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Nur konsequente Abschreckung kann uns jetzt noch retten – Aufruf an Behinderte und an Sonstige

Bleistiftzeichnung
Georg Büchner, intellektueller Abschrecker aus Hessen, das Vorbild unseres Kolumnisten.
Foto: Von Philipp August Joseph Hoffmann (1807 bis 1883) - Internetseite Stadt Gießen, Gemeinfrei

Staufen (kobinet) Diese Kolumne kommt nicht wie gewohnt pünktlich zur Monatsmitte, ich musste noch abschrecken. Hatte keine Ausrede, behindert oder nicht, Abschreckung geht vor! Gemäß dem Vorsatz: Hast du heute schon den Putting abgeschreckt? Fragt einer wieso, Pudding schreckt man nicht ab, nur Frühstückseier, so merkt ihr, dass da einer wieder gar nichts kapiert. Abschreckung ist eben nicht gleich Abschreckung. Darum geht es jetzt gleich, also bloß nicht abschrecken lassen und auf der Stelle weiterlesen. Das Frühstücksei, wenn abgeschreckt, kann warten und der Pudding sowieso, den heben wir uns für den Nachtisch auf.



Mein Einstand als intellektueller Abschreckungspolitiker

Angesichts der Bedrohungslage – „Fünf Jahre Galgenfrist“ (siehe Kolumne vom 1.Februar) – muss Abschreckung alltäglich werden! Also musste auch ich mich entscheiden. Allerdings, wenn Abschreckung nicht gleich Abschreckung ist, für welche entscheide ich mich? Entsprechend meiner geisteswissenschaftlichen Qualifikation habe ich mich für intellektuelle Abschreckung entschieden. Als intellektueller Abschreckungspolitiker richte ich mich gegen die augenblicklich schärfste Bedrohung: Gegen den sprachlichen Angriff auf unseren Verstand, seine Differenzierungsfähigkeit und sein Urteilsvermögen. Meine stärkste und hoffentlich maximal abschreckende Angriffswaffe: Gedanklich auf jede zustimmende Äußerung zu militärischer Abschreckungspolitik systematisch den bewährten Grundsatz anwenden: „Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden.“ (siehe Quellenangabe am Schluss der Kolumne)

Im Folgenden ein paar Beispiele für intellektuelle Abschreckungspolitik. Mir geht es dabei um die exemplarische Vorführung des Prinzips, damit jede und jeder lernt, es auch selber anzuwenden, sobald er oder sie sich dem Angriff oder dem Trommelfeuer militärischer Abschreckungspolitik aufs eigene Denkvermögen ausgesetzt sieht. Ich erwarte nicht, dass alle jedem Argument zustimmen, Widerspruch oder Kritik sind ggf. zulässig, was sonst.

Wie intellektuelle Abschreckungspolitik geht, führt als erstes das YouTube des Psychologen Martin Wehrle vor. Stück für Stück nimmt er die kriegsrhetorische Phraseologie beim Wort und denkt sie konsequent weiter bis an ihr tödliches Ende, das massenhafte Sterben im Krieg, im atomaren Kriegsfall die kollektive Vernichtung. – Worauf Wehrle nicht eingeht (ein Thema für sich, alles auf einmal geht nicht), ist dies: Wollen wir Krieg nicht mit Krieg beantworten, Zivilisationsbruch mit Zivilisationsbruch, wie verteidigen wir uns gegebenenfalls gegen die militärische Aggression einer autokratischen oder faschistischen Macht, sollte sie daran gehen ihre Herrschaft auf unserem gesellschaftlichen Territorium militärisch und administrativ errichten zu wollen? Was verlangte zivile Verteidigung, militärisch gewaltfreier Widerstand, von uns an organisierter zivilgesellschaftlicher Solidarität, an Zivilcourage, persönlichem Mut und, ja, Bereitschaft, die eigene Freiheit zu wagen, Gefahren für Leib und Leben auf sich zu nehmen? Dies als unter Umständen (über)lebenswichtige Frage schon mal im Hinterkopf behalten. https://www.youtube.com/watch?v=ZGUwTDXSIn0

Abschreckendes Beispiel Lauterbachs Zeitenwende hin zu einem kriegstauglichen Gesundheitsunwesen

Siedend heiß, stelle ich mir vor, schoss dem Minister Ende Februar der Gedanke durch den Kopf – oder müsste es in den Kopf heißen, was indes die verheerende Assoziation Kopfschuss provozieren könnte, dann doch eher durch den Kopf –, schoss ihm also der Gedanke durch den Kopf, unser Gesundheitswesen ist kein bisschen kriegstüchtig. Die Zeitenwende ist in dieser systemrelevanten Einrichtung noch überhaupt nicht angekommen. Höchste Eisenbahn mithin.

