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Behindert, alt, armutsbetroffen – Beim Kampf gegen Diskriminierung von POC, People of Colour, lernen?

sitzt auf einer Bank am Wald
Hans-Willi Weis
Foto: Hans-Willi Weis

Merzhausen (kobinet) Behindert, alt, arm – diese drei „intersektional“ zusammenhängenden Diskriminierungsfaktoren bilden ein Bermudadreieck des gesellschaftlichen Verschwindens, der sozialen Exklusion und des Unsichtbarwerdens der davon Betroffenen. Inzwischen über siebzig, erblindet und armutsbetroffen, fürchte auch ich, in diesem Bermudadreieck zu verschwinden.

So gesellt sich nun zu dem Gefühl, mein Behindertenouting bringt zwangsläufig den Effekt der Stigmatisierung und Diskriminierung mit sich, noch das Gefühl der Altersdiskriminierung. Was will denn dieser Alte? Jetzt noch im achten Lebensjahrzehnt, ist das dafür nicht ein bisschen spät? So oder ähnlich, stelle ich mir vor, läuft es in den Köpfen derjenigen ab, von denen ich etwas möchte, was mit qualifizierter oder berufsmäßiger Teilnahme und Teilhabe zu tun hat.

Wenn im Radio ein Altersforscher davon spricht, in der Zeit der Pandemie hätten sich negative Altersbilder und Stereotype verfestigt, etwa mit der Frage, „lohnt es denn überhaupt, Menschen, die eine gewisse begrenzte Lebenserwartung haben … lohnt es hier noch sehr viel zu investieren?“ – So frage ich mich, ob das wohl auch in meinem Fall gilt. Wenn ich einem Verlag ein Manuskript anbiete, ob man sich dort dann fragt, lohnt sich das überhaupt, in einen über siebzig jährigen Autor zu investieren, der beim Lesepublikum erst einmal eingeführt werden müsste. Lässt man da verlegerisch nicht lieber die Finger davon, auch wenn er eigentlich ganz gut schreibt?

Während mir derlei Gedanken durch den Kopf gehen und mich auch die interessenpolitisch defensive Lage der Behinderten nicht gerade ermutigt, bewundere ich die selbstbewussten Stimmen aus dem Lager der People of Colour, wie sie offensiv ihre Sache vertreten, kein Blatt vor den Mund nehmen, Klartext reden. Freilich wird ihnen dazu auch das Forum in den Mainstreammedien geboten, von denen sie aufgrund ihres bunten, jungen und sexy Erscheinungsbildes geradezu hofiert werden. Und mit Staunen registriere ich, wenn eine dieser selbstbewussten Stimmen im rhetorischen Überschwang gleich für die Behinderten mitspricht. Beim Aufzählen derjenigen, die unter Benachteiligung und Diskriminierung leiden und zum Teil selbst ihre Stimme nicht erheben können oder keine Gelegenheit erhalten, sich medial zu äußern.

„Es geht ja auch um andere Communities, die lange nicht sichtbar waren, die Peercommunity, die Community der Menschen mit Behinderung“, sagt die afrodeutsche Schauspielerin Lara Sophie Milagro im SWR2 Zeitgenossengespräch. Was mich natürlich freut, den zur medialen Stummheit Verurteilten. Es imponiert mir, wie sie ihre Argumentation noch zuspitzt. Rechne man all die benachteiligten Frauen hinzu, sagt sie, dann „sind wir, die PoC-Community und die Community der Behinderten eigentlich nicht die Minderheit, sondern die Mehrheit und jene fälschlicherweise die Mehrheit repräsentierenden weißen, heterosexuell Orientierten, akademisch gebildeten CIS-Männer ohne Behinderung in Wahrheit die Minderheit, jene, die nicht der Norm entsprechen.“ Zuletzt bekundet sie die Absicht, „sich mit anderen Communities zu vernetzen“ und „zu sehen, wo sind da die Gemeinsamkeiten“; denn „wir wollen sichtbar sein, wir wollen gleichberechtigt sein, teilhaben“.

Deutliche, geradezu überschwängliche Worte, die ich mit dieser Nachdrücklichkeit ausgesprochen und von einem Leitmedium verbreitet, gern auch einmal von Behinderten hören oder lesen würde.

Aber wahrscheinlich bin ich zu alt, um das noch zu erleben. Jedenfalls verschwindend gering bisher die Stimmen von Betroffenen oder die Stellungnahmen von Behinderten-AktivistInnen, die es mit ihren Forderungen bis in eine breitere mediale Öffentlichkeit schaffen würden.

