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60 Jahre Aktion Mensch: Was wäre wenn? Und was kommt jetzt?

Fragezeichen aus Blumen
Fragezeichen
Foto: Susanne Göbel

Kassel (kobinet) "Am 9. Oktober 1964 startete die Soziallotterie als 'Aktion Sorgenkind' im ZDF. Ihre Geschichte dokumentiert auch einen Wandel im gesellschaftlichen Umgang mit 'Behinderung'." So titelt das ZDF einen Beitrag mit der Überschrift "Start vor 60 Jahren: 'Aktion Mensch - Soziallotterie im Wandel", der am 9. Oktober 2024 ausgestrahlt wurde und in der Mediathek des ZDF noch zur Verfügung steht. Deutlich wird dabei aus welcher Zeit die heutige Aktion Mensch kommt. Was wäre, wenn die Behindertenbewegung nicht massiv interveniert hätte und die Soziallotterie in den 90er Jahren zur Namensänderung und auch zur Änderung ihrer Förderpolitik gedrängt hätte? Darüber kann man zum 60. Geburtstag der Aktion Mensch auch nachdenken, was kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul getan hat.

Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul

Vor kurzem konnte ich selbst meinen 60. Geburtstag begehen und weiß, dass dies ein gutes Alter ist, darüber nachzudenken, was war, welche Wegbiegungen des Lebens prägend waren, welche man vielleicht auch nicht nehmen hätte sollen. Aber vor allem bietet sich ein 60. Geburtstag gut dafür an, darüber nachzudenken, was noch kommen könnte bzw. was man noch erleben oder bewegen möchte. Und so lohnt ein kurzer Blick auf die nunmehr 60jährige Aktion Mensch: zurück, ins Hier und Jetzt und vor allem auch in die Zukunft.

Was wäre, wenn der von der Behindertenbewegung in den 80er und 90er Jahren geforderte Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik und -hilfe an der Aktion Mensch vorbei gegangen wäre? Wenn die damals Verantwortlichen nicht irgendwann verstanden hätte, dass man die Rufe der Behindertenbewegung nach Gleichstellung, Selbstbestimmung, Inklusion und Selbstvertretung nicht einfach ignoriert werden können, was wäre dann? Wir hätten heute im Zeitalter der UN-Behindertenrechtskonvention mit ihrer klaren Ansage für eine menschenrechtlich orientierte Bewusstseinsbildung wahrscheinlich immer noch eine „Aktion Sorgenkind“. Wir hätten wahrscheinlich keine öffentlichkeitswirksamen Kampagnen für Gleichstellung, Inklusion, Teilhabe und Selbstbestimmung. Wir würden vielleicht immer noch in der alten Förderpolitik der Aktion Sorgenkind feststecken, in der sehr viel Geld in den Aufbau von Sondereinrichtungen gepumpt wurde. Investitionen in aussondernden Einrichtungen, die wir heute überwinden müssen, für die wir Strategien zur Umwandlung hin zur Inklusion finden und umsetzen müssen. Und behinderte Menschen wären wahrscheinlich immer noch reine Objekte der Fürsorge.

Über all das kann man einmal in Ruhe nachdenken. Denn dass es heute nicht mehr so schlimm wie früher ist – ohne auch nur annähernd anzunehmen, dass die Aktion Mensch heute perfekt im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention wäre und noch viel Luft nach oben ist – dafür haben sich viele behinderte und auch nichtbehinderte Menschen engagiert und viel von ihrer Lebenszeit dafür gegeben. Doch was ist mit der Zukunft?

Eine solche Geschichte im Rücken, in der die Aktion Sorgenkind, zwar im Lichte der damaligen Zeit und des damaligen Geistes, entscheidend dazu beigetragen hat, dass wir in Deutschland heute ein solch ausgebautes Exklusionssytem im Bereich der sogenannten Behindertenhilfe haben, eine solche Geschichte verpflichtet besonders. Seit nicht einmal 25 von den insgesamt 60 Jahren der Aktion Mensch heißt diese nicht mehr Aktion Sorgenkind. Die Förderpolitik wurde zudem schleppend verändert und ist noch längst nicht voll auf Kurs der Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention. Daher gilt es nun mit dem Eintritt in eine neue Lebensphase der Aktion Mensch Dampf zu machen. Dampf dafür, dass wir unser Jahrzehnte lang gepuschtes und mit großer Macht ausgestattetes Exklusionssystem konsequent hin zur Inklusion und Selbstbestimmung verändern. Und dabei kann die Förderpolitik der Aktion Mensch einiges beitragen. Vor allem müssen behinderte Menschen selbst im Zentrum des Geschehens stehen, sitzen oder liegen. Also auch und gerade nach 60 Jahren gibt es noch sehr viel für die Aktion Mensch und damit für unsere gesamte Gesellschaft zu tun.

Link zum Bericht des ZDF vom 9. Oktober 2024 über die Entwicklung der Aktion Mensch

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Daniela Melzner
12.10.2024 06:16

Es wäre nett, wenn die Aktion Mensch auch Inklusion leben statt nur predigen würde. Es fällt schon auf, dass sie ständig auf Diversity-Konferenzen präsent ist, aber selbst keinen Aktionsplan zur Inklusion, keine Strategie zur Barrierefreiheit oder Diversity hat. Schön reden über Inklusion und Barrierefreiheit kann jeder, aber viele Institutionen wie etwa das BMAS setzen es deutlich besser um. Fällt euch auch negativ auf, dass man sehr selten behinderte Menschen als Expert*Innen von der Aktion Mensch oder in ihrer öffentlichen Kommunikation sieht?