Und so vertraute Lauterbach sich der Osnabrücker Zeitung an und sagte, Deutschland müsse sich nicht nur für künftige Pandemien, sondern auch für große Katastrophen und eventuelle militärische Konflikte besser aufstellen. „Es braucht auch eine Zeitenwende für das Gesundheitswesen.“
Zumal Deutschland, so fährt er fort, „im Bündnisfall zur Drehscheibe bei der Versorgung von Verletzten und Verwundeten auch aus anderen Ländern werden könnte. Im Krisenfall muss jeder Arzt, jedes Krankenhaus, jedes Gesundheitsamt wissen, was zu tun ist. Wir brauchen klare Zuständigkeiten, etwa für die Verteilung einer großen Zahl von Verletzten auf die Kliniken in Deutschland. Wir haben uns schon mit Spezialisten der Bundeswehr ausgetauscht und arbeiten mit dem Verteidigungsministerium und dem Innenministerium zusammen. Es wäre albern, zu sagen, wir bereiten uns nicht auf einen militärischen Konflikt vor und dann wird er auch nicht kommen. Nichtstun ist keine Option.“

Hat er recht, der Lauterbach, unser kriegstüchtiger Gesundheitsminister? – Syrien, die zerschossenen Krankenhäuser, in der durch Assads Fassbomben ausgebrannten Ruinenstadt, wie hieß die noch, Aleppo, schon vergessen, nichts draus gelernt. In Gaza augenblicklich das gleiche. Werde hierzulande nicht passieren, will uns der Minister sagen, Hals über Kopf einfach so in den Krieg hineinstolpern. Unvorbereitet.

Man mag es sich auch gar nicht ausmalen, was Kranken, Krankenhauspatienten, frisch Operierten, Organ- und Gliedmaßenamputierten, künstlich Ernährten und Beatmeten, Komatösen und Gebärenden bevorsteht, wenn das Chaos mangelnder Kriegstüchtigkeit um sie her ausbricht. Eine verirrte Handgranate zwischen den Betten über den Boden kullert, ein Verteidiger neben der Bettlade in Deckung geht und eine Panzerfaust abfeuert, ein feindlicher Kampfpanzer draußen neben der Ambulanz in Flammen aufgeht und die Freiwillige Feuerwehr woanders gebraucht wird. Ja, wird es einem dann durch den Kopf schießen, an solch ein unübersichtliches Szenario hätte man besser mal früher gedacht, vor der Schlacht. Jetzt ist alles zu spät. Die armen Patienten, wie soll in diesem militärisch medizinischen Durcheinander Heilung oder Genesung gelingen.

Und die armen Soldaten erst, hatten sich den Beruf der Landesverteidigung auch geregelter und übersichtlicher vorgestellt. Der Job ist an sich fordernd genug. Nun müssen sie in den Krankenhausfluren und draußen vor der Rezeption nicht nur über die zerfetzten Körper ihrer Kameraden und nicht weiter identifizierbare, weil abgetrennte Körperteile hinwegsteigen, sie müssen mit der Waffe im Anschlag über kreuz und quer abgestellte Tragbahren und überfüllte Rollbetten klettern. Das macht wirklich keinen Spaß mehr, in den Werbebroschüren der Bundeswehr steht doch was ganz anderes drin!

