
Foto: RALPH MILEWSKI
Villmar - Weyer (Kobinet) Eine ziemlich verwirrte Kolumne über Meinungsfreiheit .
Meinung kommt ja von „Mein“! Also ist vor allem meine Meinung frei!
Das muss sich auch Heinz F. (Name vom Kolumnisten geändert) gedacht haben, der zusammen mit 6 Männern mit geistiger Beeinträchtigung, in einem Wohnheim der Behindertenhilfe untergebracht ist. In einer Wohngemeinschaft, die sich den Namen „Intensiv Gruppe“, der eine hohe Einstufung des Kostenträgers mit sich bringt, redlich verdient hat. Ist denn „aggressives Verhalten“ eine Zuschreibung, die auf jeden der Klienten mehr oder weniger zutrifft.
„Jeder scheiß Ausländer, wie Du gehört vergast! So wie’s der Adolf gemacht hätte!“ schleuderte Heinz seinem Mitbewohner Ali entgegen. Ali brach ihm unmittelbar danach seine Nase. Nachdem ich damals Erste Hilfe leistete und uns dann, Heinz Diagnose im nächsten Krankenhaus abgeholt habe, versuchte ich ihm die Tragweite seiner Äußerung zu vermitteln. Seine erste Reaktion war, dass er auf seine Meinungsfreiheit beharrte und im gleichen Satz ankündigte, sich bei der nächsten Wahl, für die AfD zu entscheiden.
Mitarbeitende im sozialpädagogischen Spektrum, neigen ja dazu, im Falle von Aggressionen, grundsätzlich beschwichtigend und deeskalierend zu reagieren. Deshalb waren einige von Ihnen auch bei Ausbruch des Ukrainekrieges verunsichert. Hätten sie doch Vladimir Putin erst einmal gebeten sich hinzusetzen, sich zu beruhigen und über das was er gerade getan und gesagt hat, nachzudenken (um sich der Tragweite seines Handelns bewusst zu werden). Vielleicht hätte man dem Vladimir noch sein Lieblingsessen gekocht (wohlwollende Zugewandtheit) und ihn dann auf sein Zimmer geschickt (bis er sich abgeregt hat). In der nächsten Fallbesprechung hätte man dann Ursachen für den aggressiven Vorfall ermittelt und über zukünftige Handlungsleitlinien diskutiert.
Keine Ahnung, was ich damit sagen will! Es herrscht ja Meinungsfreiheit!
Vielleicht will ich damit auf die vorangegangene Kolumne: „Wenn Peers zu Feinden werden…“ eingehen und meine Meinung kundtun, dass Raul Krauthausen nicht die Meinung und die Interessen aller behinderten Menschen vertritt. Zumindest nicht die, der etwa 300 000 Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen und Lernschwierigkeiten (oder wie sagt man mittlerweile politisch korrekt?). Ich wage sogar zu behaupten, und das ist eine provokative These: “Körperbehinderte Menschen wollen nicht mit geistig beeinträchtigten in einen Topf geworfen werden“ (vielleicht ist es umgekehrt ähnlich).
Das Besondere an der Meinungsfreiheit und der Interessensbekundung dieses Personenkreises ist noch immer, dass sie übersetzt werden müssen (bitte verbessern Sie mich, wenn sich das mittlerweile geändert hat). Das müssen Leute wie Otmar Miles Paul, ich und alle in der Behindertenhilfe tätigen tun!
Natürlich meint Heinz F. nicht, dass die Behindertenhilfe sich auf einen Stand von vor 1945 entwickeln muss. In seiner aggressiven Äußerung steckt ein Stück Kritik an bestehenden Verhältnissen. Wie sinnvoll ist es, 6 mehr oder weniger Testosteron gesteuerte Männer (mit einem sozio – emotionalen Entwicklungstand eines Pubertierenden) in einer Wohngemeinschaft zu betreuen? Das wäre vielleicht sein Hilferuf gewesen, der hinter seiner faschistisch anmutenden Meinungsäußerung steckte.
Natürlich könnte Heinz diese Äußerung auch irgendwo aufgeschnappt haben. In den Medien, oder im Sozialraum. Hoffentlich nicht im Umfeld der Einrichtung, in der er gezwungen ist, zu leben!
Ganz auszuschließen ist das nicht. Diese Einrichtungen sind, nach Meinung einiger Experten (wie mir) ein Spiegel der Gesellschaft.
„Nazis haben kleine Pimmel!“ las ich neulich, auf einem Schild bei einer Demo gegen rechts, an der ich selbstverständlich teilgenommen habe. Auch so ein Fall von freier Meinungsäußerung. „Das geht ja ziemlich unter die Gürtellinie“ meinte mein Demonstrationsnachbar. Ha ha! Der hätte von mir sein können! Hätte ich ein solches Schild über meinem Kopf getragen, hätte es so ausgesehen:

Sonderpädagoge halt!
Was wollte ich nochmal damit sagen??? Ach so! In der Arbeit mit Menschen mit geistigen Beeinträchtigungen und Verhaltensauffälligkeiten ist Beziehungsarbeit wesentlich. Beziehungsabrüche immer dramatisch. Es gilt in Beziehung, im Gespräch zu bleiben. Meiner Meinung auch, beim Umgang mit anderen Meinungen.
„Die AfD hat dann gewonnen, wenn ich nicht mehr mit meinem Nachbarn rede, weil er sie wählt!“ Der Satz ist mir heute Morgen eingefallen.
Vielleicht schreibe ich das auf mein Schild, für die nächste Demo gegen rechts!
Stephan Laux, März 2024