer in die Bresche? Oder nehmen sie den Auftrag an, endlich den sozialen Reformstau abzubauen.



Soviel ist klar. Doch kaum sind die besserverdienenden Showmaster, Meinungsmacher und politischen Kulissenschieber im Schmierentheater der Medien abgeschminkt, beginnt nun die Farce. Denn die hochalimentierten Pausenclowns und Hofberichterstatter sind ziemlich angewidert von der Vorstellung, dass sie jetzt von ihren Spitzengagen ein bisschen mehr Steuerkröten zugunsten des sozialen Ausgleichs gegenüber den Millionen Habenichtsen und Malochern abdrücken sollen, ebenso wie die privilegierte Finanz-Nomenklatura in den Banken, den Großkonzernen und die übrigen Schickimickis samt ihren blasierten Politpossenreißern. Man hat sich doch so schön die Taschen vollgestopft am Aufschwung der Beutelschneider. Am vielbeschworenen Aufschwung, der unten nie angekommen ist. Jetzt könnte plötzlich ein klein wenig Verteilungsgerechtigkeit drohen. Impertinent. Igittigitt.

Und ausgewogen, wie wir sie kennen, legen die Meinungsmacher jetzt die alte Platte auf mit der abgedroschenen Klamotte von der Staatsräson: Aus lauter politischer Verantwortung sollen jetzt die Sozialdemokraten oder die Grünen auf die neu gewonnene Parlamentsmehrheit für soziale Gerechtigkeit verzichten.

Ob die SPD wieder die Hacken zusammenknallt vor der drohenden Ungnade der Obrigen, so wie es seit 99 Jahren Tradition ist in diesem Ja-Nein-Also-Entschuldigung-Bitte-Verein? Für einen Platz am reichlich gedeckten Tisch der Herrschaften ließen sich die Führer der deutschen Sozis noch nie lange bitten. Auch nicht um den Preis der Selbstaufgabe und des Verrats. Man muss sie nur als vaterlandslose Gesellen am patriotischen Schlafittchen packen und ihnen beibiegen, es gehe jetzt um Deutschland.

Die Grünen sind da kaum besser. Nur grüner. Wenn es sein muss, halten die Ober-Ökos auch NATO-oliv für grün. Man erinnert sich, der Stachel sitzt tief. Schließlich musste Belgrad bombardiert werden für die begehrte Einträglichkeit der geplanten Balkan-Erdgas-Pipeline eines ehemaligen Hausbesetzers, der nach der bombigen Außenministerkarriere in seiner vornehm zurückgezogenen Grunewaldvilla weiter strickt an der Nabucco-Pipeline. Sein vormaliger Chef aus der Hannoverschen Maschmeyer-Connection ist ja bekanntlich inzwischen Putins Gasableser.

Der Geist der Agenda 2010, von Hartz IV, der Zerschlagung des gesetzlichen Rentenversicherungssystems und der Budgetierung der gesetzlichen Krankenversicherung zugunsten eines ungebremsten Kasino-Kapitalismus ist noch lebendig. Springen die SPD oder die Grünen in diesem Geiste für die abgewrackte FDP nun als Mehrheitsbeschaffer in die Bresche? Man muss damit rechnen.

Man stelle sich stattdessen nur mal vor, die Sozialdemokraten und die Grünen würden jetzt mit den Linken ihre Wahlversprechen für soziale Gerechtigkeit einlösen. Sie könnten das tun, denn sie hätten nach der Bundestagswahl endlich die Mehrheit dazu. Dazu bräuchten sie noch nicht einmal mit den törichterweise geschmähten Linken eine Regierung zu bilden. Sie könnten es sich sogar erlauben, die eiserne Kanzlerin in einer Minderheitsregierung geschäftsführend im Amt zu lassen und aus der Opposition mit der nun gewählten Mehrheit endlich den bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn zu beschließen, die Ausbeutung der Leiharbeiter zu beenden, die Mindestrente zu erhöhen, die Mietpreiserhöhungsgesetze abzuschaffen, die maroden Schulen zu sanieren, die Ausplünderung der Städte und Gemeinden zu beenden, die erneuerbaren Energien auszubauen und die Bevölkerung nicht länger die Stromrechnungen der Großkonzerne mitbezahlen zu lassen, die Einkommenssteuer für die Reichen an das europäische Normalmaß anzupassen, die Vermögenssteuer für die Millionäre wieder einzuführen, die Spekulationen der Banken zu regulieren, gesetzliche Regelungen für die Verbesserung der sozialen Teilhabe behinderter Menschen zu beschließen, die Inklusion voran zu bringen, die Kitas bedarfsgerecht auszustatten, die volle Gleichberechtigung der Schwulen und Lesben zu verwirklichen und endlich den sozialen Reformstau abzubauen.

Aus der Nummer käme Angela Merkel garnicht raus. Sie säße auf ihrem Kanzlersessel und müsste die gemeinsamen Wahlversprechen der Oppositionsparteien umsetzen. Denn das Parlament entscheidet mit Mehrheit, und die Regierung hat die Parlamentsbeschlüsse auszuführen. So geht parlamentarische Demokratie. Die Parteien im Bundestag könnten dann vielleicht sogar ganz unverschämt frei mit wechselnden Mehrheiten abstimmen, je nach ihrer politischen Überzeugung und nach offen geführten Debatten. Nicht zu glauben – aber wahr.

Es wird jedoch wohl nicht dazu kommen.

Fassungsloses Kopfschütteln kann im Schlusssatz nicht verschwiegen bleiben über die politische Blödheit einer Schlafwagenabteilung bei den Linken, die den couragiertesten Kämpfer im Bundestag für die Behindertenrechte, Ilja Seifert, auf einem aussichtslosen Listenplatz ins Abseits stellte. Er war 16 Jahre Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Seine Stimme wird uns Behinderten fehlen im Parlament, und das kann den Linken viele Stimmen kosten bei den nächsten Wahlen. Ohne den engagierten Behinderten Ilja Seifert wird die Linksfraktion im Bundestag behindert sein.

Vielleicht schreie ich zu leise – oder Sie hören nicht richtig hin„, sagte Ilja Seifert in einem Interview zur Bundestagswahl in Rollingplanet. In seinem Lyrikband „Also: Laßt mich irren!“ veröffentlichte er u.a. dieses Gedicht:

Die Alpen sind

Nicht für mich gefaltet. Berge
Verweigern
Dem Rollstuhl
Den Weg. Aufwärts
Nicht anders
Als abwärts. – Trotzdem
War ich da.

Venedig ist
Nicht für mich gebaut. Kanäle
Tragen
Den Rollstuhl
Nicht. Und viele Brücken
Sind stufig. – Dennoch
War ich da.

Freunde
Traf ich und
Weniger
Erfreute. Die Welt ist
Nicht eingestellt
Auf mich, auf
Meine Lebensweise. – Aber
Ich
     bin
          da!