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Behinderte Menschen zum Engagement in der Selbstvertretung ermutigen und schulen

Ellen Kubica
Ellen Kubica
Foto: privat

Mainz (kobinet) Mit dem Projekt "Empowerment zur Selbstvertretung“ möchte die Projektkoordinatorin Ellen Kubica dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderung ermutigt werden, in der Selbstvertretung und zivilgesellschaftlichem sowie politischem Engagement aktiv zu werden und dabei zu bleiben. Dafür führt das Bildungs- und Forschungsinstitut zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos) Weiterbildungen durch, die den Teilnehmenden Handwerkszeug für ihr Engagement vermitteln sollen. Ellen Kubica, mit der kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul folgendes Interview führte, ist aber auch die Vernetzung von in der Selbstvertretung engagierten Menschen wichtig.



kobinet-nachrichten: „Empowerment zur Selbstvertretung behinderter Menschen“ lautet der Titel eines Projektes des Bildungs- und Forschungsinstituts zum selbstbestimmten Leben Behinderter (bifos), das am 1. Januar 2023 unter Ihrer Leitung an den Start ging und von der Aktion Mensch gefördert wird. Was verbirgt sich dahinter, bzw. was planen Sie konkret?

Ellen Kubica: Hinter dem Projekttitel „Empowerment zur Selbstvertretung“ steckt die Idee, dass wir Menschen mit Behinderung ermutigen möchten, in der Selbstvertretung und zivilgesellschaftlichem sowie politischem Engagement aktiv zu werden und dabei zu bleiben. Wir planen dafür ein Weiterbildungsangebot, das den Teilnehmenden Handwerkszeug für ihr Engagement vermitteln möchte. Die Weiterbildung wendet sich an Menschen mit Behinderungen, die bereits ein Ziel für ihr Engagement haben. Wichtige Elemente, neben konkreten thematischen Inputs und Workshops wird der Austausch unter den Teilnehmenden (peer to peer) sein. Die Teilnehmenden bringen Ressourcen und Erfahrungen mit, die sie behinderungsübergreifend miteinander teilen können.

Außerdem möchten wir den Teilnehmenden Mentor*innen an die Seite stellen. Das werden in den meisten Fällen Menschen sein, die Erfahrung im politischen und zivilgesellschaftlichen Engagement haben. Sie stellen sich dankenswerterweise ehrenamtlich während des Zeitraums der Weiterbildung zur Verfügung, um im regelmäßigen Austausch mit ihrem Mentee über deren Ziel zu sein.

Im Juni 2023 findet das Präsenzwochenende für diese Weiterbildung in Mainz statt. Hier hoffen wir auf den einen oder anderen Überraschungsgast. Ein Treffen in Präsenz schweißt eine Weiterbildungsgruppe erfahrungsgemäß zwischenmenschlich zusammen. Deshalb soll auf keinen Fall der Spaß zu kurz kommen! Wir werden uns an dem Wochenende intensiv mit den Projekten der Teilnehmenden befassen.

Die meisten Anteile der Reihe werden wir aber als Videokonferenz durchführen, etwa Empowerment-Stammtische oder weitere Inputs. Das Weiterbildungsangebot werden wir 2024 und 2025 wiederholen. Dann planen wir zum einen das Präsenzwochenende in einem anderen Teil Deutschlands durchzuführen. Zum anderen prüfen wir gerade, ob wir die 3. Durchführung komplett digital durchführen werden. Für manche Menschen stellt die Präsenzveranstaltung eine besondere Hürde dar und wir möchten das Angebot natürlich so inklusiv wie möglich anbieten. Alle Infos dazu werden wir kontinuierlich auf der Internetseite des Projekts aktualisieren: www.empowerment-zur-selbstvertretung.de

kobinet-nachrichten: Das Projekt ist partizipativ angelegt. Sie haben dafür bereits mit einigen behinderten Menschen gesprochen, die sich in Parteien und Parlamenten engagieren. Haben Sie daraus bereits erste Erkenntnisse gewonnen – und welche?

Ellen Kubica: Ja, natürlich. Ich habe schon zahlreiche Gespräche mit Expert*innen in eigener Sache geführt. Jedes Mal gibt es neue Aspekte zu entdecken. Dabei geht es zum Beispiel darum, dass Menschen mit unsichtbaren Behinderungen mit ganz anderen Fragestellungen konfrontiert sein können als Menschen mit sichtbaren Behinderungen. Das haben mir sowohl Menschen mit psychischen Belastungen gespiegelt als auch Menschen, die sich als Autisten bezeichnen. Für diese Gruppen können das öffentliche Reden und der zwischenmenschlich raue Umgang in der Politik besonders herausfordernd sein. Allerdings sind das auch Themen, die behinderungsübergreifend benannt wurden und auf jeden Fall Raum in der Weiterbildung finden sollen.

