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Beschwerden über das psychiatrische Versorgungssystem in Berlin? Die BIP berät und begleitet.

Das Logo der BIP
Beschwerden sind wichtig für eine Verbesserung der psychiatrischen Versorgungslandschaft
Foto: BIP Berlin

Berlin (kobinet) Wer die Internetseite der Berliner Psychiatrie-Beschwerdestelle (BIP) besucht, findet Informationen zu den Rechten von Patient*innen, Auskunft über mögliche Beschwerdevorgehen und kostenfreie Beratung bei Beschwerdeanliegen im psychiatrischen Versorgungssystem. Beratung können sowohl Betroffene, Angehörige, aber auch klinisches und pflegendes Personal selbst bekommen. [1]

Ich hatte das Glück mit dem Projektleiter der BIP, Herrn Weigand, der seit 16 Jahren beim Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. arbeitet und die BIP mit aufgebaut hat, ein Interview zur Arbeit der BIP zu führen.

Wer kann bei Ihnen eine Beschwerde führen?

„Bei uns sind alle Beschwerden willkommen, die sich auf die psychiatrische Versorgung beziehen und einen Berlinbezug haben. Wir schließen niemanden an Hand von bestimmten Diagnosen aus. Das mag selbstverständlich klingen, aber es passiert oft, dass gesagt wird: ach ja der, der ist ja schizophren, der hört Stimmen. Wir sagen dann: kann sein, der hört Stimmen, aber es kann dennoch sein, dass ihm was angetan wurde. Vielleicht ist das auch eine verschlüsselte Botschaft. Und da passieren Sachen die ganz erstaunlich sind, wenn man nicht gleich abstempelt.“

Welche Rolle spielt das trialogische Arbeiten bei der BIP und wie viele bzw. an welchen Stellen, arbeiten Betroffene mit?

„Die BIP ist kein betroffenenkontrolliertes Projekt, der trialogische Ansatz der Arbeit ist aber im Team immer repräsentiert. Auch der Beirat der BIP ist trialogisch zusammengesetzt. Das Trialogische ist wichtig als Signal an die Klient*innen, die oft schlechte Erfahrungen mit professionell Tätigen jedweder Art gemacht haben. Wir geben aber nicht unbedingt nach außen, wer die betroffene Person oder die Angehörige ist die bei uns arbeitet. Es gibt Menschen die nicht mit so intimen Informationen in der Öffentlichkeit stehen wollen und die Erfahrung und Befürchtung haben, dass Bekenntnisse zu Psychiatrie- oder Therapieerfahrungen oder psychischen Erkrankungen immer noch stigmatisiert werden.“

Welche Möglichkeiten haben sie Veränderungen anzustoßen?

„Wir können nur das darstellen, was an uns herangetragen wird. Wir sind also immer auf das angewiesen, das die Beschwerdeführenden uns berichten. Im Beschwerdeverfahren selbst können wir strukturelle Impulse geben, zum Beispiel bei der Klinik anzuregen, doch standardmäßig jedem neuen Klienten die Hausordnung in die Hand zu drücken. Auch das mag selbstverständlich klingen, ist es aber oft nicht. Wir schlagen zum Beispiel Angehörigenvisiten vor, wie sie aus anderen Einrichtungen bekannt sind. Wir bringen also auch immer Modelle ein, die bei anderen Einrichtungen gut funktionieren. Wenn uns gehäuft was bei einem Träger auffällt, können wir das dem Dachverband melden, eine Art Sammelbeschwerde. Wir sind aber keine sanktionierende Stelle, keine Fachaufsicht. Die Beschwerdestelle hat kein Durchgriffsrecht. Sie kann zudem auf Missstände hinweisen und sie bekannt machen, zum Beispiel in verschiedenen Gremien die Kenntnisse und Schlussfolgerungen aus den Beschwerdefällen vorstellen.“

Wie bekommen sie ihr Wissen an die entscheidenden Stellen?