Abschreckendes Beispiel Arbeitgeber Bundeswehr, der mit sowohl inklusiven wie auch kriegs- und krisenfesten Arbeitsplätzen lockt

Verrät man ein Staatsgeheimnis, legt man offen, was die Hochglanz-Werbeprospekte der Bundeswehr insgeheim bezwecken: Verführung zur Verfütterung als Kanonenfutter. Selbstverfütterung im potentiellen Kriegsfall. Wobei es wiederum (mit Lauterbach zu sprechen ) albern wäre, zu glauben, potentiell hieße, dass er nicht reell wird. Die Aussichten dafür sind zur Zeit sogar ausgesprochen gut. Wodurch einmal mehr ersichtlich wird, was diese bunte Truppe, die Bundeswehr, so mega attraktiv macht: Du hast einen todsicheren Arbeitslatz. Den du auch im Kriegsfall nicht verlierst. Du verlierst dein leben, nicht den Arbeitsplatz. – Worauf an dieser Stelle lobend hinzuweisen bleibt: Die Verführungskunst der Bundeswehr ist inklusiv, wir Behinderte werden von den sicheren Arbeitsplätzen bei der Bundeswehr keineswegs ausgeschlossen.

Näheres über den inklusiven Arbeitgeber Bundeswehr ist auf dem Blog des behindertenpolitischen Aktivisten Daniel Horneber zu lesen (sein Blogeintrag datiert aus 2021 und es geht ihm daher noch der kriegseuphorische Tonfall ab, wie ich ihn in meiner Introduktion anzuschlagen versuche, um kriegsertüchtigend der allgemeinen Kriegsbegeisterung nicht wehrkraftzersetzend in den Rücken zu fallen). Hier Auszüge aus dem „Diversity und die Bundeswehr, eine kritische Auseinandersetzung“ überschriebenen Eintrag.

Jedes Jahr im Juni ist Pride Month, leider flutet die Bundeswehr die Sozialen Medien jedes Jahr mit einer dummdreisten Kampagne, um für sich in der LGBTQI* Community Werbung zu machen. Dasselbe gilt auch für behinderte Menschen, an die sich die Bundeswehr ranzuschmeissen versucht, um sich als inklusiver Arbeitgeber darzustellen. Slogans,mit denen sie dies versucht, lauten:„Wir marschieren auch Queerbeet“ oder „Einigkeit und Recht und Barrierefreiheit“. Die Bundeswehr schreibt sehr allgemein über Diversity: „Diversität kennt viele Gesichter und soll uns dabei helfen, die Vielfalt der Menschen zu unterscheiden, anzuerkennen und bestehende Hürden abzubauen. Die Anerkennung dieser Vielfalt ist seit jeher in der Bundeswehr im Soldatengesetz verankert. Soldatinnen und Soldaten sind nach Eignung, Befähigung und Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Ethnie, Glauben, religiöse oder politische Anschauungen, Heimat oder Herkunft zu ernennen und zu verwenden. Gleiches gilt uneingeschränkt ebenso für eine Karriere in Zivil. Hier ist zudem auch ein Einstieg beim Arbeitgeber Bundeswehr für Personen mit Behinderungen möglich. Die Auswahl ist vielseitig und reicht von einer Einstellung als tarifbeschäftigte Arbeitnehmerin und Arbeitnehmer, über eine Ausbildung in einem von mehr als 40 Ausbildungsberufen bis hin zu einer Karriere in einer von drei Beamtenlaufbahnen“. Die Bundeswehr lobt sich (meines Erachtens in einer Überheblichkeit, die schwer zu ertragen ist) selbst dafür, dass sie behinderte Menschen beschäftigt. So schreibt die Bundeswehr, dass aktuell knapp 9.500 Menschen mit Schwerbehindertenausweis oder einem Gleichstellungsbescheid bei ihr beschäftigt sind, darunter sind mehr als 1.300 Soldat*innen. Die Soldat*innen haben ihre Beeinträchtigungen unter anderem durch Einsatzschädigungen oder durch Unfälle erlitten. Danke liebe Bundeswehr, dass du Leute, die bei dir schon beschäftigt sind und in Erfüllung ihrer „Arbeit“ als Soldat*innen verletzt wurden und Beeinträchtigungen davon trugen, nicht auch noch entlässt. Im Ernst, sich dafür selbst zu feiern, ist zynisch!