Andere Menschen haben mir von der Herausforderung berichtet, dass sie Assistenz benötigen. Diese kann im Ehrenamt nicht immer leicht organisiert werden. Im schlimmsten Fall werden Assistenzpersonen sogar aus nichtöffentlichen Sitzungen ausgeschlossen, obwohl der Mensch mit Behinderung ihre Unterstützung benötigt. All das und viele weitere Aspekte können sehr herausfordernd sein. Wir möchten mit der Schulung die Teilnehmenden stark dafür machen, für sich und Ihre Belange einzustehen und sich nicht in ihrem Engagement entmutigen zu lassen.

kobinet-nachrichten: Das neue Projekt ist Ihrem Lebenslauf ja förmlich auf den Leib geschrieben. Sie arbeiten seit ca. 10 Jahren hauptamtlich an der Schnittstelle von Erwachsenenbildung und Inklusion und sind seit einigen Jahren Mitglied im Stadtrat von Mainz und als Mensch mit Behinderung (Rollstuhlfahrerin) noch länger im städtischen Behindertenbeirat aktiv. Welche eigenen Erfahrungen können Sie in das Projekt einbringen?

Ellen Kubica: Ich war schon in jungen Jahren ehrenamtlich in der Menschenrechtsarbeit bei Amnesty aktiv. Ich bin dann in die Selbstvertretung gegangen, indem ich von 2014 bis 2018 im Vorstand des Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen (ZsL) Mainz war und ebenfalls 2014 in den Mainzer Behindertenbeirat gewählt wurde. Ich habe in der Tat zur letzten Kommunalwahl 2019 den Sprung in die kommunale Parteipolitik gewagt. Alle diese Stationen sind und waren voller Lernprozesse. Auch ich musste (und muss immer wieder neu) aushalten, dass viele politische Themen einen sehr langen Atem brauchen und dass besonders die Parteipolitik auch recht anstrengend sein kann. Dort menschelt es oft deutlich mehr als in zivilgesellschaftlichem Engagement. Dennoch lohnt sich das Engagement! Man lernt unheimlich viel über Themen und Zusammenhänge, die einem sonst verschlossen bleiben würden. Aber es ist auch wertvoll, dass man immer wieder Menschen trifft, die einen aufbauen und Impulse auf diesem Weg geben. Auch ich hatte nicht nur eine Mentor*in in meinem Leben und bin sehr dankbar dafür. Ich möchte meine bisherige Erfahrung sehr gerne in das Projekt geben, bin mir aber auch sicher, dass ich selbst auch viel Neues daraus lernen werde.

kobinet-nachrichten: Zentrale Bausteine des Projektes sind Empowerment-Schulungen zur Selbstvertretung, aber auch die Vernetzung von behinderten Menschen, die in Parteien, Parlamenten und Gremien aktiv sind. Was ist Ihnen bei der Vernetzung besonders wichtig?

Ellen Kubica: Die Begegnung auf Augenhöhe und der gegenseitige Respekt! Aufgrund von unterschiedlichen Erfahrungsschätzen und Behinderungen sind wir alle Lernende und diese Haltung und ein wertschätzendes Menschenbild sollen den Austausch in diesem Projekt tragen. Ich gehe davon aus, dass wir alle dabei viel lernen werden, egal, ob wir als Teilnehmende in die Weiterbildung starten, ob als Mentor*in oder vielleicht als Berufspolitiker*in, die für das Projekt vielleicht mal einen Erfahrungsaustausch anbietet.

kobinet-nachrichten: „Behinderte in die Parlamente“ ist ein Slogan, den die Behindertenbewegung schon seit den 90er Jahren mit sich herumträgt. Können Sie erkennen, dass es mit der Selbstvertretung behinderter Menschen in der Politik vorangeht und welche Chancen sehen Sie dabei?

Ellen Kubica: Ich denke es ist positiv, dass es heute einige, zumindest in unseren Kreisen, prominente oder auch weniger prominente Beispiele von Menschen mit Behinderung gibt, die es in die Politik und Selbstvertretung geschafft haben und die dort etwas bewegen. Die bloße Anwesenheit von Menschen mit Vielfaltsmerkmalen, wie einer Behinderung, öffnet oft schon die Augen derer, für die diese Perspektiven neu sind. „Nichts über uns ohne uns!“ wird mit Leben gefüllt, wenn Menschen mit Behinderungen, platt gesagt, auch da mitsprechen, wo es gegebenenfalls um Macht geht. Aber in jedem Fall sagt der Slogan, den wir uns ja auch für das Projekt zu eigen machen, richtigerweise aus, dass, egal auf welcher gesellschaftlichen Ebene, Menschen mit Behinderungen mitmischen müssen, damit sich die Dinge, die sie betreffen in eine gute Richtung verändern.

