
Foto: Hans-Willi Weis
Staufen (kobinet) Wer Frieden will, bereitet den Krieg vor. Das wussten schon die alten Römer. Wir Schluris haben es vergessen und müssen uns nun in puncto Bewaffnung und Kriegstüchtigkeit am Riemen reißen. Und wir Behinderte, die wir ständig nach Inklusion rufen, können da nicht sagen, ohne mich. Weil wir Blinde und Lahme jedoch fürs Schlachtfeld untauglich sind – unsere Rollifahrer würden dem Leopard II dort lediglich die Vorfahrt nehmen –, muss unser Kriegstüchtigkeitsbeitrag anders aussehen. Fragt sich nur wie.
Taurus-Schütze oder Telefonist, wo ist der Unterschied
Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten. Wo also Hand anlegen als friedensliebender Behinderter? Will man nicht untätig und unnütz, hinderlich und wehrkraftzersetzend in der Gegend herumstehen oder dem Staat und seiner kämpfenden Truppe auf der Patronentasche liegen. Wenn ich nur mal für mich, einen Erblindeten, sprechen darf: Könnte ich nicht den Taurus bedienen, eines unserer effektivsten Waffensysteme? Zum Glück hat der Scholz sie nicht an die Ukraine verschleudert, so dass sie sich nun im Gebrauchsfall hier bei uns bis unter die Bunkerdecke stapeln. Nicht nur als Lagerist böte ich mich an, man könnte mich gleich an die Abschussrampe setzen, schließlich müsste ich bloß den Knopf drücken. Push the button und ab geht die Post. Als Blinder müsste ich nicht sehen, wohin das Ding fliegt, ferngesteuert ist es zielsicher genug. Und rettet am Ende so und so viele Leben, ich meine hier auf unserer Seite des Frontverlaufs. Was es drüben bei den anderen anrichtet, will ich mir nicht ausmalen, es täte meiner frisch erworbenen Kriegstüchtigkeit schon wieder Abbruch. Aber so eine Taurus abfeuernde Rampensau, ich glaube, das wärs.
Wie ich auf diese Schnapsidee komme? Ganz einfach: Musste mich nur an meinen früheren Sachbearbeiter beim Arbeitsamt erinnern, der mir, als ich ihm weismachen wollte, blinde Kulturwissenschaftler seien bei Stellenangeboten wenig gefragt, klipp und klar sagte, für Sie gibt es Stellen, sie können als Telefonist arbeiten. Telefonisten werden gesucht. Wollt ich natürlich nicht hören, mein Gott, was für einen Aufstand hab ich damals gemacht, mich mit Händen und Füßen gewehrt, mit der Faust auf den Tisch geschlagen, um ein Haar wäre der PC des Sachbearbeiters von der Tischkante gesprungen, den hätte er mir hinterher auch noch in Rechnung gestellt. Und dabei hatte er vollkommen recht, wir Blinde sind die geborenen Telefonisten. Wie im Kriegsfall die geborenen Taurus-Drücker.
Mittlerweile sehe ich es ein, werde auf dem Wehrkraftzersetzungsamt – äh, Ersatzamt heißt es selbstverständlich – nicht wieder solche Randale machen. Sondern freiwillig sagen, melde mich gehorsamst zum Dienst an der Waffe, Gattung Taurus, habe fünf gesunde Finger und kann wie verrückt drücken. Wo bitte geht es hier zum Knopf? – Als Telefonist hätte ich womöglich noch die Wählscheibe bedienen müssen, geht ja heute auch alles per Knopfdruck. Telefonist oder Taurus-Schütze, ist doch gehopst wie gesprungen, wer Telefon kann, kann auch Taurus. Auf gehts, den Krieg haben wir schon, an mir solls nicht liegen, an meiner mangelnden Kriegstüchtigkeit soll der Krieg nicht verhungern.
So ist das eben. Solange man noch lebt, lernt man niemals aus. Zuletzt obsiegt doch immer die Stimme der Vernunft. Gegen die Logik bist Du machtlos. Wer A sagt, muss auch B sagen. Wir Behinderten verlangen Inklusion, die kriegen wir auch im Krieg, sofern er uns nur richtig inkludiert. Und sei es nach dem Motto: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Macht nichts, Hauptsache logisch, konsequent bis zum Umfallen. – Im Frieden Telefonist, im Krieg Taurist und beides barrierefrei. Nichts hindert uns, marsch marsch, hoch den Arsch, geht alles wie im Flug, vorwärts du träger Körper, ran an die Marschflugkörper, unsere Taurussen. Was muss das muss, Feuer frei und Schuss.
