Staufen (kobinet) Franz-Josef Hanke hat in einer Kolumne im Online-Magazin Die Neue Norm über seine behinderungsbedingten Nutzerschwierigkeiten mit einem digitalen Endverbrauchergerät berichtet. Sein Text, der anschaulich schildert, wie er sich plagt, hat mich angerührt. Ich spürte den Impuls, ihm ein paar unterstützende Zeilen zu schreiben, weil ich mir das oft auch selber wünsche, einmal Verständnis und Zuspruch von anderen zu erfahren. Leider bin ich an der Kommentarfunktion gescheitert, die Maschine hat nach zweimaligen Versuch auf das Textlein nicht reagiert. Deshalb erscheint es hier in der Ferienkolumne am Rand des Sommerlochs.
Lieber Herr Hanke, zu dem, was Sie da so anschaulich aus ihrer eigenen Erfahrung schildern, kann ich nur sagen, „me too“. Und daher schließe ich mich ihrem beherzten Plädoyer für analoge Zugangsmöglichkeiten überall dort, wo man als Nicht-User von Smartphone und App auf unüberwindliche Hindernisse bzw. Barrieren stößt, voll und ganz an. Inzwischen 72-jährig und seit über zwei Jahrzehnten voll erblindet, habe ich mich wegen widriger Lebensumstände, zum Teil aus anderen Überlegungen heraus dagegen entschieden, mir die für einen ausschließlich digitalen Zugang nötigen Tools zuzulegen und mir mühsam, als Behinderter doppelt und dreifach mühsam, die entsprechenden Benutzerfertigkeiten anzutrainieren. Zumal ich in der mir verbleibenden Lebenszeit noch gern so viel anderes, mir verlockender und erbaulicher Erscheinendes tun möchte.
Darum tat es mir auch gut, kürzlich von Heribert Prantl zu hören, dass unser Grundgesetz ein analoges Leben garantiere. Präziser gesagt, das Recht auf analoge Zugänge zur Teilnahme an lebenswichtigen gesellschaftlichen Veranstaltungen und Einrichtungen. Und das sind nicht nur Einkäufe im Supermarkt oder Krankenhausaufenthalte, dazu gehört auch das kulturelle Leben und seine ganze Bandbreite. Sein Bedürfnis nach analogem Leben allein innerhalb der eigenen vier Wände oder auf einsamen Waldspaziergängen zu befriedigen, wäre schließlich eine zu enge Auslegung des grundgesetzlich garantierten Rechts auf ein analoges Leben. Aber leicht werden wir es mit der Verteidigung und Durchsetzung dieses Rechts wohl nicht haben, so wie die Dinge liegen. Umso dringlicher, sich bei diesem Anliegen gegenseitig zu unterstützen. Und wenn es irgend geht, sich nicht entmutigen lassen. – Beste Grüße und Wünsche für einen barrierefreien Alltag.
Bernhard Pörksen, Tübinger Medien- und Kommunikationswissenschaftler, berichtet (2023 auf SWR2) von Matthew McClure, einem alten Cyberhippie und Internetpionier aus Tagen digitaler Blütenträume und Vernetzungsutopien (um 1985): Er sei heute ein alter Mann. Die langen Haare und sein Bart inzwischen fast weiß. Er lebt in einer kleinen Stadt in der Nähe von San Francisco, eine halbe Autostunde vom Hafen in Sausalito entfernt, wo alles begonnen habe. Noch immer meditiere er täglich, manchmal mit den Freunden aus der Kommune von einst. Du liebe Güte, was nur aus seinen Idealen geworden sei! Er seufze, wenn man ihn danach frage, was aus dem allem geworden ist. Er rede in Andeutung, einmal falle das Wort Perversion, im Zusammenhang mit Mark Zuckerberg und Facebook. Dann stocke er, er wolle nichts Hässliches sagen, das sei ihm wichtig, noch immer. Dann habe er geschwiegen.
Ich mag vorerst noch nicht gänzlich schweigen. Vielleicht ist mein Bart noch nicht lang und weiß genug. Trotzdem empfinde ich ähnlich wie der weißbärtige Mc Clure. Und bin dennoch dankbar für mein digitales Vorlesesystem. Für den Augenblick wäre es schön, das Fremdheitsgefühl einfach im Sommerloch zu versenken.
Kann es sein, dass Behinderte, weil sie von so vielen digitalen Produkten profitieren, großzügig über die Schattenseiten der schönen neuen Digitalwelt hinwegsehen? Beispielsweise fröhlich weiterzwitschern auf Twitter, wie kommerziell korrumpiert und von Hate-Speech mittlerweile überschwemmt ist, spätestens seit der Übernahme von Elon Musk? Obwohl von dem Gründer Larry Dossey anders intendiert, ähnlich wie im Fall anderer ursprünglich demokratisch und egalitär gemeinter utopischer Netzprojekte. Mich an eine Reise in den Südwesten der USA im Sommer 1983 erinnernd, an die Bay Area, Monument Valley und den Grand Canyon, so sitze ich in melancholischer Stimmung am Rand des diesjährigen Sommerlochs und lasse die Beine hinabbaumeln.
P.S. Ein kleiner Stimmungsaufheller, gedanklich, als ich von den jungen Frauen der Initiative „Rekonquista Internet“ lese im Buch von Raul Krauthausen und Benjamin Schwarz „Wie kann ich was bewegen? Die Kraft des Konstruktiven Aktivismus“. Sozial ist das Internet aus einer Graswurzelbewegung entstanden und solange Graswurzeln immer wieder nachwachsen, sage ich mir, muss man vielleicht die digitale Flinte nicht ins Korn werfen.