
Foto: Ralph Milewski
Fladungen (kobinet) Die Idee von Inklusion wird in vielen öffentlichen Debatten und Berichten immer wieder als ein großes gesellschaftliches Ziel angepriesen. Doch ein genauer Blick auf Formulierungen wie „Zugang zu (Inklusions-)Sport als Standard“ offenbart, dass wir uns oft nur mit einer Fassade der Inklusion begnügen. Statt wirklich alle Menschen gleichberechtigt in bestehende Strukturen einzubinden, werden Sonderlösungen geschaffen, die als inklusiv verkauft werden, jedoch die Trennung und Isolation der Betroffenen zementieren.
Der Begriff „(Inklusions-)Sport“
Schon die Formulierung „(Inklusions-)Sport als Standard“ (auf Seite 319 des Abschlussberichtes der Special Olympics World Games 2023) zeigt eine klare Trennung. Warum sprechen wir nicht einfach von Sport für alle? Warum wird Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ein gesonderter Zugang zu Sport eingeräumt, anstatt die bestehenden Strukturen so zu gestalten, dass sie für alle zugänglich sind? Die Antwort ist einfach: Weil es leichter ist, Sonderlösungen zu schaffen, als die gesellschaftlichen Strukturen so zu reformieren, dass sie wirklich inklusiv werden.
Die Rolle der Sportvereine
Der Bericht beschreibt, dass Sportvereine sensibilisiert werden und inklusive Ansätze fördern sollen. Das klingt positiv, doch gleichzeitig wird betont, dass diese Vereine spezielle Programme für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung entwickeln sollen. Statt Menschen mit Beeinträchtigungen als gleichberechtigte Mitglieder in die regulären Abläufe einzubinden, bleibt der Fokus auf separaten Angeboten. Dies verstärkt den Eindruck, dass diese Menschen nur als Teilnehmer von „besonderen Programmen“ und nicht als selbstverständlicher Teil der Gemeinschaft gesehen werden.
„Inklusives Ehrenamt“
Die Beschreibung der Rolle von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung als Volunteers in inklusiven Tandems während der Special Olympics wirkt fast wie eine Erfolgsmeldung. Doch warum ist es notwendig, ihre Einbindung besonders hervorzuheben? In einer wirklich inklusiven Gesellschaft wäre ihre Teilnahme am Ehrenamt selbstverständlich und keine Ausnahme, die gefeiert werden muss. Solche Hervorhebungen verdeutlichen, dass wir weit von echter Gleichberechtigung entfernt sind.
Standardisierte Sonderlösungen
Die Forderung nach „strukturellen und personellen Ressourcen“ und einer spezialisierten Ausbildung für inklusiven Sport zeigt, dass Menschen mit geistiger Beeinträchtigung weiterhin als besondere Zielgruppe betrachtet werden, die eigene Programme und Netzwerke benötigt. Anstatt die bestehenden Strukturen so zu verändern, dass sie alle Menschen einschließen, schaffen wir Parallelwelten, die als inklusiv deklariert werden, in Wirklichkeit aber die Trennung verstärken.
Das Paradoxon der Inklusion
Der Bericht macht deutlich, dass Inklusion oft als etwas verkauft wird, das in Wirklichkeit nicht erreicht wird. Statt Barrieren für alle abzubauen, wird eine eigene, separate Infrastruktur geschaffen, die Menschen mit Beeinträchtigungen isoliert. Diese Sonderlösungen führen dazu, dass sie als eigenständige Gruppe betrachtet werden, die besondere Bedingungen benötigt, anstatt als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden.
Fazit
Die fortlaufende Schaffung und Förderung von Sonderstrukturen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, wie sie im Bericht beschrieben wird, zeigt, dass wir uns mit einer falschen Form der Inklusion zufrieden geben. Echte Inklusion würde bedeuten, dass Menschen mit Beeinträchtigungen ohne separate Zugänge, spezielle Programme oder eigene Netzwerke an den gleichen Strukturen teilnehmen können wie alle anderen. Doch solange wir diese Form der Trennung als „Standard“ betrachten, sind wir weit davon entfernt, den Begriff der Inklusion wirklich mit Leben zu füllen. Es ist Zeit, dass wir uns kritisch mit diesen vermeintlich inklusiven Ansätzen auseinandersetzen und uns fragen: Ist das wirklich Inklusion oder nur eine bequemere Form der Exklusion?
Ein Plädoyer für Ehrlichkeit
Es wäre ehrlicher, wenn wir sagen würden: „Wir schaffen es derzeit nicht, alle Menschen in die bestehenden Strukturen gleichberechtigt einzubinden. Wir greifen auf Parallelstrukturen zurück, weil es einfacher ist und weniger Aufwand erfordert.“ Das mag unangenehm sein, wäre aber eine realistische Bestandsaufnahme. Stattdessen wird „Inklusion“ inflationär gebraucht, als Deckmantel für Maßnahmen, die mit dem eigentlichen Ziel nichts zu tun haben.
Der Missbrauch des Begriffs „Inklusion“
Wenn Inklusion auf Sonderveranstaltungen, Parallelstrukturen oder rein symbolische Maßnahmen reduziert wird, verliert der Begriff seine Kraft und Bedeutung. Das Wort wird zum Feigenblatt, um gesellschaftliche und institutionelle Unzulänglichkeiten zu kaschieren. Damit wird denjenigen, die wirklich für umfassende Teilhabe kämpfen, der Boden entzogen.
Die eigentliche Botschaft
Inklusion bedeutet nicht, Sonderwege zu schaffen, sondern bestehende Strukturen so zu verändern, dass sie für alle funktionieren. Wenn das nicht gelingt, sollten wir so ehrlich sein, dies zuzugeben, anstatt den Begriff „Inklusion“ für Ansätze zu missbrauchen, die Exklusion lediglich anders verpacken.
Ein Appell
Lasst uns mit dem Begriff „Inklusion“ verantwortungsbewusst umgehen. Lasst uns anerkennen, dass echte Inklusion ein steiniger Weg ist, der Zeit, Ressourcen und vor allem den Willen zur Veränderung erfordert. Wenn wir diesen Weg nicht gehen können oder wollen, sollten wir zumindest so mutig sein, das offen auszusprechen – und nicht mit falscher Rhetorik arbeiten. Denn nur so können wir verhindern, dass „Inklusion“ zu einem hohlen Wort wird, das niemand mehr ernst nimmt.
Ein ergänzender Blick von Stephan Laux
Die Kolumne „Großartige Stimmung!“ von Stephan Laux, erschienen in den kobinet-nachrichten, bietet eine weitere kritische Perspektive auf die Special Olympics World Games 2023. Laux beschreibt, wie die Veranstaltungen zwar kurzfristig eine positive Stimmung erzeugen, langfristig jedoch wenig zur nachhaltigen Inklusion beitragen. Er hebt hervor, dass solche Events oft eher das soziale Gewissen beruhigen, anstatt echte Veränderungen anzustoßen. Zudem thematisiert er die problematischen Zustände in Sondereinrichtungen und fordert deren Abschaffung zugunsten inklusiverer Wohn- und Betreuungsformen. Sein Beitrag unterstreicht, dass echte Inklusion nicht durch Parallelstrukturen, sondern durch die Umgestaltung bestehender Systeme erreicht werden muss.
Wahre Worte, die nun auch gesamtgesellschaftlich und von der Politik gleichermaßen begriffen und umgesetzt werden müssen – Deutschland muss inklusionstüchtig werden!