Natürlich werden ihre Stimmen und Interessenvertretungsorgane auch gar nicht angefragt vonseiten der Leitmedien, sie sind in den Augen dieser journalistischen Gatekeeper nicht wichtig und interessant genug, anders als PoC oder LGBT. Müssten sich daher Behinderte bzw. Behinderten-AktivistInnen nicht an diesen ein Beispiel nehmen und öfter auf den Putz hauen? Ramba Zamba machen, nicht nur auf der Theaterbühne, wo ihnen ein Starregisseur wie Leander Hausmann sogar die Aufmerksamkeit des Feuilletons in den Leitmedien garantiert (vgl. die Inszenierung von Einer flog übers Kuckucksnest). Anders werden Benachteiligte in der Gesellschaft nicht gesehen, nicht gehört, nicht inkludiert und respektiert.

Der Mehrheitsgesellschaft und ihren VertreterInnen politisch öfter mal vors Schienbein treten ist für Behinderte leichter gesagt als getan, was mir auch klar ist. Die Frage, wie das dennoch gehen könnte, „dieses“ von PoC lernen, gebe ich darum gern in die Runde der Betroffenen.

P.S. Was ich mir für der Behinderten-Community wünsche und wofür ihre AktivistInnen mehr Druck machen sollten, liest sich im sperrigen Diskursjargon unserer intellektuellen Vordenker z.B. so: „Die basisdemokratisch deliberative Öffentlichkeit der zivilgesellschaftlichen Foren bürgerschaftlicher Verständigung über gemeinsame politische Zwecke kann nämlich dem System der Leitmedien nicht nur Themen aufnötigen, die dessen Filtersysteme sonst aussondern, sondern ihnen auch ein Maß an Information und Argumentation bei der Behandlung dieser Themen abtrotzen, das deren Inszenierungsgewohnheiten eigentlich fremd ist. Damit verändern sich temporär die Struktur der gesamten Öffentlichkeit und die Arbeitsweise der Leitmedien in Richtung größerer Inklusion und demokratischer Qualität.“ Schön wärs, wenn es inklusive der Behinderten und dank eines offensiveren basisdemokratisch beratschlagenden (das deutsche Wort für deliberativ) Auftretens auch von ihrer Seite irgendwann und sei es auch nur annäherungsweise dahin käme. – Gefunden habe ich das schöne Zitat auf Seite 58 bei Precht und Welzer, deren Kritik an der veröffentlichten Meinung hierzulande derzeit heftigst diskutiert wird.

Wer sich für meine aus dem Blickwinkel des Behindertendaseins geschriebenen Texte interessiert, schicke ich sie gerne als PDF-Datei zu (Anfrage unter [email protected]) – Blinder Passagier und Kinderschänder, Aufzeichnungen einer Gewalterfahrung – Ewiger Faschismus in der Provinz, Chronik einer Existenzvernichtung – An allen Tagen ein kalter Ostwind, Kriegstagebuch und Memento Mori.

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Sabrina Mevis
15.01.2023 17:49

Zwei Prämissen, die ich für falsch halte:
1. Kämpfen vor allem die Behindertenverbände doch sehr aktiv auch für ältere Menschen, siehe SoVD, VDK, DBSV etc. pp. Der VdK setzt sich quer durch die Bank für armutsbetroffene Personen ein, auch wenn ich vieler seiner Positionen nicht teile.
2. Macht es keinen Sinn, Minderheiten gegeneinander auszuspielen. Meines Wissens gibt es ein Blindengeld, aber kein Homosexuellen- oder POC-Geld, um mal dieses Argument zu konterkarieren, Präsenz in den Medien ist nicht gleich besserer Diskriminierungsschutz. Ich sehe praktisch täglich Menschen mit Behinderung in den Medien, ohne besonders stark nach solchen Berichten zu suchen. Man ist halt nicht die einzige Minderheit und sollte vielleicht auch akzeptieren, dass andere Gruppen ihren Teil einfordern – und auch bekommen.

Uwe N.
Antwort auf  Sabrina Mevis
18.01.2023 12:53

zu 1.:
Das ist ja auch Logisch…… Reden wir von älteren Menschen, reden wir von Menschen die aus verschiedensten Gründen eingeschränkt sind und somit eine Behinderung haben!!
zu 2.:
Auch hier stimme ich uneingeschränkt zu!! Ob wir jetzt von Minderheiten sprechen oder nicht….. werden zwei menschen oder Gruppen gegeneinander ausgespielt ist das immer ziemlich Doof. Also mir brachte man als Kind bei genaus dieses nicht zu tun!!
Blindengeld gibt es auf jeden Fall.
Es ist auf jeden fall wichtig, das man sich bewusst macht „Ich bin zwar behindert und behindert sein ist faktisch eine Randgruppe, aber ich habe keinen Sonderstatus!!“
Will sagen: Wir wollen alle ernst genommen sein und nicht in Watte gepackt werden… Dann müssen wir uns auch dringend darauf Verständigen, dass wir dann alle aufeinander zu gehen müssen und gegenseitig auch das ein oer andere Zugeständniss achen müssen, auch wenn uns das nicht gefällt.