Ob die Bundeswehr die Mindestbeschäftigungsquote für behinderte Menschen unter Soldat*innen erfüllt, wird nicht gesagt, stattdessen lobt sich die Bundeswehr selbst, dass sie die Quote unter Zivilbeschäftigten mit zehn Prozent übererfüllt. Wer ist denn bitte bei einer Armee zivil beschäftigt? Müssen ehrlicherweise nicht alle für die Bundeswehr arbeitenden Menschen, da sie die Bundeswehr und dadurch die Kriegsmaschinerie am Laufen halten, als militärisch Beschäftigte betrachtet werden? Die Bundeswehr ist kein normaler Arbeitgeber. Krieg und dafür sind Armeen da, verursacht Beeinträchtigungen und Barrieren und das vor allem bei der Zivilbevölkerung, die von Kampfhandlungen betroffen ist. Kampfeinsätze können auch Spätfolgen verursachen. Für die Opfer von Krieg ist es unerheblich, ob die Pilot*innen von Kampfflugzeugen, IT-Personal zum Steuern von Kampfdrohnen oder die Fahrer*innen von Panzern behinderte oder nicht behinderte Personen sind. Das heißt, wir brauchen bei der Bundeswehr nicht mehr Barrierefreiheit konkret: wir brauchen keine barrierefreien Kasernen und schon gar nicht barrierefreie Kampfflugzeuge und barrierefreie Panzer, auch nicht wenn sie ökologischer mit Strom betrieben werden auch dann nicht, wenn die jetzige Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen dann ein besseres Gefühl bei Auslandseinsätzen hätte. Wir brauchen überhaupt keine Bundeswehr … (Ende Blog Horneber)

Abschreckendes Beispiel Deutschalternative und ihre Gedankenspiele über remigrative Fremdkörperentsorgung

Anders als zur breiten demographischen Mitte der Gesellschaft zählende Merkmalsgruppen tun soziale Randgruppen und diskriminierungsgefährdete Minderheiten gut daran, mit Blick auf tendenziell faschistische und rassistische Strömungen und Parteien des politischen Spektrums eine strengere Gefahreneinschätzung „für die Demokratiegefährdung“ vorzunehmen. Sie werden nicht nur den momentanen Status von Verfassungskonformität oder Demokratiegefährdung ins Auge fassen, sondern auch potentielle Entwicklungstendenzen und eventuell radikalisierende Dynamiken stärker berücksichtigen bei der Frage, wie man jenen Bewegungen und Gruppierungen politisch am wirksamsten entgegentritt. Wenn zur Zeit lediglich Teile der Deutschnationalen und ihres politischen Führungspersonals durch eine manifest faschistische Rhetorik und Programmatik in Erscheinung treten, so bietet dies keine Gewähr, dass im Falle von Wahlerfolgen des extremistischen Flügels sich die übrigen Teile nicht dessen politischem Kurs anschließen. Wie rasch würde dann aus „konsequenter Abschiebung abgelehnter Asylbewerber“ (wie die moderaten Deutschalternativen sie ja bloß fordern) „millionenfache Remigration“, sprich massenhafte Deportation. Und aus der Zurückweisung „übertriebener Inklusionsforderungen“ die Erwägung und schließlich auch Durchführung von Sonderbehandlungsprogrammen für Behinderte und chronisch Kranke (wie wir sie in Extremform aus der Zeit des Nationalsozialismus kennen).

