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Staufen (kobinet) Dass aus Kreisen des Behindertenaktivismus beinahe keine Stimme zu vernehmen ist, die dem politischen Furor in Sachen Verteidigung und Kriegsvorbereitung widerspricht, erschreckt und bekümmert mich. Insbesondere vor dem geschichtlichen Hintergrund der "kriegsverwertbaren Menschenversuche" an Behinderten und chronisch Kranken während der NS-Zeit. Und zwar einmal mehr, nachdem einer durchaus verlässlichen Quelle zu entnehmen war, dass Militärs und ihre Technologie-Entwickler den Kriegsverlauf in der Ukraine auch unter dem Gesichtspunkt "kriegstechnisch verwertbarer Menschenversuch" genauestens studieren und auswerten. – Zu diesem den erwartbaren militärischen Zynismus nochmals übertreffenden "kalkulierten Menschenverschleiß" hier einige Absätze aus meinem Essay "Unseren Masters of War ins Wort fallen".
Besonders Vulnerable vom derzeit laufenden „Menschenversuch Drohnenkrieg“ ausgenommen?
Schwer erträglich empfinde ich es, in Anbetracht der tödlichen Indifferenz moderner Massenvernichtungswaffen unter den Opfern nach „unterschiedlich Vulnerablen“ zu differenzieren. Dennoch komme ich in diesem Zusammenhang auf die ganz besonders gefährdete Gruppe der Behinderten zu sprechen, weil sie in der Zeit des Nationalsozialismus und während des Zweiten Weltkriegs einer „Sonderbehandlung“ unterzogen wurden. Die Nazis unternahmen Menschenversuche an ihnen, von deren Ergebnissen sie sich auch „kriegsverwertbare Erkenntnisse“ versprachen. An dieses grausige Kapitel muss ich denken, seitdem ich kürzlich den Experten Andrew Denison von der Denkfabrik „Transatlantic Networks“ im Deutschlandfunk sagen hörte: Egal, ob der mittlerweile drei Jahre andauernde Krieg in der Ukraine für beide Kriegsparteien hinsichtlich Sieg oder Niederlage am Ende auch ergebnislos verläuft, so habe der Krieg für die künftige Kriegsstrategie und vor allem an kriegstechnischer KI-Entwicklung interessierte Militärexperten dennoch schon jetzt Daten von unschätzbarem Wert geliefert. Mit andern Worten, man hat die russischen und die ukrainischen Soldaten, nicht nur als „Kanonenfutter“ benutzt, den führenden Militärs und den Entwicklern von Kriegstechnologie haben sie zudem als „Versuchskaninchen“ gedient.
Jene unentbehrlichen Daten, die zu Friedenszeiten noch so realistische, „wirklichkeitsgetreue“ Kriegssimulation durch Manöver und Übung den Kriegsherren für ihre aufregenden technologischen Innovationen nicht zu liefern imstande ist, liefert ihnen lebendiges Experimentieren am soldatischen Versuchsmaterial im bereits laufenden Krieg. Die dadurch erzielten kriegstechnischen Quantensprünge versetzen Militärs und Kriegsentwickler in euphorische Zustände. Was also die Masters of War mit ihrem soldatischen Menschenversuch machen, wäre somit kein Geheimnis, eine informierte Öffentlichkeit kann sich nicht damit entschuldigen, sie wisse von nichts. – Was umgekehrt der Menschenversuch mit seinen Opfern macht, dem „menschlichen Versuchsmaterial“, darüber konnte man unlängst erschreckend Anschauliches in der Deutschlandfunk-Sendung „Wissenschaft im Brennpunkt“ erfahren. „Nerventerror, wie der Drohnenkrieg in die Ohren kriecht“ berichtet von bewaffneten Drohnenschwärmen, die wahllos militärische Verbände und zivile Menschenansammlungen akustisch terrorisieren, bevor sie tödlich zuschlagen. Die Überlebenden leiden an brutalen Langzeitfolgen, der Soundterror dringt ihnen ins Ohr, um sie nie mehr zu verlassen. Unter Soldaten und Zivilisten hinterlässt der Drohnenkrieg massenhaft körperliche und seelische Wracks.
