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„Urbi et Orbi“ oder „Wenn’s der Sache dienlich ist!“

Stephan Laux
Schwarz-weiss Porträt von Stephan Laux
Foto: Ralph Milewski

Villmar - Weyer (kobinet) In seiner neuesten Kolumne beichtet Stephan Laux ein Ereignis, das er selbst während seines letzten Sommerurlaubs inszeniert hat, und bittet unmittelbar vor Weihnachten um Absolution. Im Sommer war ich auf einer Veranstaltung in Wilhelmshaven. Arnd Zeigler (Fußballjournalist, Satiriker und Stadionsprecher von Werder Bremen) trat dort auf. Da ich mich während dieser Zeit mit einem Freund in der Nähe im Urlaub befand, hielt ich nach Karten für „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“ Ausschau. Auf der Veranstalterseite wurden Karten zum stolzen Preis von 37 Euro angeboten. Behinderte Menschen jedoch durften eine Begleitperson gratis mitnehmen.

Also setzte ich folgenden Plan um. Ich würde einfach beim Besuch des Events einen betreuungsbedürftigen Eindruck machen. Mein Freund, der übrigens ein Prof., Dr. der Biologie ist, sollte mich an seiner Hand durch den Eingang des alten Pumpwerkes in Wilhelmshaven zerren. Dabei würde ich mich unbeholfen und etwas störrisch anstellen. Der geprobte (laute und deutliche) Dialog sollte in etwa so ablaufen:

Prof.Dr.: Jetzt komm schon, Stephan, Du wolltest unbedingt zu Arnd Zeigler!

Ich: „Angst!“

Prof. Dr.: „Wir haben im Wohnheim das Abendessen abbestellt. Jetzt komm schon, Du bekommst auch eine Wurst und eine Cola!“

Ich: „Bier!“

Prof. Dr.: „Na gut. Du bekommst auch ein Bier. Wir haben heute ja die Medikamente weggelassen.“

Ich: „Viele Leute!“

Prof. Dr.: „Ja! Das ist halt so, bei so einer Veranstaltung. Andere Leute mögen Arnd Zeigler auch!“

Ich: „Angst! Viele Leute! Bier!“

Prof. Dr.: „Würden Sie uns bitte vorlassen?“

Viele Leute: „Natürlich! Kein Problem!“

Prof. Dr.: „Danke!“

Als wir die Kartenkontrolle zügig passiert hatten, habe ich das Projekt abgebrochen. Wir hätten uns sonst vor Lachen (bzw. Scham) nicht mehr auf den Beinen halten können.

Wenn ich mit meinen Freund*innen aus den Sondereinrichtungen auf solchen Veranstaltungen war, wurden nie irgendwelche Ausweise kontrolliert. Hätten wir unsere  Selbstbeherrschung aufrechterhalten können, hätte ich an diesem Abend mindestens eine Wurst und mehrere Flaschen Bier umsonst bekommen. Wir hätten auch in der 1. statt in der 34. Reihe sitzen können und ich hätte mindestens ein Selfie mit Arnd Zeigler gemacht.

Diese moralisch verwerfliche Aktion beichte ich in Bezug auf Ralph Milewskis Beitrag zur Identitätsfalle der Behinderung, der für mich u.a. folgende Fragen aufwirft:

  • Darf man als beeinträchtigter Mensch mit seiner Behinderung kokettieren? Um z.B. mehr Aufmerksamkeit, Rücksicht und Verständnis zu generieren. Oder auch nur, um auf seine Rechte aufmerksam zu machen.
  • „Lassen Sie den Mann durch! Sie sehen doch, er ist behindert.“ Wünscht man sich solche Fürsprache eines Mitmenschen als Betroffene oder Betroffener?
  • Ist die Offensichtlichkeit einer Beeinträchtigung mit dem Grad der Behinderung vergleichbar?
  • Sind Rechte von Menschen mit Behinderung Zugeständnisse der Gesellschaft an eine Randgruppe?
  • Muss das verhandelt werden?

Wahrscheinlich liegt die Antwort im Titel der Kolumne.

Ich wünsche mir zu Weihnachten eine „moralische Erneuerung“ für mich und den Erdenkreis.

Stephan Laux Dezember 2024

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Arnd Zeigler
18.12.2024 07:29

Das Selfie machen wir gerne beim nächsten Mal, und dann trinken wir auch ein Bier, wenn Du nicht zu störrisch bist. 🙂