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Foto: Gisela Maubach
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Foto: Gisela Maubach
AACHEN (KOBINET) Gisela Maubach betrachtet viele vermeintliche Inklusionsprojekt sehr kritisch und fragt in häufig danach, ob auch Menschen mit einbezogen werden, die nicht im herkömmlichen Sinne arbeiten können. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit Gisela Maubach über ihre Herausforderungen als Mutter eines behinderten Sohnes und ihre Wünsche für eine bessere Behindertenpolitik.
kobinet-nachrichten: Als engagierte Leserbriefschreiberin setzen Sie sich in den kobinet-nachrichten besonders für behinderte Menschen mit einem sehr hohen Unterstützungsbedarf ein. Was ist Ihnen dabei besonders wichtig?
Gisela Maubach: Insbesondere möchte ich ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Formulierung „sehr hoher Unterstützungsbedarf“ nur etwas über das Ausmaß einer Behinderung aussagt und nichts über die Behinderung als solche. Es ist dabei nicht erkennbar, ob es sich um einen hochbegabten Menschen handelt, der zum Beispiel wegen seiner körperlichen Einschränkungen umfangreiche Assistenz benötigt, oder ob es sich vielleicht um einen Menschen handelt, der körperlich möglicherweise topfit ist, aber der nicht ansatzweise in der Lage ist, den Sinn seines eigenen Handelns zu verstehen, so dass er ununterbrochen betreut und auch vor Gefahren geschützt werden muss.
Wenn Politiker und Medien von „Menschen mit Lernschwierigkeiten“ sprechen, werden in aller Regel Bildungs- oder Arbeitsmöglichkeiten thematisiert. Ich finde es großartig, wenn Arbeitsplätze geschaffen werden, die den jeweils individuellen Fähigkeiten entsprechen. Aber hoffentlich ist es auch nachvollziehbar, dass ich mich nicht damit abfinden möchte, dass Menschen wie mein Sohn bei den bisherigen Inklusions-Themen gar nicht erst gemeint sein können und aufgrund dessen ihre Interessen auch nicht vertreten werden.
kobinet-nachrichten: Können Sie kurz beschreiben, wie alt ihr Sohn ist, welcher Unterstützungsbedarf nötig ist und wie ihr Alltag als unterstützende Mutter aussieht?
Gisela Maubach: Mein Sohn Steffen kam vor 26 Jahren als Frühgeburt mit einer Sepsis zur Welt und musste wegen einer ausgeprägten Lungenfunktionsstörung zwei Wochen lang mit zum Teil sehr hohen Drücken beatmet werden. Während dieser Zeit auf der Intensivstation wurden auch bereits epileptische Anfälle aufgezeichnet. Bis heute ist Steffen Epileptiker. Ein Sprachverständnis ist nicht erkennbar und er muss auch vollständig mit Windeln versorgt werden. Stereotype Bewegungswiederholungen und extreme autistische Verhaltensweisen prägen seinen Bewegungsdrang. Im Straßenverkehr würde er vor jedes fahrende Auto laufen und ganz besonders wird er von Wasser angezogen, in das er auch schon vollbekleidet reingesprungen ist. Aktivitäten wie Schwimmen (mit großen Schwimmflügeln) und Radfahren auf unserem Dreirad-Tandem gehören zu seinen großen Leidenschaften, wobei er seine Freude manchmal durch laute Schreie zum Ausdruck bringt.
Seit dem Auszug meiner gesunden Tochter, die nach Abitur und Studium nun in Berlin lebt, wird mein Alltag durch meinen Job und Steffen geprägt. Während er werktags bis in den Nachmittag in der Werkstatt betreut wird, erledige ich all die Dinge, die in seiner Anwesenheit schlecht möglich wären. Seit 13 Jahren bin ich Angestellte eines Aachener Vereins, der Familien mit kranken und behinderten Kindern unterstützt. Dabei begleite ich auch Eltern zu Behörden. Und wenn die Ignoranz unerträglich wird, nutze ich auch schon mal die Öffentlichkeit. Vor zwei Jahren habe ich beispielsweise durch einen Fernsehbeitrag im WDR erreicht, dass sämtliche Kindergeldabzweigungen im Kreis Düren gestoppt wurden.