Darum rate ich auch beim Thema „Deutschalternative und Demokratiegefährdung“ bzw. „Behinderte und Sonstige gegen Rechts“ dazu, das unserem leider allzu oft zur Trägheit neigenden Geist gedanklich auf die Sprünge helfende Verfahren der intellektuellen Abschreckung zu praktizieren, sein Aufklärungspotential als Frühwarnsystem in Anschlag zu bringen. Und noch die scheinbar Harmlosen, mal biedermännisch-volkstümlich, mal pseudowissenschaftlich-fachterminologisch (Remigration, Ethnopluralismus) daherkommenden Phrasen und Parolen der Deutschalternativen und ihres Umfelds der besseren Kenntlichkeit halber bis an den äußersten Punkt ihrer möglichen Verkörperung (sprich, ihre mörderische Umsetzung in die Tat) weiterzudenken. – Auch die Nationalsozialisten, von denen treuherzige Deutschalternative versichern, sie wollten deren politischen Dilettantismus und ihr mörderisches Abenteurertum auf keinen Fall nachahmen, vielmehr die guten Grundgedanken auf professionelle und seriöse Weise zeitgemäß umsetzen – auch die Nationalsozialisten hatten zunächst nicht vor, alle Juden einfach umzubringen. Auch ihnen schwebte ursprünglich (wie den Identitären heute) die „afrikanische Lösung“ vor. Ein „Platz an der Sonne“, sie meinten es gut mit ihnen. Nur die praktische Umsetzung war am Ende viel zu umständlich, denn Madagaskar ist eine Insel, Millionen Juden dorthin einschiffen, hätte eine organisatorische Überforderung bedeutet. Zuletzt war der Landweg (per Schiene) nach Auschwitz dann doch näher. Kein Platz an der Sonne, nur dicht bei den Verbrennungsöfen dürfte ein wenig Abwärme spürbar gewesen sein.

Der gegenwärtige Aktivismus des „Wehret den Anfängen“ ist die politisch folgerichtige Antwort auf das gedanklich konsequente Weiterverfolgen politischer Bestrebungen bis an das zu befürchtende schlimme Ende derselben. Dieser praktisch politischen Folgerichtigkeit sehe ich die sich „gegen Rechts“ wendende Aufklärungsarbeit des politisch investigativen Journalismus, wie ihn „Der Volksverpetzer“, „Recherchenetzwerk Correctiv“ u.a.m. betreiben, verpflichtet. Dabei bemisst sich für mich die Qualität ihrer Rechercheprojekte primär danach, wie weit sie dem Ideal der intellektuellen Abschreckung von Fall zu Fall gerecht werden. Die mediale Inszenierung, die performative Aufbereitung der jeweiligen Ergebnisse für die politische Öffentlichkeit ist eine zweite Sache, die sich noch einmal für sich der Kritik stellen muss. So wie sie die Theaterregisseurin und postmigrantische Aktivistin Simone Dede Ayivi am boulevardesk reißerischen der jüngsten Kampagne von Recherchenetzwerk Correctiv in der taz vom 25.01.2024 geübt hat. Sie kritisiert die effekthascherische Verarbeitung der Enthüllungen zum Theaterspektakel am Berliner Ensemble. Dort habe vor allem „die klamaukige Umsetzung Unmut ausgelöst – besonders in den Bevölkerungsgruppen, deren Deportation besprochen wurde. Migrantinnen, ihre Erfahrungen und Traumata wurden bei antirassistischer Kunst mal wieder nicht mitgedacht.“

Fazit: Politische Debatten eröffnen, sie nicht schließen!

Jedenfalls nicht dann, wenn sie kaum oder noch nicht begonnen haben. Wie dies bei der Strategiediskussion über das Wie des Den-Anfängen-Wehrens der Fall ist. Etwa in der Frage, Parteiverbot der Deutschalternativen, ja oder nein. Wie Raul Krauthausen den Standpunkt beziehen, die Frage sei für alle politisch Klarsichtigen schon beantwortet und Einspruch gegen diese Antwort politische Selbstdemontage und nur dem Gegner dienlich, halte ich diskurs- und debattenpolitisch für fehl am Platz.

Seine Argumentation (im Aufzugsgespräch mit Thomas Laschyk vom „Volksverpetzer“, der mittlerweile über 800 000 Befürworterstimmen für jenes Parteiverbot gesammelt hat) erinnert mich von fern fatal an „Schließungslogiken“, wie ich sie aus linksdogmatischen Kaderkreisen von früher kenne. Wenn es sozusagen nach fertiger Beschlussvorlage „immer irgend einen in den eigenen Reihen gibt, der sagt, ja aber“, nütze dies nur dem Gegner. Peer Krauthausen wörtlich: „ Da gibt es jemand, der sagt, ok, wir versuchen mal ein AfD-Verbot und dann gibt es garantiert auch aus dem demokratischen Spektrum und auch aus dem linken Spektrum Leute, die sagen, ja aber, das bringt ja nichts, das funktioniert ja nicht und ist super gefährlich. Es gibt Leute, die sagen, wir müssen Herrn Höcke die Grundrechte entziehen und da gibt es auch da wieder Leute, die sagen, ja aber das geht ja nicht. Und wenn wir uns so vereinzeln lassen in der Bewegung, die ja alle das gleiche Ziel haben, nämlich den Rechtsruck zu verhindern, dann tun wir eigentlich nen Bärendienst …“

