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Behindertenpolitischer Gabentisch bleibt weitgehend leer

Ottmar Miles-Paul
Ottmar Miles-Paul
Foto: Irina Tischer

Berlin (kobinet) Während noch die letzten Geschenke für Weihnachten besorgt werden und die Gabentische so langsam bestückt werden, ist eines im Vorfeld des diesjährigen Weihnachtsfestes schon klar: Der behindertenpolitische Gabentisch bleibt in diesem Jahr trotz einer Vielzahl von wiederholten Versprechungen weitgehend leer. Auch wenn es keiner mildtätiger Gaben in Sachen Behindertenpolitik vonseiten der Politik bedürfte und es schlichtweg ausreichen würde, wenn diese ihren Verpflichtungen aus der von Deutschland bereits 2009 ratifizierten Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen gerecht würde, will aus behindertenpolitischer und menschenrechtlicher Sicht dieses Jahr, wie schon in so vielen Jahren zuvor, keine rechte Freude unter dem weitgehend leeren Gabentisch aufkommen, wie kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul am Vorabend des 24. Dezember 2024 feststellt.

Kommentar von Ottmar Miles-Paul

Dabei wäre es so leicht für die ehemalige Ampel aus SPD, Grünen und FDP gewesen. Vor drei Jahren hatten die Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP viele behinderte Menschen und ihre Verbände in der Vorweihnachtszeit mit der Präsentation eines behindertenpolitisch sehr gut gelungenen Koalitionsvertrags freudig gestimmt und große Hoffnung verbreitet. Die Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG), des Behindertengleichstellungsgesetz für mehr Barrierefreiheit. Entscheidende Schritte für einen barrierefreien Nahverkehr und Initiativen für einen inklusiven Arbeitsmarkt und vieles mehr klang gut in den Ohren so mancher Zeitgenoss*innen.

Eine Weile lang dienten Ausflüchte wegen der Corona Pandemie und des russischen Angriffs auf die Ukraine erst einmal als verständliche Argumente für den Aufschub der Umsetzung dieser behindertenpolitischen Maßnahmen. Das Verständnis dafür schwand aber zusehends und als dann eine halbherzige Minireform mit dem Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarkts verabschiedet wurde, vertrauten immer noch viele den Versprechungen der Regierungskoalition, dass da noch einiges mehr kommt.

Ende August 2023 lauschten viele immer noch hoffnungsfroh bei den vielen Bekundungen der Vertreter*innen Deutschlands vor dem Ausschuss der Vereinten Nationen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zur Staatenprüfung Deutschlands mit den vielen Verweisen, was die Koalition noch alles in dieser Legislaturperiode umsetzen will. Wieder ein Grund zur Hoffnung. Viele Ideen, Untersuchungen und sogar Gesetzentwürfe lagen spätestens Anfang 2024 vor, aber Woche um Woche, Monat um Monat, blieb es bei Vertröstungen und verschlossenen Schubladen, in denen die Referentenentwürfe schlummerten. Als die Ampelkoalition dann im November 2024 platzte war spätestens klar, dass dies behindertenpolitisch gesehen kein schönes Weihnachten wird. Und auch die Hoffnung, dass sich diejenigen, die gerne große Reden in Sachen Inklusion und Barrierefreiheit schwingen im Bundestag fraktionsübergreifend zusammen raufen und die verbleibende Zeit bis zur Neuwahl noch für einige Reformen nutzen, war vergebens. Ihnen fehlt leider, wie schon so oft bewiesen, die Durchschlagskraft in ihren Fraktionen. Der Wahlkampf scheint da wichtiger zu sein. Auch die Rute von Knecht Ruprecht, die die Verbände zum Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen versucht haben, auszupacken, blieb wirkungslos und erreichte nicht diejenigen, die es verdient hätten, ob ihrer Untätigkeit zurechtgewiesen zu werden.

So blicken behindertenpolitisch gesehen nun viele auf einen weitgehend leeren Gabentisch mit den schönen Klängen von Inklusionsgedudel, dem Beigeschmack von täglich massenhaft stattfindenden Menschenrechtsverletzungen in Deutschland und wenig Hoffnung, dass eine neue Regierung unter den sich derzeit abzeichnenden Mehrheiten einen Wandel in der jahrzehntelangen praktizierten Exklusionspolitik in Deutschland bringen könnten. Diejenigen, die großes Beharrungsvermögen an diesem Exklusionssystem praktizieren, können demgegenüber erneut ein recht angenehmes Weihnachtsfest genießen und vielleicht den einen oder anderen Sektkorken knallen lassen. Bei diesen miesen Aussichten auf den leeren Gabentisch bleibt für die Behindertenbewegung leider nur die Besinnung auf sich selbst, dass wir trotz dieser Enttäuschungen nicht locker lassen dürfen. So bleibt Weihnachten leider auch weiterhin ein Fest der Hoffnung.