Obwohl ich privat und auch beruflich so viel mit Behinderung konfrontiert bin, nehme ich mir aber auch immer wieder Zeit für meine beiden Hobbys – das Fotografieren und das Laufen. Da tobe ich mich dann im wahrsten Sinne des Wortes aus und lasse Steffen jeweils von ihm vertrauten Personen betreuen.
kobinet-nachrichten: Welche Veränderungen würden Sie sich für sich selbst und Ihren Sohn wünschen und welche Hürden werden Ihnen hierfür in den Weg gelegt?
Gisela Maubach: Der wichtigste Wunsch ist ganz klar, dass seine Interessen und damit auch die Interessen anderer Menschen, die keine wirtschaftlich verwertbare Leistung erbringen können, zukünftig bei wichtigen politischen Entscheidungen vertreten werden. Momentan scheint man zu glauben, dass man arbeitsunfähigen Menschen dadurch einen Gefallen macht, indem man sie durch Gleichmacherei pro forma einfach zu Arbeitnehmern in Werkstätten erklärt. Hier in Nordrhein-Westfalen werden diejenigen, die in anderen Bundesländern als nicht werkstattfähig eingestuft werden, sehr wohl als Arbeitnehmer in Werkstätten untergebracht. Aber weil sie in der Realität eben doch nicht arbeiten können, werden sie überwiegend in eigenen großen Gruppen zusammengefasst und in gesonderten Räumen betreut und gepflegt. Von Inklusion kann hier also keine Rede sein, denn durch das Separieren derjeniger, die für die Produktion der Werkstatt zu behindert sind, praktiziert man ja eher das Gegenteil von Inklusion.
Bis August war Steffen in einer Gruppe, in der 13 schwerstbehinderte Menschen in einem Raum zusammengefasst sind. Man muss kein Spezialist sein, um zu erkennen, dass in so einer Riesengruppe kaum eine individuelle Beschäftigung oder Förderung möglich ist – erst recht nicht für einen Menschen mit großem Bewegungsbedürfnis. Nach langem Kampf habe ich nun erreicht, dass Steffen die Werkstatt gewechselt hat und jetzt innerhalb einer 8er-Gruppe engagiert betreut wird. Eine erste Veränderung habe ich also durch eigenen Einsatz erreicht, aber grundsätzlich ist die Gleichmacherei die größte Hürde, die uns der Gesetzgeber in den Weg stellt. Mein Sohn darf nämlich das Geld, das als Eingliederungshilfe an die Werkstatt gezahlt wird, nicht als Persönliches Budget außerhalb einer Werkstatt nutzen, denn die vorrangige Leistung heißt Teilhabe am Arbeitsleben, so dass ein Persönliches Budget nur für einen wirklichen Arbeitsplatz möglich wäre. Dadurch, dass arbeitsunfähige Menschen pro forma zu Arbeitnehmern erklärt werden, werden sie also gleichzeitig von der Möglichkeit des Persönlichen Budgets ausgeschlossen.
Auch für die Zukunft ist für Menschen wie Steffen keinerlei Selbstbestimmung hinsichtlich der Tagesstruktur geplant, denn die Verbände fordern bei der Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe sogar, dass es auch in den anderen Bundesländern offiziell keine arbeitsunfähigen Menschen mehr geben soll. Und wegen der Qualitätsanforderung würde dann überall für erwerbsunfähige Menschen keine Alternative zur Werkstatt mehr existieren. Das kann so nicht bleiben, wenn das Ziel Inklusion heißt, aber von den Verbänden, die mit den Einrichtungsträgern identisch sind, können wir wohl kaum Hilfe erwarten. Es gibt natürlich noch weitere Veränderungswünsche, aber dieses Verweigern von Nutzung der Eingliederungshilfe außerhalb von Werkstätten unter dem Vorwand angeblicher Qualitätssicherung kann auch mit der UN-Konvention kaum vereinbar sein, zumal noch nicht mal ein Limit bei den Gruppengrößen vorgeschrieben ist.
kobinet-nachrichten: Sie beklagen häufig die leichtfertige Verwendung des Begriffes Inklusion. Wie sieht für Sie eine echte Inklusion aus?
Gisela Maubach: Natürlich kann man nicht von Inklusion sprechen, solange diejenigen Menschen, die keine Chance haben, sich selbst zu vertreten, weiterhin von allen Inklusionsbemühungen ausgeschlossen bleiben. Und weil dieses Argument kaum ausgeräumt werden kann, werde ich es auch weiterhin vorbringen, bis man sich mit diesem Ausgeschlossen-Sein beschäftigt.
