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Werkstatträte Deutschland zur Studie zu Werkstätten für behinderte Menschen

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Foto: Werkstatträte Deutschland e.V.

Berlin (kobinet) Der "Abschlussbericht der Studie zu einem transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystem für Menschen mit Behinderungen in Werkstätten für behinderte Menschen und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“, wurde am 14. September 2023 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlicht und am 18. September bei der Werkstatträtekonferenz der SPD-Bundestagsfraktion öffentlich vorgestellt. Damit ist die Diskussion um die nun geplante Reform des Werkstättensystems spätestens jetzt eröffnet, so dass verschiedene Akteur*innen ihre Positionen dazu öffentlich machen. So auch Werkstatträte Deutschland, deren Stellungnahme zum Abschlussbericht der Studie nun vorliegt und die die kobinet-nachrichten im folgenden veröffentlichen.



In der Stellungnahme des Vorstand von Werkstatträte Deutschland heißt es zum Abschlussbericht der Studie für ein neues Entgeltsystem in Werkstätten vom BMAS:

„Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat vor 4 Jahren eine Studie bei 2 Forschungsinstituten in Auftrag gegeben. Die Studie sollte insbesondere das Entgeltsystem in Werkstätten beleuchten und zudem prüfen, wie Übergänge aus der Werkstatt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt besser gestaltet werden können. Nun liegt der knapp 290-seitige Abschlussbericht vor.

Werkstatträte Deutschland e.V. (WRD) – als demokratisch gewählte Selbstvertretung der bundesweit ca. 320.000 Menschen mit Behinderungen in Werkstätten – begrüßt zunächst die ausführliche Untersuchung der Entgeltsituation und der Rahmenbedingungen von Beschäftigten in Werkstätten. Besonders das komplizierte System und das viel zu geringe Entgelt in Werkstätten beschäftigt WRD schon sehr lange. Bereits im Vorfeld der Studie hat WRD 2019 das Basisgeld für voll erwerbsgeminderte Menschen in die kontroverse Diskussion eingebracht. Wir freuen uns, dass einige Elemente in den Handlungsempfehlungen Berücksichtigung fanden.

Werkstatträte Deutschland möchte zu einigen Handlungsempfehlungen im Abschlussbericht Stellung nehmen:

Allgemein

Werkstatträten ist zunächst wichtig festzuhalten, dass wir auch Veränderungsbedarf bei Werkstätten sehen. Jedoch kann es nicht um die Abschaffung eines bisher bewährten und verlässlichen Arbeitsangebots gehen, sondern lediglich um eine Veränderung der Werkstätten hin zu inklusiven Unternehmen. Denn die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten ist zufrieden mit ihrer Arbeit in einer Werkstatt. Dies sagen zumindest 88% der befragten Beschäftigten in der Studie. Werkstätten bieten im derzeitigen nicht inklusiven Arbeitsmarkt ein echtes Angebot zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit voller Erwerbsminderung.

Wenn bei der Suche nach dem besten Entgeltsystem die Frage des Rechtsstatus der Beschäftigten geändert werden muss, so ist es uns wichtig die bisherigen besonderen Schutzrechte aus dem arbeitnehmer-ähnlichen Rechtsverhältnis, wie Arbeitsplatzgarantie, praktische Unkündbarkeit und weitere zu erhalten. Wir benötigen diese Nachteilsausgleiche, um nicht in einem freien Arbeitsmarkt durch das Netz zu fallen.

Denn unser wichtigstes Kriterium bei allen Überlegungen muss sein: Egal, wohin sich Werkstätten und das Entgeltsystem verändern, niemand darf auf dem Weg verloren gehen!

Der betriebswirtschaftlichen Empfehlung, dass sich Werkstätten eher spezialisieren sollten, statt ein breites Spektrum an Tätigkeiten anzubieten, widersprechen wir. Dies würde aus unserer Sicht die Angebotsvielfalt insbesondere in Flächenländern vor Ort für Beschäftigte einschränken und die Wahlmöglichkeiten erheblich reduzieren.