„Unsere Vernetzung ist sehr hilfreich. Zum Jahresbericht des letzten Jahres mit dem Schwerpunt Krankenhaus des Maßregelvollzugs haben wir zum Beispiel einen halboffenen Fachworkshop gemacht, in den Psychiatriekoordinator*innen, Chefärzt*innen und Angehörige geladen waren, um unsere Inhalte und Kritikpunkte bekannt zu machen. Jetzt zum entstehenden Jahresbericht zum Thema betreutes Wohnen, machen wir eine öffentliche Veranstaltung bei der Woche zur seelischen Gesundheit. Außerdem informieren wir die Teilhabefachdienste und Sozialpsychiatrischen Dienste, die Vertreter*innen der Träger, Chefärzt*innen und die Heimaufsicht, welche Beschwerden uns erreichen, bündeln also Feedback das wir an die Verantwortlichen zurückspielen. Wir gehen auch in den kommenden Monaten in alle Psychosozialen Arbeits-Gemeinschaften (PSAG) [2] der Bezirke.“

Wie messen sie den Erfolg ihrer Arbeit und was halten sie für die Ursachen dafür, dass Menschen keine Beschwerde machen?

„Ein Erfolg ist, dass wir die Leute ansprechen und wir hier offene Türen haben, so dass die Leute zu uns kommen können. Auch die verschiedenen Zielgruppen, auch Menschen mit Migrationshintergrund. Das funktioniert in vielen Beratungsstellen nicht so gut, bei uns mit einem Migrant*innen-Anteil von 15-20% der Klient*innen klappt es aber ganz gut. Für viele Betroffene ist die Dokumentierung eines Vorfalls schon wichtig. D.h. der gemeldete Fall fließt in die Statistik mit ein. Andere brauchen Beratung, um dann selbst zu handeln. Ein noch größerer Erfolg ist, wenn wir erreichen konnten, dass die Situation der Person sich verbessert, der Handlungsspielraum zugenommen oder auch die Beziehung und Atmosphäre sich gebessert hat, zum Beispiel zum pflegenden Personal. Große Erfolge gehen dann bis hin zu Aufhebungen von Betreuungen, Verkürzungen von Unterbringungen oder dem gewünschten Fortbestehen eines betreuten Wohnens, obwohl das vom Teilhabefachdienst beendet werden sollte. Es ist auch ein Erfolg, dass die die Unterstützung brauchen, mit uns in Kontakt bleiben. Wir bieten an bis zur Klärung zu begleiten. Von diesen Fällen sind im letzten Jahr mehr als 50% positiv abgeschlossen worden, nur ganz wenige wurden negativ beendet. Aber man verliert auch Leute. Aus verschiedenen Gründen bricht immer wieder der Kontakt ab, dann wissen wir das inhaltliche Ergebnis der Beschwerde nicht.“

Die Beschwerdestelle schildert in ihren Jahresberichten die Aufschlüsselung ihrer Wirkungsbewertungen.

Denkt man in Krisen oder im Akutfall daran, auf ihre Stelle zuzugehen?

„Wenn sich manchmal unsere Arbeit auf Stationen rumspricht, kommt da doch einiges, wovon man vorher nie was gehört hatte. Der tatsächliche Bedarf ist sicher deutlich höher als was wir bisher bekommen, aber auch als wir abdecken können. Unserer Einschätzung nach gibt es wesentlich mehr beschwerderelevante Fälle in Einrichtungen, als die Menge an Beschwerden, die bei der Beschwerdestelle ankommen. Nach dem Psychisch-Kranken-Gesetz Berlin gibt es zwar die Pflicht, Menschen die in der Psychiatrie festgehalten d.h. untergebracht werden, auf die Möglichkeiten der Beschwerde hinzuweisen [3], in manchen Kliniken gibt es auch Aushänge, aber nach wie vor werden Teile der Klient*innen nicht erreicht. Dafür bräuchten wir mehr Ressourcen für Öffentlichkeitsarbeit.“

Was wünschen sie sich für die Zukunft?

„Eine Beschwerde soll immer dazu dienen, der Einrichtung die Möglichkeit zu geben die eigenen Umstände in der jeweiligen Einrichtung zu hinterfragen und positiv zu verändern. Die langfristige Utopie wäre die Selbstabschaffung der BIP. So gute Arbeit leisten und die Versorgungslandschaft so zu gestalten, dass wir nicht mehr gebraucht werden.“

Wir lachen beide, im Nachhinein wundere ich mich: ein so logischer, aber für uns beide offensichtlich nicht wahrscheinlicher Fall.