Lesermeinungen

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Heidi Eiselein
26.12.2024 09:30

Mir scheint, dass die Abgeordneten des Bundestages seit den Forderungen, dass der Bundeskanzler Olaf Scholz zurücktreten bzw. die Vertrauensfrage stellen solle, unsere VOLKSVERTRETER ihrer angenommenen Aufgabe die Interessen des Volkes zu vertreten und zumindest bereits debattierte Gesetzesvorlagen nicht mehr entschieden. Ja sogar ganze Debattentage abzusetzen, ist nicht im Sinne deren Pflicht! Und dafür zahlt der Steuerzahler auch noch deren Bezüge.

Wir Menschen mit Behinderungen müssen nach wie vor um unsere Rechte klämpfen.

Ralph Milewski
23.12.2024 19:11

Lieber Ottmar,

dein Kommentar trifft voll ins Schwarze – der „behindertenpolitische Gabentisch“ ist mal wieder leer, und das trotz all der großen Worte und Versprechungen. Ich gebe dir vollkommen recht: Die Politik trägt eine enorme Verantwortung, weil sie ihre Verpflichtungen aus der UN-BRK seit Jahren verschleppt. Aber meiner Meinung nach geht die Schuld noch weiter – und genau das macht es so frustrierend.

Organisationen wie Aktion Mensch oder die Lebenshilfe verkaufen sich gerne als Vorkämpfer der Inklusion, während sie in Wirklichkeit genau das System am Leben halten, das Inklusion verhindert. Sie bauen Parallelwelten auf – Werkstätten, Förderschulen, Heime – und nennen das dann inklusiv. Statt echte Teilhabe zu ermöglichen, schaffen sie Abhängigkeiten und bewahren Strukturen, die längst überholt sein könnten. Und ja, das ist für sie ein Geschäftsmodell, das Arbeitsplätze und Einfluss sichert – auf Kosten derer, die eigentlich Teil der Gesellschaft sein sollten.

Die Medien spielen dieses Spiel perfekt mit. Statt über die Missstände zu berichten, erzählen sie lieber Heldengeschichten über „besondere Menschen“, die das Publikum zu Tränen rühren. Kritische Fragen werden vermieden – lieber bedient man die Mitleidsschiene oder feiert Sonderveranstaltungen wie die Special Olympics als Erfolg, obwohl sie das Gegenteil von Inklusion sind. So bleibt das System für die breite Öffentlichkeit unsichtbar – und die, die es hinterfragen, stehen als Spielverderber da.

Auch die Gesellschaft macht es sich leicht. Inklusion wird oft als Wohltätigkeit und nicht als Menschenrecht verstanden. Viele Menschen fühlen sich wohl mit den bestehenden Strukturen, weil sie Verantwortung abschieben können: „Die Lebenshilfe kümmert sich schon drum.“ Solange es schöne Bilder und Events gibt, denkt kaum jemand darüber nach, was es eigentlich bedeutet, wirklich gemeinsam zu leben und zu arbeiten.

Und auch wir als Bewegung müssen uns selbst kritisch hinterfragen. Es fehlt oft der Zusammenhalt, weil viele lieber auf kleine Erfolge setzen, statt radikalere Forderungen zu stellen. Viele Aktivist*innen sind selbst in den bestehenden Strukturen eingebunden und haben Angst, diese zu verlieren, wenn sie zu laut werden. Und dann gibt es die, die sich mit den Großen ins Bett legen, statt sie herauszufordern.

Die Möglichkeiten für echte Inklusion sind längst da – aber sie werden von der Politik, den Verbänden und einer bequemen Gesellschaft blockiert. Das ist kein Zufall, sondern ein System, das sich selbst erhält und jeden Wandel als Bedrohung sieht. Und genau hier müssen wir ansetzen. Die Frage ist nicht mehr, ob wir die Lösungen kennen – sondern warum wir sie nicht umsetzen.

Frohes Fest!

Uwe Heineker
Antwort auf  Ralph Milewski
24.12.2024 12:27

Ralph’s Ausführungen teile ich voll. „… radikalere Forderungen zu stellen“; scheint meiner Meinung und aufgrund eigener Erfahrungen als Aktivist besagter Bewegung nach der Schlüssel für die Umsetzung der Inklusion sein: wir müssen für die Mehrheitsgesellschhaft sehr viel sichtbarer werden, wofür wiederum eine andere Demonstrationskultur nötig ist. Dass und wie es geht, haben Amerikaner 1977 mit dem „504 Sit-In“ vorgemacht.

Uwe Heineker
Antwort auf  Uwe Heineker
25.12.2024 12:37

Nachtrag

hier wird besagter 504 Sit-In genauer beschrieben. Via google translate kann der englische Text ins Deutsche übersetzt werden