Ein den Drohnenkrieg in der Ukraine beobachtender Oberst des österreichischen Heeres im Originalton: „Die ukrainische Armeeführung hat vor nicht allzu langer Zeit ein Video veröffentlicht, wo sie kurz geschnitten hundert Sequenzen sehen, wie russische Soldaten sich umbringen. Alles gefilmt von Drohnen, ich betone das deswegen, weil sie Angst haben von der Drohne getroffen zu werden und nicht mehr in der Lage zu sein, den Übergang vom Leben zum Tod in der Hand zu haben. Darum versuchen sie sich umzubringen, so verzweifelt sind sie…“ Das russische Militär wiederum rächt sich, indem es mit Drohnen Jagd auf Menschen in den Straßen von Cherson und Charkiw macht. – Was der drohnenterroristische Menschenversuch mit den unfreiwilligen Probanden macht, fasst ein französischer Beobachter im Feature folgendermaßen zusammen: „Ob nun Soldaten oder Zivilisten, der Drohnenkrieg bringt sie alle in eine nur schwer erträgliche Lage. Drohnen terrorisieren und lähmen ganze Bevölkerungen. Neben den Toten, den Verletzten, der Zerstörung, der Wut und der Trauer ist genau das der Effekt, permanente tödliche Überwachung. In der Tat eine Art geistiges Gefängnis, das nicht aus Mauern oder Gitterstäben besteht, sondern aus endlos kreisenden fliegenden Wachtürmen.“
Das schockierende Feature über den „Menschenversuch Drohnenkrieg“ hat mein „Sondervermögen in Sachen Nachdenken“ getriggert und mich zu dem Gedankenspiel veranlasst, “ stellt euch vor, es ist Krieg und niemand muss hin – der Krieg kommt zu euch!“ – Vor Jahrzehnten zu einer weltpolitisch ähnlich bedrohlichen Zeit, gab es den Spruch, „stell dir vor, es ist ist Krieg und keiner geht hin“. Richtig hätte es schon damals heißen müssen: Stellt euch vor, es ist Krieg und niemand kann vor ihm weglaufen. Also stelle ich mir vor, es ist soweit, der Krieg ist da, sein flächendeckender Menschenversuch, vor dem es kein Entrinnen gibt. Nirgends. Der Krieg ist da und er ist überall, am Boden und in der Luft, auf dem Land, in der Stadt. Niemand läuft weg, alle laufen durcheinander. Zivilisten und Kombattanten, Kinder und Alte, Blinde mit Blindenstock, chronisch Kranke im Rollstuhl. Drohnenalarm, doch zu spät, sinnlos, wie der der Überschallraketen, so kennt auch der Drohnenangriff praktisch keine Vorwarnzeit, von einer Minute auf die andere ist die Hölle los. Darum läuft niemand weg, mitten im Inferno, alle laufen durcheinander, kopflos, kreuz und quer. Aber die Drohnen sind da und sie sind überall und sie verfolgen alle überall hin. Die Blinden sehen die Drohnen nicht, aber sie hören sie, die Akustik ist unverwechselbar, das anschwellende, sich nähernde Geräusch. Und bei allem Horror geht es demokratisch zu, niemand weiß, wann er oder sie an der Reihe ist, wann die verfolgende Drohne sich auf das Opfer stürzt und seinen Körper in Stücke reißt. Sicher ist nur, niemand entkommt.
Dann jedoch geschieht ein Wunder. Völlig unerwartet verhalten sich einige der Drohnen wählerisch und die Auserwählten dieses unvorhersehbaren Wunders sind – die Blinden und die mit Rollstuhl. Ausnahmslos alle werden von den Drohnen zerfetzt, Zivilisten und Kombattanten, Junge und Alte, nur die Behinderten nicht. – Wer hat es vermocht, ein solches Wunder zu wirken, was ist des Rätsels Lösung? Die Antwort ist verblüffend einfach. Die neue elektronische Patientenakte der durch das Wunder Begünstigten enthielt das verschlüsselte Datum „behindert“. Die Daten der Akte liegen dank korrekter Amtshilfe der Drohnen-Leitstelle vor, mit dem Vermerk „Behinderte verschonen“. Und hinter dieser wundersamen Ausnahmeregelung verbirgt sich keine andere Instanz als die „Masters of War“, sprich die obersten Militärs und ihre Kriegstechnologie-Entwickler. In einer Presseerklärung lassen sie verlauten: „Wir betrachten es nicht nur als ein humanitäres Anliegen, sondern als unsere moralische Pflicht und Schuldigkeit, die Behinderten aus der Liste der kriegsrelevanten Ziele von Drohnenangriffen zu streichen. Sie stellen eine Kategorie menschlicher Ziele dar, die bereits in der Vergangenheit bei ähnlichen Menschenversuchen ihr Soll erfüllt hat. Darum sind ihre Angehörigen vom derzeit laufenden flächendeckenden Menschenversuch auszunehmen. Eine andere Entscheidung lässt unser menschliches und militärisches Gewissen einfach nicht zu!“
(Vollständiger Text meines Essays in der kobinet-Literaturbeilage vom 27. Februar, https://kobinet-nachrichten.org/2025/02/27/literaturbeilage-unseren-masters-of-war-ins-wort-fallen/)