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35 Jahre BR-Radltour – aber keine Standards für Barrierefreiheit?

Ein Mann in einen Anzug und Zylinder aus dem Letzte Jahrhundert stzeht bei seinem Hoch-Rad. Schwarz Weiß Foto
35 Jahre BR-Radltour – und immer noch mit Denkweisen von vorgestern!
Foto: Ralph Milewski

Fladungen (kobinet) Die BR-Radltour gilt als eine der größten und traditionsreichsten Freiluftveranstaltungen des Bayerischen Rundfunks. Seit über drei Jahrzehnten tourt sie durch Bayern, bringt Menschen in Bewegung, verbindet Regionen und erreicht eine breite Öffentlichkeit. Was erstaunlich bleibt: Auch im Jahr 2025 scheint es keine verbindlichen Standards für Barrierefreiheit zu geben. Auf eine konkrete Anfrage hin, welche barrierefreien Übernachtungsmöglichkeiten, Sanitäreinrichtungen, Zugänge oder Informationsangebote geplant sind, verweist der BR ausschließlich auf "laufende Planungen". Man arbeite daran, Inklusion zu "berücksichtigen". Von etablierten Konzepten, standardisierten Abläufen oder festen Anforderungen gegenüber den Etappenorten ist keine Rede.

Die Veranstaltung wird jedes Jahr in mehreren Städten durchgeführt. Dabei müssten Routinen, Erfahrungswerte und Mindestanforderungen längst vorhanden sein. Wer eine so große und regelmäßig wiederkehrende Tour organisiert, plant nicht zum ersten Mal. Doch der BR gibt sich, was die Barrierefreiheit angeht, als wäre es ein Probelauf.

Dabei ist Barrierefreiheit kein optionales Extra, sondern eine gesetzlich verankerte Verpflichtung – insbesondere für öffentliche Einrichtungen und Akteure wie den Bayerischen Rundfunk. Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verpflichtet in §§ 4, 11 und 13 zur baulichen wie auch zur digitalen und kommunikativen Barrierefreiheit. Informationen müssen zugänglich, Veranstaltungen für alle nutzbar sein. Die Einhaltung dieser Vorgaben kann und darf nicht von Einzelfallentscheidungen abhängen.

Tatsächlich ist nicht nachvollziehbar, warum es scheinbar keine Checklisten, Konzepte oder Mindeststandards gibt, die für jeden Etappenort verpflichtend sind. Während in anderen Bereichen der BR-Radltour minutiös geplant wird – von Sicherheitsdiensten bis hin zu Medienpartnerschaften – bleibt die Barrierefreiheit im Ungefähren. Dass eine Veranstaltung dieser Größenordnung nicht an allen Orten eine vollständige Barrierefreiheit garantieren kann, ist verständlich. Aber gerade deshalb braucht es verbindliche Mindeststandards, öffentliche Informationen und einen transparenten Umgang mit dem, was (noch) nicht geht.

Ein weiterer Aspekt ist die Rolle der beteiligten Kommunen. Wenn der BR selbst keine Standards vorgibt, wie können Städte überhaupt wissen, was erwartet wird? Werden sie überhaupt dazu aufgefordert, barrierefreie Toiletten, Rampen oder Informationen in Leichter Sprache bereitzustellen? Oder bleibt auch das im Ungefähren? Wer nicht fordert, kann nicht einfordern. Der Verweis auf die „Größe der Veranstaltung“ ist in diesem Zusammenhang eher Ausrede als Argument.

Hinzu kommt: Die Planung einer Veranstaltung dieser Größenordnung beginnt in der Regel weit über ein Jahr im Voraus. Dass relevante Informationen zur Barrierefreiheit erst wenige Monate vor Veranstaltungsbeginn „gesammelt“ werden, lässt nicht auf strukturelle Verankerung, sondern auf organisatorisches Improvisieren schließen. Inklusion kann aber nicht im Endspurt nachgeholt werden. Sie muss von Beginn an mitgedacht und umgesetzt werden – nicht als Zusatz, sondern als Grundbedingung.

Noch gravierender ist: In 35 Jahren BR-Radltour wurde das Thema Barrierefreiheit offenbar zu keinem Zeitpunkt systematisch mitgedacht oder öffentlich kommuniziert. Weder in den Broschüren noch auf den Veranstaltungswebsites der Vorjahre finden sich Hinweise auf barrierefreie Zugänge, Toiletten oder Kommunikationsangebote. Es gibt keinen öffentlich einsehbaren Standardkatalog, keine Berichte über barriereorientierte Planung und auch keine Ansprechpersonen für Betroffene. Wer recherchiert, findet: nichts.

Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die strukturelle Verantwortung. Barrierefreiheit ist keine öffentlichkeitswirksame Zusatzoption, sondern eine gesetzlich verankerte Voraussetzung – vor allem für einen öffentlich-rechtlichen Sender. Dass man sich nach Jahrzehnten noch in vagen Absichtsbekundungen verliert, ist Ausdruck eines systemischen Versäumnisses.

Die zentrale Frage lautet daher: Wie kann es sein, dass der BR als Veranstalter nach über 35 Jahren keine festen Standards zur barrierefreien Durchführung der BR-Radltour etabliert hat? Wer trägt die Verantwortung dafür, dass das Thema jedes Jahr neu „mitgeplant“ werden muss – statt Teil eines fest verankerten Planungskatalogs zu sein?

Statt Inklusion jedes Jahr neu zu erfinden, wäre es an der Zeit, sie als festen Bestandteil der Struktur zu begreifen. Und sichtbar zu machen. Denn Teilhabe darf nicht vom Zufall abhängen. Inklusion beginnt nicht mit den Teilnehmer*innen auf der Bühne, sondern mit den Menschen, die sich überhaupt trauen, vor Ort zu erscheinen. Wenn schon die Information zur Barrierefreiheit fehlt, beginnt die Ausgrenzung lange vor dem ersten Tritt in die Pedale.