
Foto: Cecile Locomte
Hannover (kobinet) "Gewonnen! Das Verwaltungsgericht Hannover hat @HoernchenCecile & und unserer mit #AnnaLuczak verfassten Klage recht gegeben - die Ausschreibung zur Fahndung durch die #Bundespolizei & die Observation waren rechtswidrig! Ein Erfolg für die #Versammlungsfreiheit." Mit diesem auf X verbreiteten Post bringt die Gesellschaft für Freiheitsrechte ihre Freude zum Ausdruck, dass Cécile Lecomte beide von ihr eingereichten Klagen am 6. September vor dem Verwaltungsgericht Hannover gewonnen hat. Von Cécile Lecomte, die am 9. September bei der behindert und verrückt feiern Pride Parade in Berlin dabei sein und dort auch einen Redebeitrag halten wird, haben die kobinet-nachrichten folgende Informationen zur Verhandlung bekommen.
Bericht von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul
Cécile Lecomte engagiert sich nicht nur für die Umwelt durch spektaktuläre Aktionen. Die Rollstuhlnutzerin hat auch immer wieder durch verschiedene Aktionen auf die Barrieren und die Diskriminierungen bei der Bahn hingewiesen. Am 6. September 2023 wurden zwei Klagen der Lüneburger Umwelt- und Kletteraktivistin Cécile Lecomte gegen die Bundespolizei vor dem Verwaltungsgericht Hannover verhandelt. „Die Polizei umgeht bewusst eigene Gesetze um die Protestform des Aktionskletterns zu kriminalisieren und damit zu unterbinden. Die Missachtung von Grundrechten ist gefährlich, nicht der Protest gegen die Atomkraft und Klimakiller“, erklärte die Klägerin Cécile Lecomte am 6. September nach der 3-stündigen Verhandlung ihrer Klagen gegen Überwachungsmaßnahmen durch die Bundespolizei. Das Verwaltungsgericht gab ihr Recht: „Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit bundespolizeilicher Maßnahmen erfolgreich – Observation und Fahndung einer Umweltaktivistin waren unzulässig“ teilte das Gericht in seiner Pressemitteilung mit. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Gegenstand der Klagen sind zwei präventive Überwachungsmaßnahmen der Bundespolizei gegen die in Lüneburg lebende französische Aktivistin.
Eine Ausschreibung zur präventiv-polizeilichen Fahndung über mehrere Jahre und eine ebenfalls präventive verdeckte Observation (Überwachung) anlässlich des CASTOR-Transportes nach Biblis im Jahr 2020 waren Anlass der Klagen der Aktivistin. Cécile Lecomte (Spitzname Eichhörnchen) engagiert sich seit vielen Jahren gegen die Atomkraft und in der Klimabewegung sowie für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Sie klettert gerne, auch politisch. Sie nutzt einen Rollstuhl aufgrund einer autoimmun Erkrankung und gibt Kletterkurse für Menschen mit Behinderung. Sie ist Sprecherin für „Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ bei der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) sowie Trägerin des Nuclear-Free Future Award 2022 – Ehrenpreis Kategorie besondere Anerkennung.
Vor der Gerichtsgebäude fand eine Solidaritätskundgebung statt. ca. 20 Menschen wohnten der Verhandlung bei. Das Gericht befasste sich zunächst mit der verdeckten Observation der Klägerin. Die Polizei hatte es unterlassen, die Betroffene über die Maßnahme im Nachgang zu unterrichten, obwohl die Unterrichtung gesetzlich festgeschrieben ist. Cécile Lecomte hatte durch Zufall bei der Einsicht in eine Akte in ein anderes Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Darmstadt davon erfahren. Eine erste Klage auf Unterrichtung gewann die Aktivistin zunächst vor dem Verwaltungsgericht Hannover. Die Bundespolizei rückte im Verfahren um die verdeckte Observation, Aktenteile nur widerwillig raus. Die Akte belegt einen tiefen Eingriff in ihrer Privatsphäre. Festgehalten sind beispielsweise ihre Fahrten zur Krankengymnastik, ihre Kontakte mit anderen Personen, ihre Beteiligung an Demonstrationen, heißt es in einer von der Aktivistin verbreiteten Presseinformaiton.
