Villmar - Weyer (kobinet) In seiner neuen Kolumne rät Stephan Laux den Leser*innen der kobinet Nachrichten, auf eine eigene Meinung zu verzichten. Die eigene Meinung ist schlecht für die Karriere und verpasst Ihnen einen zweifelhaften Ruf! Keine Angst! Das wird keine biografische Chronologie der letzten 6 Jahrzehnte. Mit zunehmendem Alter fragt sich Stephan Laux lediglich, welche Ereignisse ihn zu dem gemacht haben könnten, was er heute ist.
In meiner Kindheit, so erzählt man sich, also im Kindes- und frühen Schulkind-Alter soll ich ein ausgesprochen netter, allerdings aber auch verträumter Junge gewesen sein. In meiner Heimatgemeinde in Mittelhessen nannte man so jemanden wie mich einen „Gassenengel“! Meine beiden älteren Schwestern behaupten noch heute, ich hätte damals älteren Damen über die Straße geholfen, die gar nicht die Absicht hatten, diese zu überqueren.
Auch die Grundschulzeit soll von einem gewissen Charme meinerseits geprägt gewesen sein. Das änderte sich im Gymnasium spätestens ab der Oberstufe. Die Noten, die damals gerade in Punkte umgewandelt wurden, ließen sich auch durch noch so charmante Ausreden nicht ins Positive beeinflussen. Im Gegenteil. Noch heute bescheinigen mir ehemalige Mitschüler*innen auf Klassentreffen einen gewissen Unterhaltungswert während des Unterrichtes, der sich aber praktisch nie in meinen Zensuren abgebildet hat. Eine gewisse Verträumtheit, so sagt man, hätte ich mir bis heute erhalten. So soll mich ein Geschichtslehrer einmal gefragt haben, was an der Decke des Klassenraumes so interessant sei, weil ich während seines Unterrichtes immer zu ihr hoch starre, anstatt auf seine Aufzeichnungen an der Tafel? „Panzerspuren!“, soll ich geantwortet und so den Rest der Klasse ebenfalls zum Blick an die Decke verleitet haben.
Dieser Geschichtslehrer gehörte noch zu einer Generation von Leerkörpern, die die „Errungenschaften“ des 3. Reiches gerne einmal mit Aussagen wie „Es war nicht alles schlecht. Denken Sie nur an die Vollbeschäftigung oder die Autobahnen“, zu verharmlosen suchten. Mein Klassenverweis sollte mit meiner Einwände: „Bei allem Ihnen in keiner Weise gebührenden Respekt, das sehe ich anders!“ begründet werden. Ich wurde dann in einen Geschichtskurs versetzt, der erfreulicherweise von einem Alt Achtundsechziger geleitet wurde. So begab ich mich in Gesellschaft mehrerer vortrefflicher „Nestbeschmutzer“, die es u.a. wagten, die Methoden und Lerninhalte eines altsprachlichen und -ehrwürdigen Gymnasiums zu hinterfragen. Dass sich meine schulischen Prioritäten fortan darauf anstatt auf die Verbesserung meiner Zensuren konzentrierten, war dann auch ein Grund, warum ich mich außerstande fühlte, bis zum Abitur durchzuhalten und lieber eine Handwerkslehre begann.
In meiner Zeit als Handwerker war ich weniger rebellisch. Ein zu kurz abgeschnittenes Brett lässt sich nicht wegdiskutieren oder politisch begründen. Glauben Sie mir. Ich habe es versucht.
Nur einmal in dieser Zeit betätigte ich mich als astreiner Nestbeschmutzer. Das alljährlich stattfindende Oktoberfest der freiwilligen Feuerwehr meines Heimatnestes stand unter dem Motto: „O’zapft is!“, und verordnete den Teilnehmenden quasi Dirndlzwang. Das bezeichnete ich in einem Leserbrief in der heimischen Presse als kulturelle Aneignung und zog mir so den Zorn, nicht nur vom Veranstalter, zu. Damals bekam ich sogar einen anonymen Drohbrief mit dem Inhalt: „Sehr geehrter Herr Laux, auch bei Ihnen kann’s mal brennen“
Der Hang zum Diskutieren verhält sich in sozialen Berufen, insbesondere in der Behindertenhilfe, im Vergleich zum Handwerk diametral entgegengesetzt. Das kann ich beurteilen, habe ich mich doch lange und leidenschaftlich auch zum Leidwesen meiner Kolleg*innen daran beteiligt. In der ersten Hälfte meiner Tätigkeit in der Behindertenhilfe hatte ich jedoch den Eindruck, Diskussionen dienten eher dem Reflektieren des eigenen Tuns, um die Behindertenhilfe weiterzuentwickeln. Als manche Einrichtungen begannen, sich einen modernen und neoliberalen Anstrich zu verpassen, ging es nach meinem Empfinden immer mehr darum, „wer schuld ist“. Das System der meisten Einrichtungen in der Behindertenhilfe ist immer noch stark hierarchisch organisiert. Schauen Sie sich mal die Organigramme dieser Einrichtungen an. Im Prinzip regeln sie, „wer schuld ist“. Wenn mal was schiefläuft, in solch einer Einrichtung, also wenn ein Fehler passiert, trifft es meistens die, die ganz unten im Organigramm stehen. Das System gibt sich selten selbst die Schuld. Im schlimmsten Falle kann das zu leitungsgelenktem Mobbing führen und Nestbeschmutzer (heute Whistleblower) bieten sich dann als Schuldige geradezu an.