Warten auf den Tod des Täters oder was wir Behinderte dem Staat wert sind
„Umgebracht werden“ hieß es voriges Mal in der Kolumne. „Kriegstüchtig werden“ heißt es dieses Mal. – Ja, es geht martialisch zu in der Welt um uns her und Behinderte sind Teil dieser Welt und leben in ihr. Wovor ich als Kolumnist einer Behindertenplattform nicht die Augen verschließen kann und will. Eigentlich hatte ich vor, in dieser Kolumne von etwas anderem zu sprechen, bei dem es allerdings ebenfalls um Gewalt und ihre Verhütung bzw. darum sie zu beenden, gegangen wäre. Um Gewalt gegen mich, den Erblindeten und meiner Alltagsbegleiterin, wie wir sie an unserem Wohnort jahrelang erlitten haben. Und um die gegenüber uns geäußerte Ansicht der hiesigen Amtsrichterin, die einzige Aussicht auf ein Ende dieser Gewalt bestehe für uns darin, auf den Tod des Täters zu warten. Verbunden mit ihrer Prognose, unsere Chancen den Täter zu überleben, stünden nicht schlecht.
Zwei Jahre nach dem denkwürdigen Telefonat mit ihr sollten sich die prognostischen Fähigkeiten der Richterin bestätigen. Wir beide waren noch am Leben, als vergangenes Jahr um diese Zeit, Ende November, sich der Tod des Täters ereignete. Als ihn sein eigener Lebenswandel zu Fall brachte. Als er die von Nachbarn herbei gerufenen Sanitätsschwestern bedrohte und der Notarzt nur mit polizeilicher Begleitung zu ihm konnte. Und sie ihn schließlich durch eine Beruhigungsspritze sediert, endlich in den Krankenwagen schieben konnten. – Vor allem dachte ich an ein Wort darüber, wie wir uns fühlten, die ihn Überlebenden. Was aber vielleicht gar nicht nötig ist. Denn wie fühlt man sich wohl, als Gewinner einer Wette, bei der die Lebenszeit der Opfer gegen die des Täters antritt? Bei der man den Tod des Täters abwarten soll, um nicht länger dessen Opfer zu sein und wieder ein Leben ohne die tägliche Entwürdigung am Wohnort zu führen. Und dies in letzter Instanz deswegen, weil sich die Justiz zu einer anderweitigen Unterbringung oder Verwahrung des Täters nicht entschließen mag. Und zwar aus dem einzigen Grund, so die Amtsrichterin wörtlich, weil es den Staat zu teuer käme. Anders gesagt, das sind bzw. waren wir diesem Staat nicht wert, der Behinderte und seine Begleiterin.
Kriegstüchtigkeit und Behinderteninklusion
Spitzt sich die Frage nicht augenblicklich zu, was wir Behinderte dem Staat wert sind? Sobald man nämlich – was die Kostenfrage angeht – die beiden „Staatsziele“ Kriegstüchtigkeit und Behinderteninklusion nebeneinander stellt. Das eine habe mit dem anderen nichts zu tun? Schön wärs. Wenn beides harmonisch zusammen ginge, Barrieren abbauen und uns Behinderte inkludieren einerseits und die Bevölkerung insgesamt zügig zur Wehrhaftigkeit erziehen und für den Krieg ertüchtigen. Zu dem es, Gott behüte, eben deshalb nie kommt, gerade weil wir so wehrhaft und kriegsbereit sind. Wie die alten Griechen und Römer, die dank ihrer steten Kriegsbereitschaft kaum Kriege führten und so gut wie ständig Frieden hatten (wie sie mit ihren Behinderten verfahren sind, ist den Geschichtsbüchern nicht zu entnehmen). – Warum sollte also dies nicht wunderbar zusammengehen: Unsere maroden Straßen (wie es der Sicherheitsexperte Joachim Krause im Deutschlandfunk ausgeführt hat) so befestigen und ausbauen, dass sie schweres Gerät und Kriegsmaterial tragen. Und damit gleichzeitig (gestatte ich mir hinzuzufügen) unseren Rollstuhlfahrern freie Fahrt erlauben, ohne dass sie in Schlaglöchern steckenbleiben. Und wenn erst das große Bunkerbauprogramm in Angriff genommen wird, warum soll es nicht in einem Zuge damit möglich sein, auch die eine oder andere Schwelle zu einem Gastronomiebetrieb abzusenken, fällt finanziell dann überhaupt nicht ins Gewicht. Die Bunker selbst müssen ohnehin barrierefrei sein, denn nicht nur beim Probealarm, sondern erst Recht im Ernstfall möchten wir Behinderte, dass sich die Bunkertür nicht vor uns, sondern hinter uns schließt. Nur der Russe bleibt draußen. So geht Sicherheit.
Ist das die Sicherheit, die der Politik vorschwebt, die der Staat seinen Bürgern gerade verordnet? Und die Art von Inklusion, die er uns Behinderten gerade noch gnädig gewährt? Danach sieht es aus. Nach diesem neuen Typus von „Warfare-State“ und „Welfare-State“, von Krieg und Wohlfahrt.
Einer Wohlfahrt, die den Namen nicht verdient. Eine wehrhafte Wohlfahrt, mit deren kriegerischen Untertönen – etwa, dass wir uns wieder „mit dem Gedanken an Tod und Verwundung vertraut machen müssen“, so Ex-General Domröse (ebenso im Deutschlandfunk am 6.11. 2023) – ihre Befürworter wissentlich das Risiko eingehen, dass wir am Ende allesamt zur Hölle fahren.