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40 Jahre Inklusionsbetriebe – Inklusion oder institutionalisierte Auslagerung?

Baustelleschild in gelb mit der Aufschrift
Dauerbaustelle "Inklusion"
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet)

Was auf den ersten Blick nach einem Erfolg klingt, muss uns eigentlich alarmieren: Nach 40 Jahren braucht es weiterhin Inklusionsbetriebe. Das Fehlen echter Inklusion wird verschleiert, indem diese Sonderstrukturen als Lösung gefeiert werden. Ursprünglich als Brücke zum regulären Arbeitsmarkt gedacht, haben sie sich längst zum System stabilisiert – ein System, das Teilhabe verwaltet, statt sie zu ermöglichen.

Inklusionsbetriebe werden formal dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugerechnet und sind rechtlich anders strukturiert als Werkstätten. Sie beschäftigen zwischen 30 und 50 Prozent Menschen mit Schwerbehinderung, zahlen Mindestlohn und werden durch Ausgleichsabgaben gefördert. Im Jahr 2023 waren 1 107 solcher Betriebe aktiv, sie beschäftigten 28 233 Menschen – darunter 13 641 mit Schwerbehinderung, von denen 89 Prozent als besonders beeinträchtigt gelten.



Doch vor diesem Erfolg liegt die Realität: Insgesamt leben rund 7,9 Millionen Menschen mit Schwerbehinderung in Deutschland. Nur eine verschwindend geringe Zahl von ihnen ist über Inklusionsbetriebe in reguläre Arbeit eingebunden. Gleichzeitig arbeiten mehr als 310 000 Menschen mit Behinderung in Werkstätten. Der Anteil derer, die von dort aus in den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln, liegt bei unter einem Prozent pro Jahr. Diese Zahlen zeigen deutlich: Inklusion durch Inklusionsbetriebe bleibt strukturell marginal.

Hier stellt sich die zentrale Frage: Handelt es sich bei Inklusionsbetrieben tatsächlich um ein inklusives Modell – oder schlicht um eine von der Gesellschaft möglicherweise akzeptierte oder sogar gewollte Lösung ohne jeden Inklusionsanspruch? Die Zahlen sprechen für Letzteres. Ein Modell, das einige Zehntausend Menschen auffängt, während Hunderttausende in Sonderstrukturen verbleiben und Millionen vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, kann nicht ernsthaft als inklusiv bezeichnet werden. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass Inklusionsbetriebe nicht als Übergang gedacht sind, sondern längst als Dauerlösung toleriert werden – weil sie das eigentliche Problem verdecken: den unwilligen, unzugänglichen und strukturell selektiven Charakter des allgemeinen Arbeitsmarkts.

Der Begriff „Inklusion“ im Namen dieser Betriebe ist irreführend. Er suggeriert gesellschaftliche Normalität, wo strukturelle Aussonderung stattfindet. Was als Inklusion verkauft wird, ist in Wahrheit eine institutionalisierte Sonderstruktur mit eigener Logik, eigenen Fördermitteln und wenig Einfluss auf den regulären Arbeitsmarkt. Echte Inklusion bedeutet nicht, dass Menschen mit Behinderung an bestimmten Orten auch arbeiten dürfen. Sie bedeutet, dass sie überall dort arbeiten können, wo andere es auch tun – ohne Sonderetikett, ohne Sonderstatus, ohne Sonderbehandlung.

Noch immer wird behauptet, Inklusionsbetriebe seien notwendig, um Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt vorzubereiten. Doch das ist die verkehrte Perspektive. Es ist nicht der Mensch mit Behinderung, der vorbereitet werden muss. Es ist die Arbeitswelt und die Gesellschaft, die endlich auf Vielfalt und Teilhabe vorbereitet werden müssen. Die ständige Rede von Förderung und Heranführung wirkt heute wie eine bequeme Ausrede, um strukturelle Verantwortung weiter zu verschieben. Nach 40 Jahren zählt diese Ausrede nicht mehr. Sie war vielleicht einmal gut gemeint, sie war vielleicht pragmatisch gedacht – aber sie ist längst zur Verwaltung von Ausgrenzung geworden.