„Wir verdienen hier gutes Geld!“, ermahnte mich mein Vorgesetzter gerne, wenn ich es mit der Kritik am System (bzw. der Hand, die mich fütterte) mal wieder zu übertreiben drohte. Die Frage, ob mehr Geld dann zu besserem Geld wird und sich, je nach der Höhe der Gehaltsstufe, dann zu einer Art Schweigegeld entwickelt, traute ich mich damals dann nicht mehr zu stellen.
Und heute?
Neulich, auf einem Kongress, stellte mich eine der Organisatoren mal einer Teilnehmerin vor: „Das ist Stephan Laux. Er möchte die Sondereinrichtungen abschaffen.“ Um das bei dieser Gelegenheit einmal klarzustellen: „Möchte er nicht! Er möchte nur nicht, dass Inklusion draufsteht!“
Und als Kolumnist möchte er natürlich Aufmerksamkeit. Die Reichweite der Kolumnen bei kobinet lässt sich nicht messen. Es gibt keine Likes und keine Follower. Es gibt die „Lesermeinung“, die man übrigens auch mal gendern könnte! Daran liegt es hoffentlich nicht, dass davon wenig Gebrauch gemacht wird. Die Kolumnisten kommentieren sich, bis auf ein paar angenehme Ausnahmen, überwiegend gegenseitig. Fehlt es an Leser*innen, an Meinungen oder an beidem?
Oder liegt es daran, dass man sich als kritischer Kolumnist der Gefahr aussetzt, in der Aktivistenszene der Behinderten Community als Nestbeschmutzer wahrgenommen zu werden, weil man latent zu mehr Diskurs innerhalb der Szene und einem Quäntchen mehr Anarchie auffordert?
Wahrscheinlich ist Ignoranz ein wirksames Mittel gegen Nestbeschmutzer.
Deshalb zum Schluss dieser Kolumne noch ein hilfreicher Hinweis in Ihrem eigenen Interesse, verehrte Leserschaft.
Sollten wir uns zufällig mal an einem Straßenübergang treffen, zögern Sie nicht, mich abzuweisen!
Stephan Laux November 2024
Hallo Stefan, ich lese kobinet und auch Deine Kolumnen. Ich finde es gut, dass Du Dich auch für die Menschen mit Beeinträchtigungen einsetzt, die keine Stimme haben. Man merkt, dass Du auch in diesem Bereich tätig warst. Humor oder Ironie ist eine gute Art mit manchen Missständen besser fertig zu werden bzw diese auszuhalten. Psychohygiene.
Ich verstehe Dich auch, dass Dir Resonanz fehlt. Dies fehlt mir auch und wahrscheinlich Vielen. Es nützt garnichts mehr oder lauter zu werden, die Ignoranz hält an. Was sollen die Menschen mit Beeinträchtigungen noch tun? Die, die sich nicht wehren können, müssen in Depression und Lethargie fallen und tun dies auch.
Ich kann mich zwar wehren und kämpfen, aber es kommt nichts mehr dabei heraus.
Schreibe aber gerne weiter! Ich lese es gerne!
Liebe Anna,
herzlichen Dank für Deine ermutigenden Leserinnen-Meinungen!
Ein Grund mehr, weiterzuschreiben und den Humor nicht zu verlieren.
Beste Grüße
Stephan Laux
Lieber Stephan,
vielleicht haben wir beide und ein paar andere einen falschen Anspruch an kobinet. Auch wenn wir uns wünschen, dass dort ein intensiver Diskurs stattfindet, ist die Plattform in erster Linie ein Nachrichtenportal.
Dennoch stellt sich die Frage: Sind Kolumnen und Meinungen nicht mehr als bloße Nachrichten? Wenn wir dort Raum für persönliche Standpunkte und kritische Auseinandersetzungen finden, wäre es schade, diesen nicht auch für Diskussionen zu nutzen.
Es wäre ein Gewinn, wenn deine Kolumne Leser dazu ermutigt, sich mit unterschiedlichen Perspektiven zu befassen – denn das bringt uns allen mehr, als bloß Konsens zu erzeugen.
Beste Grüße,
Ralph