Simone Dede Ayivis oben erwähnter taz-Artikel war mit „Hört uns zu und haltet uns aus“ übertitelt. Darin ging es nicht über das Für und Wider eines Parteiverbots. Doch auch hinsichtlich dieser Frage gilt, was die Autorin dort mit Bezugnahme auf die Multiperspektivität und den Pluralismus der breiten Anti-Rechts-Bewegung über Einander-Zuhören und Einander-Aushalten sagt. Weil sie nämlich „Reaktionen“ für „bedenklich“ hält, die verlangen, „Kritiker sollen doch bitte ruhig sein“. Ihnen wird „Spaltung“ vorgeworfen. „Denn jetzt geht es gegen Rechts“, werden sie ermahnt. Diesem „Schluss mit der Debatte“ mag sich die Aktivistin nicht anschließen. Meines Erachtens zurecht. Einig ist man sich im Ziel, gegen Rechts, „doch es muss möglich sein, über das Wie zu diskutieren. Wenn das schon als demotivierend gilt, ist diese Bewegung nicht sonderlich stabil.“ Und auch demokratisch nicht ganz glaubwürdig, möchte ich hinzufügen.

Quellenangabe: Patentinhaber der methodischen Anweisung, politische Phrasen bis an den Punkt zu verfolgen, wo sie verkörpert werden (blutiger Ernst aus ihnen wird), ist der aus Hessen stammende Mediziner Georg Büchner, der im Alter von 24Jahren als Postgraduierter in Zürich an einer Typhus-Infektion gestorben ist (die er sich bei Forschungen an Fischpräparaten zugezogen hatte). In seinem auf Theaterbühnen bis heute aufgeführten Drama „Dantons Tod“ wird das posthum patentierte Verfahren erstmals zur Anwendung empfohlen.

Lesermeinungen

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3 Lesermeinungen
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Silvia Hauser
21.03.2024 17:26

Guten Tag Konrad W.
Ein politischer Rundumschlag, zu dem Sie da ausgeholt haben. Stimme Ihnen in etlichen Punkten zu. Z.B. die fortbestehenden imperialistischen Abhängigkeits- und Ausbeutungsstrukturen, von denen wir „hier in den Metroplolen“ profitieren und die von der Politik nicht ernsthaft angegangen werden. Mit dem Gebrauch dieses „Wir“ möchte ich selber vorsichtiger umgehen und mache darum stes auf die eigene gesellschaftliche Standortgebundenheit meiner sozialen und politischen Perspektive und Einschätzung aufmerksam. Konkret in meinem Fall der spezielle Blickwinkel des zur Behindertenpopulation zählenden Minoritätsangehörigen. Und innerhalb dieser nochmals demographisch und klassistisch benachteiligt (alt plus arm zum Behindertenstatus hinzukommend). Von dieser spezifischen Warte aus beunruhigt mich die aktuelle Rechtsentwicklung (Wahlerfolge der Deutschalternativen etc.) und geade auch vor dem historischen Erfahrungshintergrund (Behinderte als „Sonderbehandlungsgruppe“, im Extremfall „Euthanasie“) verständlicherweise mehr als vielleicht gut situierte Angehörige aus der Mittelschicht.
Ihr Wort von der Drohgebärde passt daher nicht zu der begründeten Empfindlichkeit, mit der ich als Behinderter auf die gegenwärtige politische Entwicklung reagiere. Meine „intellektuelle Abschreckungsstrategie“ in diesem Zusammenhang einer noch einmal besondes gefährdeten und politisch schwachen Minderheit hat auch gar nichts von einer Drohgebärde. Wer sich vor Drohgebärden und deren eventueller poltischer Umsetzung fürchten muss und vor wem, liegt ja wohl auf der Hand.
Prima, so geht politische Debatte, danke!
Hans-Willi Weis

Stephan Laux
21.03.2024 12:46

Apropos Abschreckung und „alle anderen sind doof“.