Vor Gericht wurde sich mit dem Gefahrenbegriff auseinandergesetzt. Damit waren aber weder die Gefahren der Atomkraft noch der Klimakrise gemeint. Sondern die Aktionen der Betroffenen dagegen. Die Polizei konnte keine konkreten Gefahren für die Allgemeinheit nennen. Sie hatte ihre Maßnahme mit vergangenen Kletteraktionen, die allesamt keine strafrechtliche Relevanz hatten, begründet. Die Bundespolizei zog mangels Gefahr für Leib und Leben der Allgemeinheit, die Gefahr der Selbstverletzung und der Verletzung von Polizeibeamten bei einer Räumung heran. „Die Polizei argumentiert einerseits mit meiner Erfahrung und Expertise und ‚herausgehobener Stellung‘ in der Protestszene. Sie behauptet anderseits, dass ich mich verletzen kann, weil ich Schwerbehindert bin. Das ist zutiefst ableistisch und Unsinn! Klettern will gelernt sein. Wer nicht klettern kann, sollte es lassen. Das gilt auch für Polizeibeamt*innen“ kommentierte die Klägerin.
Das Gericht äußerte schließlich Zweifel an das Bestehen einer Gefahr ohne abschießend darüber zu urteilen. Die Maßnahme wurde schließlich deshalb für rechtswidrig erklärt, weil mildere Maßnahmen wie eine offene Überwachung zur Verfügung standen. Das wären gegebenenfalls Stoff für eine Klage…
Das Gericht beschäftigte sich anschließend mit der Fahndungausschreibung. Kenntnis davon hatte die Betroffene über ein Auskunftsersuchen bei der Bundespolizei. Im INPOL-Eintrag stand „Intensive Prüfung präventiver Maßnahmen zur Verhinderung versammlungstypischer Aktionen, Meldung an BpolD Hannover.“ Darauf hatten Beamt*innen von Bundes- und Landespolizei Zugriff bei der Eingabe der Personalien der Betroffenen im System. „Das Einzige, worauf man den Fahndungsbescheid der Polizei stützen kann: Cécile Lecomte ist politisch aktiv und macht versammlungstypische Aktionen. Das zum Anlass für eine Fahndung zu nehmen ist nicht verhältnismäßig“, erklärte Lecomtes Anwältin Anna Luczak. Das Gericht stellte die Rechtswidrigkeit fest. Das Gesetz ermächtige die Polizei weder zur Anordnung der Weitergabe der Daten noch zur Erstellung eines Bewegungsprofils.
Die Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Klage gegen die Ausschreibung zur präventiven polizeilichen Fahndung juristisch begleitet, kommentiert: „Seit Jahren warnen viele Organisationen und Wissenschaftler*innen vor den Folgen der ständigen Ausweitung polizeilicher Überwachungsbefugnisse: Nicht nur verstoßen viele der novellierten Polizeigesetze gegen Grundrechte. Sie werden im Namen der ‚Terrorismusbekämpfung‘ erlassen und am Ende oft zu ganz anderen Zwecken eingesetzt: Wie im Fall von Cécile Lecomte dazu, um Aktivist*innen einzuschüchtern und Protestaktionen zu verhindern.“
Link zu weiteren Informationen:
Blog von Cécile Lecomte: https://blog.eichhoernchen.fr/
GFF: https://freiheitsrechte.org/themen/freiheit-im-digitalen/cecile-lecomte
Pressemitteilung vorm Verwaltungsgericht:
Was hat dieser Artikel hier verloren? Es geht hier nicht in entferntesten um Behindertenpolitik.