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Hohe Zahl an Diskriminierungsfällen unterstreicht dringenden Handlungsbedarf

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Foto: advd

Berlin (kobinet) Die hohe Zahl an Diskriminierungsfällen unterstreicht nach Ansicht des Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) den dringenden Handlungsbedarf. Hierzu hat die Organisation am 15. Oktober 2024 ein "Zivilgesellschaftliches Lagebild Antidiskriminierung 2023“ veröffentlicht und vorgestellt. Im Jahr 2023 wurden rund 2.600 neue Fälle von Diskriminierung gemeldet – und das allein bei zwei Dritteln der Antidiskriminierungsberatungsstellen im advd in 11 Bundesländern. Das erste "Zivilgesellschaftliche Lagebild Antidiskriminierung“ des Antidiskriminierungsverbands Deutschland unterstreicht damit: Diskriminierung ist kein Randphänomen, sondern trifft viele Menschen in allen Lebensbereichen. Das AGG als zentrales Antidiskriminierungsgesetz greift in einem erheblichen Teil der Fälle nicht. Deshalb fordert der advd: Die von der Regierung versprochene AGG-Reform muss endlich umgesetzt werden!

Der Antidiskriminierungsverband Deutschland hat erstmals die Beratungsdaten seiner Mitgliedsorganisation in einem Lagebild Antidiskriminierung ausgewertet. 2023 wurden bei den 25 unabhängigen Antidiskriminierungsberatungsstellen im advd, die an der gemeinsamen Auswertung teilnahmen, 2.605 neue Fälle von Diskriminierung gemeldet. Das macht 7 neue Fälle von Diskriminierung pro Tag – und das allein bei zwei Dritteln der Mitgliedsorganisationen im advd. Die Dunkelziffer ist viel höher, auch, weil viele Fälle die Beratungsstellen nicht erreichen. Der Rechtsruck sowie die Zunahme antidemokratischer Tendenzen und diskriminierender Debatten in Deutschland haben bereits und werden weiterhin schwerwiegende Folgen für Betroffene von Diskriminierung nach sich ziehen, wie viele Antidiskriminierungsberatungsstellen befürchten, heißt es in einer Presseinformation des advd.

Bei 50,4 Prozent der dokumentierten Diskriminierungsfälle handelt es sich um Rassismus / Antisemitismus. Gemeldet wurden 2023 vor allem Fälle von antimuslimischem und Anti-Schwarzem Rassismus, entsprechend 34,7 Prozent und 30,3 Prozent aller erfassten Fälle von Rassismus. Bei 19,2 Prozent um Diskriminierungen entlang von Behinderungen/chronischen Erkrankungen und bei 17,1 Prozent um sexistische Diskriminierung. Knapp ein Viertel der analysierten Diskriminierungsfälle findet im Kontext von Arbeit statt (24,7 Prozent), darauf folgen die Bereiche Bildung (18,8 Prozent) sowie Güter und Dienstleistungen (13,7 Prozent).

19,5 Prozent aller erfassten Diskriminierungsfälle waren mit Merkmalen verknüpft, die durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aktuell nicht geschützt sind, wie etwa Staatsangehörigkeit/Aufenthaltsstatus, Diskriminierung anhand der Sprache, des sozialen Status oder der Fürsorgeverantwortung. Insgesamt 33,5 Prozent der Diskriminierungsfälle spielen sich in den Lebensbereichen Bildung, Ämter und Behörden sowie Polizei/Justiz ab. Damit findet ein Drittel der dokumentierten Diskriminierungen in Lebensbereichen statt, die vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht abgedeckt sind: Ein klarer Handlungsauftrag für Politik und Gesellschaft, endlich umfassendere Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung zu ergreifen, so der Appell des advd.

Für die einheitliche Auswertung der Daten spielte die “Digitale Akte” des advd, eine Software mit praxisnahen Dokumentationsstandards, eine wichtige Rolle. Die Entwicklung der “Digitalen Akte” sowie die Erstellung des Lagebilds wurde vom Bundesprogramm “Demokratie leben!” des BMFSFJ gefördert.

Stimmen zum Zivilgesellschaftlichen Lagebild Antidiskriminierung 2023:

„Fallberatungsdaten tragen dazu bei, die vielfachen Diskriminierungsrealitäten sichtbarer zu machen. Daten zu Beratungsanfragen sind darüber hinaus zentral, um Leerstellen im Bereich des Diskriminierungsschutzes aussagekräftig aufzuzeigen“, sagt Dr. Bartek Pytlas, Projektleiter des Bereichs Dokumentation und Monitoring im advd.

„Antidiskriminierungsberatungsstellen leisten wichtige Arbeit in einer Demokratie, denn sie unterstützen Betroffene bei der Wahrnehmung ihrer Rechte auf Gleichbehandlung und zeigen die Lücken im Diskriminierungsschutz auf. Aber ihre Rahmenbedingungen müssen dringend besser werden. Die Ampelregierung muss endlich ihre Versprechen im Koalitionsvertrag umsetzen: Wir brauchen ein wirksameres Antidiskriminierungsrecht und bessere Beratungsstrukturen“, so Eva Maria Andrades, Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland.

„Das AGG ist sehr schwach. Es greift z.B. in den rassistisch aufgeladenen Nachbarschaftskonflikten sehr unzureichend, die zunehmend an uns gemeldet werden. Eine einschlägige Rechtsprechung fehlt. Daher ist eine bundesweite Stärkung der AD-Beratungsstellen, die die Betroffenen auch vorprozessual begleiten, notwendig. Auch Rechtshilfefonds können den Betroffenen helfen, ihre Rechte durchzusetzen und somit die Rechtssicherheit zu erhöhen,“ sagt TBB-Vorstandsmitglied Remzi Uyguner und Leiter der Beratungstelle FairMieten FairWohnen.

„In unserem Beratungsalltag beobachten wir, dass rassistische Äußerungen am Arbeitsplatz zunehmend toleriert oder bagatellisiert werden. Personen, die sich gegen solche Aussagen zur Wehr setzen, werden oft problematisiert und sehen sich negativen Konsequenzen ausgesetzt,” so äußert sich Charlotte Heyer, Projektleitung beim Antidiskriminierungsnetzwerk (adnb) des Türkischen Bunds Berlin-Brandenburg (TBB).