Inklusionsbetriebe gehören für mich weiterhin zu den Sonderprogrammen – genau das, was sie faktisch sind. Unabhängig davon, wie sie rechtlich eingeordnet oder politisch gefeiert werden, bleiben sie strukturell getrennt, begrenzt und kompensatorisch. Sie existieren, weil der allgemeine Arbeitsmarkt seiner Verpflichtung zur Inklusion nicht nachkommt – nicht, weil er inklusiv geworden wäre. Dass diese Betriebe dauerhaft benötigt werden, offenbart nicht ihr Gelingen, sondern das anhaltende Versagen der gesellschaftlichen und ökonomischen Normalstrukturen. Sie sind nicht Beleg für Teilhabe, sondern für deren systematisierte Umgehung.

Ein Blick auf die Zahlen macht das deutlich. Über 179 000 Unternehmen in Deutschland sind gesetzlich verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Schwerbehinderung zu besetzen. Doch nur 39 Prozent halten diese Quote überhaupt ein, 26 Prozent erfüllen sie gar nicht. Wer hier noch von einem inklusiven Arbeitsmarkt spricht, ignoriert die strukturelle Realität. Die Wirtschaft wird durch Inklusionsbetriebe entlastet – aber nicht verändert. Inklusion wird ausgelagert, nicht umgesetzt.

Ein Blick auf die Gästeliste der 40-Jahr-Feier der BAG Inklusionsfirmen zeigt, wer den Diskurs dominiert: Staatssekretärinnen, Bundestagsabgeordnete, Funktionäre großer Träger, Vertreter von Aktion Mensch und Förderinstitutionen. Was auf den ersten Blick wie eine breite Allianz aussieht, offenbart bei näherer Betrachtung eine klare Schlagseite: Es fehlen kritische Selbstvertretungen, Menschen mit Behinderung in aktiven Entscheidungsrollen und insbesondere jene, deren Teilhabe scheitert – etwa ehemalige Werkstattbeschäftigte, langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderung oder unabhängige Aktivistinnen und Aktivisten.

Auch hier zeigt sich: Inklusion wird über Menschen mit Behinderung gesprochen, nicht mit ihnen auf Augenhöhe. Sichtbarkeit ersetzt Mitsprache. Repräsentation ersetzt Macht. Diejenigen, um deren Zukunft es geht, sind auf solchen Podien entweder symbolisch präsent oder ganz abwesend.

Eine echte inklusive Veranstaltung müsste genau umgekehrt aufgebaut sein: Nicht als Bühne für politische Selbstvergewisserung, sondern als Raum für geteilte Verantwortung, streitbare Perspektiven und gleichberechtigte Beteiligung an Analyse und Gestaltung. Doch so bleibt die Gästeliste ein Abbild dessen, was das System schützt – nicht dessen, was es verändern will.

Und wie ich es immer wieder betone: Wo „Inklusion“ auf dem Schild steht, ist meist keine drin. Der Begriff wird inflationär verwendet, um Sonderlösungen als gesellschaftlichen Fortschritt zu verkaufen. Doch echte Inklusion braucht kein Etikett. Sie zeigt sich dort, wo Menschen mit und ohne Behinderung ganz selbstverständlich zusammenarbeiten, ohne dass ein eigenes Förderprogramm sie sichtbar machen müsste. Was mit dem Wort „Inklusionsbetrieb“ versprochen wird, ist oft nur gut gemeinte Verwaltung von Ausgrenzung. Denn solange die Gesellschaft es nötig hat, eigene Betriebe zu schaffen, um Menschen mit Behinderung überhaupt eine Teilhabe zu ermöglichen, wird nicht Inklusion praktiziert, sondern deren Auslagerung.

Fazit

Inklusionsbetriebe mögen notwendig sein – nicht, weil das System inklusiv wäre, sondern gerade weil es das nicht ist. Sie lösen kein strukturelles Problem, sie kompensieren es – und tragen dabei oft zu seiner Verfestigung bei. Was einst als Übergang gedacht war, ist längst zur festen Institution geworden. Wer Inklusion ernst meint, muss sich mit der Realität auseinandersetzen: mit Ausschlussmechanismen, mit normierenden Arbeitswelten und mit politischer Mutlosigkeit. Echte Inklusion entsteht nicht durch Sonderlösungen, sondern durch eine radikale Öffnung des Allgemeinen.