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Marburg/Lahn (kobinet) "Am 3. Februar 2024 ist Carola Ewinkel unerwartet gestorben. Sie war eine Bewegte der ersten Generation. Wenn auch nicht im bundesweiten Umfeld, war sie doch in Marburg eine Stimme, die beharrlich und besonnen für die Selbstbestimmung und Teilhabe behinderter Menschen in allen gesellschaftlichen Bereichen eintrat. Dies schreibt Anneliese Mayer in ihrem Nachruf auf Carola Ewinkel, den sie den kobinet-nachrichten zur Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat.
Nachruf auf Carola Ewinkel von Anneliese Mayer
Am 17. Juni 1954 in Norden/Niedersachen geboren, kam Carola Ewinkel nach dem Abitur an einem Regelgymnasium Mitte der 1970er Jahre zum Studium nach Marburg. Sie wohnte im Konrad-Biesalski-Haus. Hier wohnten andere Studierende mit Handicaps, die Anfang 1977 die IBM (Initiativgruppe behindertenfreundliches Marburg) gründeten. Die IBM wurde zur Keimzelle der Behindertenbewegung in Marburg und führte zu Carolas Politisierung – waren es doch die gesellschaftlichen Bedingungen, die die Teilhabe von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen verhinderten. Barrieren in der Stadt wurden aufgezeigt. Gegen das sogenannte Frankfurter Urteil von 1980 wurde protestiert und der Anschluss an die bundesweite Krüppel- und Behindertenbewegung gefunden. Aus der IBM ging die KRIM – die Krüppelinitiative Marburg – hervor, die 1981 das Krüppeltribunal vorbereitete. Carola war dabei und thematisierte mit den anderen KRIM-Mitgliedern das Thema „Menschenrechtsverletzungen in Werkstätten für Behinderte“.
Sie war dabei, als auf dem Krüppeltribunal behinderte Frauen auch zum ersten Mal auf die Diskriminierungen hinwiesen, die ihnen in einer männerdominierten, nichtbehinderten Gesellschaft tagtäglich widerfuhr. Die Frauen trafen sich auch danach noch, tauschten sich aus, und es entstand das Buch „Geschlecht: behindert – besonderes Merkmal: Frau“ (die Bibel der behinderten Frauen, wie es einmal genannt wurde), an dessen Zustandekommen sie maßgeblich beteiligt war. Weiterhin war sie in den 1990er Jahre Mitbegründerin des „Hessischen Netzwerkes behinderter Frauen“. Sie war in der Arbeitsgruppe „Behinderte Frauen und Arbeit“ präsent.
Sie war zwar nicht dabei, als 1982 der fib e.V., der Ambulante Dienst, gegründet wurde, da sie zu der Zeit ihr Referendariat machte. Aber nachdem sie sich entschieden hatte, nicht in den Lehrer*innenberuf einzusteigen, fand sie hier eine Arbeitsstelle. Diese entsprach ihren Vorstellungen, durch die Organisation von Assistenzdiensten – damals noch hauptsächlich mit Zivildienstleistenden – behinderten Menschen ein eigenständiges Leben außerhalb von Heimen oder dem Elternhaus zu ermöglichen. Sie war 30 Jahre lang Geschäftsführerin des fib e.V.. Durch ihre ruhige und zugewandte Art hat sie es verstanden, ein gutes Betriebsklima zu schaffen. Auch war sie auf ein ausgewogenes Verhältnis von behinderten und nichtbehinderten Mitarbeiter*innen bedacht.
Sie war dabei, als 1997 der Marburger Behindertenbeirat gegründet wurde und setzte sich dort für Barrierefreiheit und Inklusion ein. So konnte sie, die sonst kompromissbereit für kleine Schritte war, in letzter Zeit sehr laut werden, wenn wieder für eine öffentliche Einrichtung ein Gebäude mit Stufen angemietet wurde. Dass behinderte Menschen immer noch als Hilfeempfänger*innen angesehen wurden, stieß bei ihr auf kein Verständnis.
Wir werden sie sehr vermissen.