Ich versuche gerade meine Steuererklärung für 2023 in Angriff zu nehmen. Das Jahr in dem sozialversicherungspflichtig beschäftigt, Bezieher von Übergangs- und Krankengeld, selbstständig und Rentner war. Anscheinend gehör ich, nicht nur in dieser Kategorie, zu den „anderen doofen“.

Das wär doch auch mal eine Form der Abschreckung. Jetzt wo man Migrant*innen, die ja noch keine sind, weil sie schon vor den EU Außen Grenzen, behördlich erfasst werden sollen. Und dann, im unwahrscheinlichsten Falle, zu Asylbewerber*innen werden könnten, allerdings Flüchtende bleiben.

Wenn man denen, schon vor den EU Außen Grenzen, ein solches Steuerformular erläutern würde, oder eine Baugenehmigung oder einen Antrag auf Schwerbehinderung, dass müsste doch schon abschreckend wirken!? „Das kommt auf Sie zu, wenn Sie dauerhaft in Deutschland leben wollen!“

Der deutschalternative Besitzer einer erfolgreichen Vermögenberatung, in der Nähe meines Heimatortes, mit dem ich, wie in meiner letzten Kolumne angekündigt, im Gespräch bleiben will, findet mich auch doof. Klar, ich bekomm ja nicht mal meine Steuerklärung hin! Aber seine Einschätzung lässt sich auch dadurch erahnen, dass er mich und mein Umfeld „links – grün versifftes Bildungsbürgertumsgesocks“ nennt. 

Er findet die AfD u.a. gut, weil sie die GEZ und das Gendern abschaffen will. Dass Sie, bei einem Wahlerfolg den öffentlich, rechtlichen Rundfunk abschaffen und Frauen zurück an den heimischen Herd holen will, sieht er erst mal nicht!?

Puh! Demokratie ist anstrengend! 

Stephan Laux

Zuletzt bearbeitet am 10 Monate zuvor von Stephan Laux
Konrad W.
19.03.2024 09:10

„Fazit: Politische Debatten eröffnen, sie nicht schließen!“
Das unterschreibe ich uneingeschränkt und halte es im Übrigen als den Kardinalfehler der Gesellschaft und Politik der letzten Jahre.

Sie sollten dann zudem konsequenterweise ebenso eine Diskussion und Debatte zulassen und sich nicht auf das typischen „die anderen sind doof!“-Niveau herablassen:
Und noch die scheinbar Harmlosen, mal biedermännisch-volkstümlich, mal pseudowissenschaftlich-fachterminologisch (Remigration, Ethnopluralismus) daherkommenden Phrasen und Parolen der Deutschalternativen und ihres Umfelds der besseren Kenntlichkeit halber bis an den äußersten Punkt ihrer möglichen Verkörperung (sprich, ihre mörderische Umsetzung in die Tat) weiterzudenken…
Gibt es unter all diesen „verblendeten Braunhemden“ nicht auch einige, die schlichtweg Themen ansprechen, Debatten eröffnen und zu einem Umdenken anregen? Oder eben gerade Wähler (!), die genau diesen Mangel nach Debatte und Diskussion einfordern? Im Zweifel eben sogar mit völkisch-nationalistischer „Proteststimme“? Mir ist bewusst, dass viele Wähler da ernsthaft mit dem Feuer spielen, das darf aber viele ihrer inhaltlichen Themen, Problemstellungen und Sorgen nicht komplett disqualifizieren.