Entgelt

WRD hat frühzeitig die Idee des Basisgeldes in die Diskussion eingebracht. Die Studie hat sich vorrangig mit den finanziellen Auswirkungen verschiedener Modelle beschäftigt. Dabei haben die Beschäftigten mit dem Basisgeld am meisten Geld in der Tasche, jedoch ist es auf den ersten Blick auch das teuerste Konzept. Bedauerlich ist hier, dass die volkswirtschaftliche Komponente zu wenig Berücksichtigung findet. Geringverdienende geben den größten Teil ihres Geldes wieder in ihrer Region aus und erhöhen damit das Steueraufkommen für den Staat. Wir unterstreichen die Empfehlung, dass ein neues Entgelt die Menschen frei von Grundsicherung machen muss. Ein wichtiges Anliegen vom Basisgeld war genau dieser Punkt.

Dieses Ziel ist nur zu erreichen, wenn ein großer Bestandteil des Entgelts steuerfinanziert wird. Die diversen Untersuchungen in der Studie zeigen, dass Werkstätten dies nicht allein erwirtschaften können. Beschäftigte stehen heute schon zeitweise unter hohem Arbeitsdruck, den nicht viele langfristig standhalten können.

Die Kombination aus einem steuerfinanzierten auskömmlichen Sockelbetrag plus einem leistungsabhängigen erwirtschafteten Lohnbestandteil halten wir für einen fairen Interessenausgleich. Wichtig bleibt, dass es nicht zu gegenseitigen Anrechnungen kommt und das Entgeltsystem möglichst einfach wird. Alle Menschen sollten es leicht verstehen können.

Unbedingt erhalten bleiben sollte der Nachteilsausgleich der fiktiv erhöhten Rentenzahlungen und die Möglichkeit, nach 20 Jahren eine auskömmliche Erwerbsminderungsrente zu erhalten. Dies schützt vom allgemeinen Arbeitsmarkt benachteiligte Menschen mit voller Erwerbsminderung derzeit vor einer gewissen Altersarmut.

Übergänge zwischen Werkstatt und dem sogenannten allgemeinen Arbeitsmarkt

Die berufliche Bildung von Menschen mit Behinderung auch in einem externen Kompetenzzentrum auszulagern, halten wir für einen inklusiven Ansatz. Dies kann dann auch anderen Menschen zugutekommen, die in ihrer bisherigen Bildung benachteiligt wurden oder angepasste Lernformen benötigen. Wichtig ist hier allerdings, dass die Qualität in Bezug auf Personalschlüssel, Kontinuität und Zeit nicht abgesenkt wird. Fraglich bleibt, wie ein eigenständiges Bildungszentrum die bewährte duale Ausbildung gewährleisten will, wenn sie über keine Arbeitsangebote verfügt. Am Ende der Beruflichen Bildung muss dann aber auch ein allgemein anerkannter Abschluss stehen, der für weiterführende Angebote qualifiziert und bei allen Arbeitgebern anerkannt wird. Zudem muss auch hiernach der Zugang zur Werkstattleistung offenbleiben.

Bei den Empfehlungen zu den Übergängen vermissen wir die Perspektive der Betroffenen. Es geht viel um Anreize für Anbieter und Arbeitgeber, aber wenig um das Wunsch- und Wahlrecht der Beschäftigten. Wir lehnen Zwang ab, aber befürworten eine verbesserte Wahlmöglichkeit des Arbeitsortes durch Angebotsvielfalt ausdrücklich.

Weiter sehen auch wir große Chancen für erfolgreiche Übergänge in einer guten Begleitung. Hierfür sind Jobcoaches ein gutes Konzept. Sie müssen jedoch ausreichend re-finanziert werden und auch nach dem Übergang zur Verfügung stehen können.

Es bleibt nun abzuwarten, wie das Ministerium und die Politik die Ergebnisse und Handlungsempfehlungen genau umsetzen werden. Wir möchten jedoch nicht nur abwarten, sondern fordern die Verantwortlichen auf, auch im weiteren Gesetzgebungsprozess aktiv die Stimme der Betroffenen einer Reform – also die Menschen mit Behinderung in den Werkstätten zu hören und mit in die weiteren Überlegungen einzubeziehen.

Werkstatträte Deutschland e.V. steht jederzeit als gewählte Selbstvertretung der Beschäftigten als Gesprächs- und Diskussionspartner zur Verfügung.

Der Vorstand von WRD“

Link zur Stellungnahme von Werkstatträte Deutschland