Menu Close

„Ich klage an!“ – Eine Stellschraube mag nicht länger schweigen

Hans-Willi Weis mit Schlapphut und Schraube in der Hand
Kolumnist im Gespräch mit Stellschraube
Foto: Hans-Willi Weis

Staufen (kobinet) „Ich klage an“, dies sind die Worte einer Angehörigen aus der Kategorie der heute mit Vorliebe politisch Instrumentalisierten, der unübersehbaren Masse an Stellschrauben. Alle führen sie im Mund, Berufspolitiker vorneweg: die „ Stellschrauben“. Aber noch nie hat man eine Vertreterin dieser politisch Instrumentalisierten zu Wort kommen lassen. Die Kobinet-Nachrichten machen Schluss mit dieser Sprachlosigkeit. Was die Vertreterin der Stellschrauben unserem Kolumnisten zu Protokoll gibt, ist nichts weniger als eine Offenbarung. Und ein Offenbarungseid für die Politik.



Ein kollektiver Drehschwindel

Kolumnist: Wie darf ich Sie anreden? Um nicht gleich ins Fettnäpfchen der politischen Korrektheit zu tappen. Sie verstehen, was ich meine. – Stellschraube: Klar, aber keine Sorge, bei uns wird nicht gegendert. Wir sind Stellschrauben alle miteinander. Die Stellschraube im Singular, Stellschrauben unser Plural. Also verwenden Sie einfach das generische Femininum, als hätten sie eine Frau vor sich. Unter uns gibt es zwar gewissermaßen zwei Geschlechter, die mit einfachem Schlitz und die mit Kreuzschlitz. Die Kreuzgeschlitzten hielten sich lange Zeit für etwas Besseres. Doch seitdem die Politik uns alle so gnadenlos missbraucht, fühlen wir uns alle eins, als Stellschrauben eben. Der politische Missbrauch schweißt uns zusammen, da ist der Schlitz egal.

Kolumnist: Verstehe. Sie sehen sich und ihresgleichen also als Opfer einer politischen Kampagne.

Stellschraube: Mindestens. Unsereins weiß nicht mehr, wo ihr der Kopf steht, so sehr werden wir von der Politik bedrängt. Ständig behauptet sie, an der einen oder der anderen von uns nur drehen zu müssen, um aus dem Schlamassel herauszukommen. Eine Drehung hier und eine Drehung dort, so herum sagen die einen, anders herum die anderen. Immer soll es an uns Stellschrauben liegen, wenn die Verhältnisse verdreht sind. Tag und Nacht fürchten müssen, von Politikern befingert zu werden, das ist doch eine Horrorvorstellung.

Kolumnist: Echt krass, ich bekomme allein schon vom Zuhören den Drehwurm. Wir Menschen ließen uns das nie und nimmer gefallen, bilden uns jedoch ein, mit euch Stellschrauben kann man es ja machen. Ihr wehrt euch nicht, Material ist geduldig. Ihr leiert höchstens aus. Zu selten bricht mal eine von euch. Und was kommt bei der ganzen Dreherei und dem elenden Geschraube heraus? Nichts als ein einziger Schraub- und Drehschwindel.

Stellschraube: Sie sagen es. Wir Stellschrauben fühlen uns komplett manipuliert. Früher hätte es unter euch Zweibeinern sicher noch welche gegeben, die der Drehwut und dem politischen Schraubzwang widersprochen hätten und gesagt, bei euch ist wohl ein Schräublein locker.

Alle wollen drehen

Kolumnist: Ja genau. Aber so gut wie alle verwechseln heutzutage Politik mit Stellschrauben-Drehen. Nicht nur die professionelle Politik ist von diesem Wahn befallen, das Heil im Schraubendrehen zu suchen. Selbst in einem Community-Podcast von uns Behinderten auf Bayern Zwei zum Thema „arm und behindert“ wird von einem der Gesprächsteilnehmer gleich zu Anfang gefragt, was denn hier die Stellschrauben wären. Wo gedreht werden müsste, damit Behinderte nicht verarmen. Ich meine, ich bin ja selber arm, alt und behindert und ich kann mir das Schraubengewirr gar nicht vorstellen, an dem die Politik da drehen müsste. Ohne selber davon großen Nutzen zu haben, etwa die nächste Wahl zu gewinnen. Zumal Politikerinnen und Politiker selber nie armutsbetroffen und behindert sind. Und überhaupt: Politik ist doch kein Techniker-Beruf und wir Menschen und die Gesellschaft sind keine Maschinen. Für den Soziologen Max Weber war Politik immerhin noch „ein Bohren dicker Bretter“, jetzt soll es hier und dort mit einer Schraubendrehung getan sein.