Remigration und Ethnopluralismus sind doch eben genau die Beispiele, über die im Detail gar nicht mehr gesprochen wird. Mal abseitig von der Konotation und dem nicht mehr nur unterschwellig mitklingenden Nazi-Verdacht sind diese Begriffe erst einmal nur einfache Begriffe, über die vermutlich viele andere Gesellschaften vortrefflich diskutieren können (und die sogar in vielen deutschen Behörden kühl und sachlich verwendet wurden, als [abgelehnte] Asylbewerber-Rückführung beispielsweise): Bereits seit 2015 frage ich mich, warum man nicht voruteilsfrei über die Definitionen und Unterschiede von „Kriegsasyl auf der einen Seite und Wirtschaftsflucht auf der anderen Seite“ sprechen kann. Mit – ihrer Formulierung von – „Phrasen und Parolen“ wird dann festgestellt, dass kein Mensch illegal ist, wir all die Ärzte und Ingenieure aus Kriegsgebieten gut gebrauchen können und Deutschland aufgrund seiner Geschichte selbstverständlich auf eine diesbezügliche Debatte verzichten muss. Wenn Friedrich Merz dann noch perfide und populistisch „argumentiert“, dass die Leute kommen, um sich die Zähne hier machen zu lassen, dann ist natürlich ein Tiefpunkt erreicht.
Ja, ich würde als Schwarzafrikaner aus (u.a. religiösen) Bürgerkriegs- und Armutsgebieten wie Nigeria, dem Sudan, usw. vermutlich genauso einen Schleuser bezahlen und in ein Schlauchboot springen, mit der Hoffnung nach ein wenig Glück in einem besseren Leben. Betrachte ich die Situation aber nüchtern oder auch leidenschaftlich mit meinem links schlagenden Herzen, dann muss ich klar sagen: Das funktioniert so nicht, das ist teilweise grotesk. So schicken wir zwar ein wenig Entwicklungshilfe in diese Länder (ein Tropfen auf den heißen Stein), aber ebenso unseren Müll, den diese Länder aufgrund ihrer klammen Staatshaushalte fast schon nehmen müssen. Schuldenschnitt in der dritten Welt? Fehlanzeige! Und während viele afrikanische Nationen von Krise zu Hungersnot zu Bügerkrieg hin- und hertaumeln, führen wir die Debatte, ob wir mehr Flüchtlinge aus diesen Ländern aufnehmen sollen? Wir schöpfen mit den Männern aus den Schlauchbooten die Sahne ab! Die geplünderten Rohstoffe vom afrikanischen Kontinent sind die eine Sache, Männer im besten Lebensalter sind eine ganz andere! Wenn nun eine Rentnerin (die gerade an der Grenze zur Grundrente liegt) ihre Witwenrente mit dem Bürgergeld aufstocken muss, so kann ich mir zumindest das Unverständnis erklären, wenn dann der sudanesische Flüchtling nach kurzer Zeit eine finanziell ebenbürtige Leistung vom deutschen Staat erhält.

Das schlimmste an der Sache: Gerade die untere Bevölkerungsschicht in Deutschland hat eben diese Ellenbogen-Mentalität, dass sich die ärmsten und schwächsten (Rentner, Bürgergeld-Empfänger, Behinderte, Flüchlinge, uvm.) gegenseitig die Augen auskratzen und keinen Pfifferling gönnen – dass man nach oben treten müsste, hat sich vielen noch nicht erschlossen.

Schlimm, dass ich bei solchen Überschriften immer gleich anspringe; aber die Gesellschaft wird sich bezüglich all dieser Themen weiter spalten, wir werden nicht nur amerikanische Verhältnisse bekommen, sondern diese in ein paar Jahren definitiv überschreiten. Die Vielzahl der Themen, die nicht mehr diskutiert und Debattiert werden können, ist erdrückend – im Übrigen ist das das Futter der „in Deutschland darf nicht alles gesagt werden“-Zensur-Argumentation.

Reden wir mal über die vollkommen überdrehte Gendersituation und den durchaus finaziell aufgeblähten Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk! Aber bitte nicht nur schwarz und weiß, bitte nicht mit Unterton und bitte, bitte nicht immer mit der Drohkulisse im Rücken, dass „die Braunhemden durch die Straßen ziehen und die Madagaskar-Lösung durchgesetzt wird“, wenn wir einige Dinge kritisch betrachten, wie in vielen anderen Ländern der Erde das durchaus möglich ist!

Ich kreide auch meiner sozialdemokratischen Partei an, dass sie die Debatte vollkommen vergiftet: Es ist leicht, sich als Otto Wels zu inszenieren, als Bollwerk gegen den Faschismus – es ist aber ein Bärendienst für die „Alternativen“ und ein Entwerten und Verächtlichmachen von substantuiellen Ängsten und Sorgen von großen Teilen der Gesellschaft.