Allerdings müssen wir aufpassen, dass Erfolge, die Menschen mit Behinderungen bisher erkämpft haben, nicht wieder rückabgewickelt werden. Das Risiko sehe ich leider in Zeiten der vielfältigen Krisen, in denen wir leben.

Außerdem ist „die Selbstvertretung“ leider nicht behinderungsübergreifend gleichermaßen in der Politik vertreten. Ich kenne keine Statistiken, aber meine Wahrnehmung ist, dass zum Beispiel taube Menschen oder Menschen mit unsichtbaren Behinderungen noch nicht im gleichen Ausmaß in der Selbstvertretung vertreten sind oder dies bekannt ist. Manche trauen sich vielleicht noch nicht, offen mit ihrer Behinderung umzugehen. Hier denke ich auch an die Stigmatisierung von Menschen mit einer psychischen Behinderung oder Belastung.

kobinet-nachrichten: Was steht als nächstes für Sie im neuen Projekt an?

Ellen Kubica: Aktuell ist die erste Durchführung der Weiterbildung ausgeschrieben. Bis zum 3. April können sich Menschen mit Behinderung noch bewerben. Wichtig ist, dass sie ein Ziel haben, das sie mit ihrer Teilnahme verbinden. Bei diesem Ziel sollte es um zivilgesellschaftliches oder politisches Engagement in der Selbstvertretung gehen. Am 24. März um 14 Uhr gibt es noch mal eine digitale Info-Veranstaltung für Interessierte. Interessierte können sich gerne bei mir per Mail melden. [email protected] Dann bekommen sie den Link geschickt.

kobinet-nachrichten: Wenn Sie zwei Wünsche frei hätten, wie das Projekt in Ihrem Wirken unterstützt werden könnte, welche wären dies?

Ellen Kubica: Ich hoffe, dass alle, die von dem Projekt erfahren und es unterstützen möchten, anderen davon erzählen und die Infos weitergeben und sich nach und nach ein noch größeres Netzwerk um das Projekt entwickelt. Schon jetzt ergeben sich hier spannende Synergieeffekte mit anderen Initiativen, Projekten und engagierten Menschen mit Behinderungen. Deswegen möchten wir neben der Gruppe, die in der Weiterbildung beisammen sein wird, einzelne digitale Veranstaltungen auch für einen weiteren Kreis öffnen, damit das Projekt im positiven Sinne weiter Kreise zieht.

Ein Traum wäre natürlich, wenn die Idee des Projekts nach Ende unseres Aktion-Mensch-Projekts nicht einfach im Sand verlaufen würde. Ich denke hier auch an andere Weiterbildungsanbieter wie kommunale Vereinigungen und parteinahe Stiftungen. Es wäre wünschenswert, wenn ein vergleichbares Angebot auch über diese drei Jahre hinaus für Menschen mit Behinderungen offenstehen würde, die sich engagieren möchten.

kobinet-nachrichten: Wann würden Sie das Projekt als Erfolg bezeichnen?

Ellen Kubica: Wenn die Teilnehmenden unserer Weiterbildung für sich persönlich und für ihr Engagement Nutzen ziehen, dann wäre das ein Erfolg des Projekts. Natürlich hoffen wir sehr, dass sich bei möglichst vielen dieser Nutzen daran ablesen lässt, dass sie entweder ins Engagement kommen oder darin bleiben und natürlich, dass sie Erfolg haben. Das kann ganz unterschiedlich aussehen: Ob das ein Platz auf einer Liste für die nächste Kommunalwahl oder für den Behindertenbeirat ist, oder ob es die Gründung oder das erfolgreiche Betreiben eines Vereins oder einer Initiative in der Selbstvertretung ist. Auch ganz andere Formen des Engagements, nicht nur zum Thema Behindertenpolitik, können dazu gehören. Das eigene Ziel ist eine Entscheidung der Menschen, die bei uns mitmachen. Wenn in ein paar Jahren einige dieser Menschen mit Behinderungen in bestimmten Funktionen oder Ämtern etwas bewegt haben und sagen können, dass ihnen die Weiterbildung damals geholfen hat, dann wäre das ein toller Erfolg!

kobinet-nachrichten: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg.

Link zu weiteren Infos zur Weiterbildung und zur Bewerbung

Link zum kobinet-Bericht vom 28. Februar 2023 über die Empowerment-Schulung des bifos