Stellschraube: Sie sprechen mir aus der Seele. Früher war von uns Stellschrauben keine Rede. Man hat uns stillschweigend eingestellt, festgeschraubt, so oder so gedreht, auch mal welche weggeworfen. Und über Politik nicht technisch, sondern politisch gestritten. Macht, Interesse, Einfluss, Bündnisse etc. haben über das Ergebnis entschieden. Klassen, Eliten, Interessengruppen, Mehrheiten und Minderheiten rangen um die Vorherrschaft. All dies spielt nun keine oder nurmehr eine untergeordnete Rolle, alles soll auf einmal politisch von uns Stellschrauben abhängen. Unter der Last dieser uns aufgebürdeten Heilserwartung wären andere längst zusammengebrochen.

Stellschraube weiter: Verantwortlich für arm und reich, Vermögende auf der einen und Habenichtse auf der anderen Seite, die Stellschrauben der Wirtschaft; und von denen bloß keine verstellen, Doktor Schräubles „schwarze Null“ nicht antasten. Hilfe für Krankenhaus- und Pflegenotstand, eine Drehung an den Stellschrauben im Gesundheitswesen, beispielsweise das Anziehen der Daumenschrauben im Corona-Lockdown. CO2-Ausstoß und Klimakatastrophe, eine Stellschraubenfrage. Migranten und Asylanten, die sich erst die Zähne machen lassen und dann zubeißen, eine Frage der Stellschrauben. Illegale schneller abschieben, Wölfe schneller abschießen, die Stellschraube machts möglich. Hey Mensch, was verlangt man noch alles von uns. Ist eines Tages die Welt untergegangen, wird es heißen, an uns Stellschrauben habe es gelegen.

Kolumnist: Immer soll es an euch Stellschrauben liegen, dass Ihr verdreht seid. Und dann soll es eine erneute Drehung wieder richten. Aber die politischen Machtstrukturen sollen bleiben wie sie sind, festgezurrt im Schraubstock. So wollen es die Mächtigen.

Alternativvorschlag Machtstrukturen aufbrechen

Stellschraube: Richtig, Sie haben es erfasst. Die Machtstrukturen aufbrechen, das wäre mal wieder Politik! Aber an den Machtstrukturen soll sich gerade nichts ändern, dafür müssen wir Stellschrauben herhalten, dazu werden wir ständig verbal instrumentalisiert. Was zweifelsohne, Sie sagten es, den Tatbestand des Missbrauchs von Wehrlosen erfüllt. Und weshalb ich im Namen der namenlosen Masse von uns Stellschrauben sage, ich klage an! Nämlich die Stellschrauben-Politiker und -Politikerinnen und fordere sie auf: Lasst uns Stellschrauben endlich aus dem Spiel und macht Politik. Früher, als sie noch nicht mit dem Stellschraubengerede davon abgelenkt haben, haben es die Mächtigen mit ihrer Machtpolitik ganz einfach vorgemacht. Zum Beispiel die Vermögenssteuer abgeschafft. Diese Stellschraube hat man kurzerhand komplett rausgeschraubt, gezogen wie einen faulen Zahn und zum Alteisen geworfen. Zack, knallharte Interessenpolitik.

Kolumnist: Vielen Dank für diese aufschlussreiche Auskunft, liebe stellvertretende Stellschraube. Ich glaube, ihre Anklage und was Sie gesagt haben, ist auch für uns Behinderte, die wir eher zu den politisch Ohnmächtigen zählen, nicht uninteressant. Unser Aktivismus sollte nicht auf das Stellschraubengeschwätz hereinfallen, auch wenn ich noch nicht sehe, wie das mit der knallharten Macht- und Interessenpolitik von unserer Seite aus zu bewerkstelligen wäre. Sicher keine einfache Aufgabe, aber Machtstrukturen aufbrechen, das wärs!

Anmerkung

Im oben erwähnten Podcast über das Thema „Armut und Behinderung“ diskutierten Jonas Karpa, Karin Sturm und Raul Krauthausen. Von dieser Stammbesetzung des Podcasts stuften sich alle als nicht arm bzw. armutsgefährdet ein (lediglich Raul Krauthausen räumte seine Angst vor Altersarmut ein). Als sowohl behinderter wie auch vermögens- und einkommensarmer Kolumnist könnte ich nun sagen: Nichts über uns ohne uns (armutsbetroffene Behinderte). Sage ich aber nicht, der Podcast ist ja im übrigen sehr hörenswert.

Lesermeinungen

Bitte beachten Sie unsere Regeln in der Netiquette, unsere Nutzungsbestimmungen und unsere Datenschutzhinweise.

Sie müssen angemeldet sein, um eine Lesermeinung verfassen zu können. Sie können sich mit einem bereits existierenden Disqus-, Facebook-, Google-, Twitter-, Microsoft- oder Youtube-Account schnell und einfach anmelden. Oder Sie registrieren sich bei uns, dazu können Sie folgende Anleitung lesen: Link
1 Lesermeinung
Neueste
Älteste
Inline Feedbacks
Alle Lesermeinungen ansehen
Marion
15.10.2023 13:31

Ich habe den Beitrag nicht verstanden 🙁
Für uns behinderten Menschen ist eben doch nicht alles bestimmt