„Wir bräuchten durchaus mehr Stellenanteile für mehr Zeit und Qualität in der Beratung. Auch die Geschäftsstelle der Besuchskommission bräuchte dringend eine halbe Stelle mehr. Generell bräuchten die Mitarbeitenden mehr Zeit für Intervision und Reflexion. Außerdem erreichen wir die westlichen Bezirke Berlins deutlich besser, als zum Beispiel die Ostberliner Randbezirke. Wir denken darüber nach Außensprechstunden oder sogar eine eigene Stelle im östlichen Teil Berlins einzusetzen, um mehr präsent zu sein. Wir sind manchen Leuten zu weit weg, die Anfahrtswege in einer Metropole wie Berlin zu einer einzigen stadtweiten Stelle sind doch sehr lang. Es liegt bestimmt nicht daran, dass es im Osten der Stadt weniger Beschwerdefälle gibt.

Von der BIP abgesehen, sind aus meiner Sicht generell mehr politische Aufmerksamkeit, Sensibilität und Ressourcen für die psychiatrische und psychosoziale Landschaft in Berlin wichtig. Die seit Januar 2023 eingesetzte neue Landesbeauftragte für Psychische Gesundheit ist bereits wieder weg und schon vorher war die Stelle ein Jahr nicht besetzt. Auch die neuen Mitglieder des Landespsychiatriebeirats sind immer noch nicht gewählt. Wir können zwar mit Einzelbeschwerden feststellen, dass jemand zum Beispiel zu wenig Therapie bekommt oder keinen Zugang zum Garten hat, obwohl der rechtlich vorgeschrieben ist. Wenn dann aber Chefärtz*innen sich freuen, wenn wir Aufsichtsbeschwerden einreichen, weil endlich Druck gemacht wird auf die mangelnde Finanzierung des Krankenhauses hinzuweisen, läuft irgendwas schief.

Letztes Jahr zum Beispiel ist der Sozialpsychiatrischer Dienst Neukölln (SpDi) temporär zusammengebrochen, die Leitung war weg, ein großer Teil des Teams hat gekündigt und dann hat der Rest die Waffen gestreckt. Es war keine Krisenarbeit möglich. Wie sollen wir uns über die Qualität der Arbeit einer Stelle wie dem SpDi beschweren, wenn die gesamte Struktur nicht mehr da ist? Aber das ist eine politische Frage.“

Die BIP ist unter der Woche, sowohl vor Ort als auch telefonisch, erreichbar. Neben der BIP gibt es in Berlin auch noch bezirkliche Beschwerdestellen in Reinickendorf und Spandau.

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[1] Beraten wird zu Behandlungs-, Betreuungs- und Unterbringungsbedingungen, aber auch Umgangsweisen in sozialpsychiatrischen Einrichtungen, wie den therapeutischen Wohngemeinschaften oder dem betreuten Einzelwohnen. Bei Beschwerden über die Eingliederungshilfen der Bezirksämter und anderen Leistungsträgern ist auch die BIP zuständig. Der Träger der BIP ist der Gesundheit Berlin-Brandenburg e.V.. Der gemeinnützige Verein stellt selbst keine psychiatrischen oder psychosozialen Angebote zur Verfügung, weswegen er unabhängig arbeiten kann. Entstanden ist die BIP auf Grundlage der Rahmenkonzeption für ein „Sozialpsychiatrisches Beratungs- und Beschwerdemanagement“ in Berlin, die vom damaligen Landesbeauftragten für Psychiatrie, Heinrich Beuscher, in einer trialogisch zusammengesetzten Arbeitsgruppe 2008 erarbeitet wurde (Jahresbericht 2011-2015, S.9). Die im Rahmenkonzept entworfene Beschwerdestelle, die Besuchskommissionen und die Patientenfürsprecher*innen, flossen mit in das 2016 zuletzt veränderte Psychisch-Krankengesetz Berlins ein.

[2] In Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG) besprechen psychiatrische Fachkräfte aus Einrichtungen, Behörden, Verbänden, Betroffene und Angehörige psychisch erkrankter Menschen eines Bezirkes Fragen zur bezirklichen Versorgung. Die PSAG wirkt auf eine Zusammenarbeit aller hin und ist von den zuständigen Behörden anzuhören. Wer im Netz nach einer PSAG seines Bezirks sucht, gibt „PSAG (Bezirk)“ ein.

[3] § 23 Vorläufige behördliche Unterbringung Abs. 7, PsychKG Berlin