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Kommentare erwünscht! Ansichten eines ehemaligen Heilerziehungspflegers

Schwarz-weiß-Großaufnahme eines Apfels ,mit besonderer Belichtung, vor einem schwarzen Hintergrund.
Schwarz-weiß-Großaufnahme eines Apfels ,mit besonderer Belichtung, vor einem schwarzen Hintergrund.
Foto: Ralph Milewski

Villmar - Weyer (kobinet) Eine „Mitmachkolumne“ von Stephan Laux

In dieser Kolumne zum Jahresausklang, fordere ich zum Mitmachen auf. Also halten Sie sich mit Kommentaren nicht zurück!



Seit 1. September beziehe ich offiziell eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Meine allerliebste Frau schlug vor, mich in meinem Ruhestand doch vielleicht einem Stammtisch im Ort anzuschließen, um nicht der sozialen Isolation anheim zu fallen. Ich hatte vergessen ihr zu erläutern, dass „soziale Isolation“ ein wesentlicher Teil meines persönlichen Ruhestandskonzeptes ist. Auch die gutgemeinte Idee, mich kommunalpolitisch zu engagieren bedurfte einer Erläuterung: „Ich eigne mich nicht als politisch Engagierter oder gar als Politiker. Nach 40 Jahren Tätigkeit in der Eingliederungshilfe, ist mir klargeworden, dass ich kaum noch über eine adäquate Impulskontrolle verfüge. Anscheinend fehlen mir die Enzyme! Ich wäre auf keinen Fall koalitionsfähig. Würde man mich z.B. in einen Raum mit Christian Lindner sperren, wäre einer von uns, nach kürzester Zeit, mindestens schwer verletzt. Und ich müsste dann eine mehrjährige Haftstrafe in Kauf nehmen!

Ich bin in meiner 35 jährigen „Karriere“ als Heilerziehungspfleger über jedes Stöckchen und jede Barriere gesprungen, das man mir hingehalten hat oder die ich, selbst aus der Ferne, ausmachen konnte. Ich war, in jungen Jahren ein passabler Hochspringer und Basketballer!

Anfangs war ich noch teamfähig. Später wurde ich Teamleitung und in Leitungsgremien dann als Gutmensch und Sozialromantiker beschimpft. Irgendwann wurde meine Kompromissfähigkeit, der „großen, guten Sache“ willen einfach überstrapaziert und ich lies mich in den Ruhestand mobben. Nicht schön, aber wohl unausweichlich!

Sondereinrichtungen der Eingliederungs- und im speziellen der Behindertenhilfe sind in der Regel Parallelgesellschaften und in keiner Weise ein Spiegel der allgemeinen Gesellschaft. Wenn auch die Organigramme der Einrichtungen und Träger der Behindertenhilfe uns etwas anderes vorgaukeln wollen. Die Macht in diesen Organisationen geht auf keinen Fall vom Volke aus! Auch nicht wenn man die Organigramme einmal um 180 Grad dreht. Nie stehen die Betroffenen an der Spitze. Als Exekutive müssen die Erzieher- und Heilerziehungspfleger*innen herhalten. Als gesetzgebende Gewalt (Legislative) fungieren eher Qualitätsmanagement und Heimaufsicht. Und die Rechtsprechung übernimmt dann der Kostenträger. Volksabstimmungen, wie bei einer direkten Demokratie gibt es schon mal gar nicht. Wo kämen wir da hin? Schweizer Verhältnisse in der Behindertenhilfe! Um Gottes Willen! Apropos Gottes Willen! Die Organisation der Behindertenhilfe lässt sich wohl am besten mit der des Vatikans vergleichen. Oder der, der katholischen Kirche. Eine Parallele ist schon mal eindeutig: „Nicht reformwillig!“. Die übrigen Parallelen überlasse ich mal der mehr oder weniger geneigten Leserschaft! Lassen Sie uns einen Arbeitskreis (Synode) bilden. Noch eine Parallele zur katholischen Kirche und der deutschen Behindertenhilfe. Hier einige Impulse:

1. Ist das SGB IX die heilige Schrift der Behindertenhilfe?

2. Sind UN-BRK und das BTHG so was wie das 2. Vatikanische Konzil?

3. Formulieren Sie die 10 Gebote der Behindertenhilfe! Z.B.

  • Du sollst nicht kritisieren, das Bedarfsermittlungsinstrument Deines Kostenträgers! Er ist der Herr, Dein Gott! Er bezahlt Dein Gehalt, ein Dach über dem Kopf während Deines Dienstes und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall!
  • Du sollst ihn lieben und ehren anstatt ihm zu unterstellen, er versuche krampfhaft und rücksichtslos, mit ungewollten lebenserhaltenden Maßnahmen (Roland Frickenhaus), vor allem seine eigene Existenzberechtigung zu sichern.
  • Und deswegen sollst Du auch kein persönliches und kein Budget für Arbeit fordern!
  • Am besten hältst Du ganz die Klappe. Sowohl im Wort, als auch in der Schrift….

4. Verteilen Sie Rollen aus dem Vatikan und der katholischen Kirche auf die Protagonist*innen der Behindertenhilfe.

  • Wer ist der heilige Vater (Stuhl)?
  • Wer sind die Kardinäle und Bischöfe (und welche Funktion haben die eigentlich)?
  • Diözesen und Bistümer???
  • Wer ist alles ein Schaf?

Sie haben für diese Arbeitseinheit bis Anfang 2024 Zeit. Denn dann beginnt die 6. Stufe der Umsetzung des BTHG. Dann werden Leistungen der Behindertenhilfe endgültig minutengenau abgerechnet. Viel Spaß bei der Übung, frohe Feiertage und einen guten Rutsch!

Stephan Laux Dezember 2023

Lesermeinungen

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AnnaLutz
13.12.2023 10:04

GENIEßE DEINE FREIE ZEIT UND SCHREIBE GERNE WEITER SOLCHE KOLUMNEN. ES WIRD NICHT BESSER WERDEN FÜR DIE MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNGEN. ES WIRD EINZELNE LEUCHTTURMPROJEKTE GEBEN, DIE DIE KOSTENTRÄGER VORWEISEN KÖNNEN UND DER GROSSE REST BLEIBT IM DUNKELN.
ICH WAR BIS VOR 20 JAHREN auch in der Eingliederungshilfe tätig und
muss sagen, dass die Menschen damals besser und mit mehr Herz behandelt wurden.
Heute habe ich zwei fast erwachsene behinderte Pflegekinder, die ich nicht „entlassen “ kann, weil ich weiß, dass sie dann schlechter versorgt sind.
In diesem Jahr habe ich horrende Anwaltskosten, um das zu behalten, was ich für die Betreuung der Kinder bekomme. Dennoch bin ich sehr dankbar, gute Anwälte zu haben. Das ist nicht selbstverständlich und die meisten können sich das garnicht leisten. Die Gesetzgebung ist zwar auf unserer Seite aber jede/r muss das Gesetz für sich durchsetzen. Recht wird nicht mehr automatisch zugestanden!
Was Du auch schon geschrieben hast, erlebe ich auch. Dass Anforderungen angehoben werden, obwohl jetzt schon keine Kräfte da sind. Die Folge ist, dass Menschen mit Beeinträchtigungen Zuhause bleiben müssen! Sie können nicht in die Schule, in eine Tagesstruktur, wenn sie sehr betreuungsintensiv sind und kein persönlicher Assistent da ist. Das ist Exklusion pur- sie kommen nirgends mehr hin!