Wenn Minister Guntram Schneider in Nordrhein-Westfalen nur Integrationsbetriebe besucht und wiederholt erklärt, dass „Arbeit der entscheidende Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe“ ist, dann müsste er sich im Umkehrschluss auch die Frage gefallen lassen, ob denn diejenigen von der Gesellschaft ausgeschlossen bleiben sollen, die dieses Schloss aufgrund ihrer individuellen Behinderung nie aufschließen können. Mir ist bewusst, dass es extrem schwierig sein wird, eine tatsächliche Interessenvertretung für Menschen wie meinen Sohn zu erreichen, denn betreuende Eltern sind in aller Regel schon bis über beide Ohren belastet, und nur seltene Kämpfer-Typen wie Frau Rosenberger scheinen alle Erschöpfungsgrenzen zu ignorieren. Ebenso bewusst ist mir, dass es nicht realisierbar sein wird, jedem schwerstbehinderten Menschen wie Steffen während des gesamten Tages eine qualifizierte Einzelbetreuungskraft zur Verfügung zu stellen. Aber schon bei der Veranstaltung „Menschen mit Behinderung im Deutschen Bundestag“ hatte ich einige Vorschläge für erste Schritte gemacht – angefangen bei der Festlegung eines Gruppenlimits bis hin zu anderen Formen der Tagesbetreuung außerhalb von Werkstätten, die mit der vorhandenen Eingliederungshilfe durchaus finanzierbar wären. Die Politik muss halt anfangen, sich mit diesem unbequemen Thema zu beschäftigen.
kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche an PolitikerInnen, Behindertenbeauftragte bzw. an die Verwaltung hätten, was sollten diese tun, um Ihre und die Situation von anderen Eltern und natürlich für die behinderten Menschen, die Sie unterstützen, zu verbessern?
Gisela Maubach: Den größten Wunsch hatte ich in Berlin schon sehr anschaulich in der Arbeitsgruppe „Arbeit und Soziales“ vorgetragen, und dieser Wunsch wurde auch von allen anderen Teilnehmern unterstützt. Der Gesetzgeber soll geeignete Maßnahmen ergreifen, um das weitverbreitete Verweigern von Leistungen durch die zuständigen Kostenträger zu beenden. Es kann nicht hingenommen werden, dass Menschen mit Behinderung bzw. ihre Angehörigen sich so häufig durch alle Instanzen kämpfen müssen, um ihre gesetzlichen Ansprüche geltend zu machen, während die rechtswidrig handelnden Kostenträger mit diesen Praktiken viel Geld sparen und keine Sanktionen zu fürchten haben.
Selbst höchstrichterliche Entscheidungen werden nach wie vor ignoriert – wie zum Beispiel das Urteil des Bundesfinanzhofes vom April 2013, wonach Sozialhilfeträger grundsätzlich nicht berechtigt sind, das Kindergeld abzuzweigen, wenn das Kind im Haushalt der Eltern lebt. Trotzdem gibt es in einigen Teilen Deutschlands immer noch Eltern, deren Kindergeld doch abgezweigt wird und von denen ein unzumutbarer Bürokratie-Aufwand verlangt wird. Ebenso ignoriert wird nach wie vor die Dienstanweisung, dass Menschen mit Behinderung in den ersten Werkstatt-Jahren für ihren Lebensunterhalt nicht zum Jobcenter verschoben werden dürfen, denn dort bekommen sie natürlich keine Leistungen, wenn die Eltern über Einkommen verfügen. Hier lautet mein Wunsch, dass diejenigen Mitarbeiter beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die ich hinsichtlich dieser Vorgehensweise wiederholt angeschrieben habe, dann auch mal antworten, ob sie bei dem bewusst rechtswidrigen Handeln von Ämtern denn keinen Handlungsbedarf sehen.
Und mein letzter Wunsch ist an die Selbstvertreter in der Behindertenbewegung gerichtet: Bitte betrachtet uns nicht-behinderte Eltern nicht als Gegner von Selbstvertretern! Wir möchten einfach nur nicht ausgeschlossen werden, damit auch unsere Kinder auf die Inklusions-Tagesordnungen kommen und zukünftig nicht mehr vergessen werden.
kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg