
Foto: Hans-Willi Weis
Merzhausen (kobinet) Wohltätigkeit ist keine schlechte Sache. Sie mildert das Los der Bedürftigen (weshalb sie auch Mildtätigkeit heißt) und dem edlen Spender, der edlen Spenderin, macht sie ein gutes Gefühl und sorgt obendrein für ein gutes Gewissen, bekanntlich das beste Ruhekissen. Und wie alles auf der Welt seine Zeit hat, there is a season for everything, so hat auch Wohltätigkeit ihre ganz spezielle Jahreszeit. Wenn ein Chor im Gedränge Halleluja singt und der Spendeneuro in der Büchse klingt, dann weiß ein jedes Kind, die Advents-zeitliche Sammelaktion für wohltätige Zwecke hat begonnen.
Das Fest der Liebe rückt heran und spätestens nach den Weihnachtstagen, also zwischen den Jahren, ergießt sich das Spendenfüllhorn über die Häupter der Bedürftigen. Auch ich kam schon einmal in den Genuss von einem solchen Erguss. Kann es doch einen jeden und eine jede treffen, der oder die, arg gebeutelt durch das muntere Wettbewerbsleben, irgendwann gestrauchelt ist und sozial und wirtschaftlich sich nicht länger auf den Beinen halten oder auf eigenen Füßen stehen kann. Inklusive der Behinderten, denen das Schicksal oder der liebe Gott ein Bein gestellt hat und die dadurch beim gesellschaftlichen Rattenrennen schlecht mithalten können und abgeschlagen im Abseits landen. Und wer unter diesen Verlierern dann bereit ist, sich amtlich zu outen, offenbarungseidlich durch Vorlage der Kontoauszüge, also bereit ist, sich vor der Sozialbehörde „nackig zu machen“, wie der Volksmund sagt, der oder die wird auf die Liste der potenziell Empfangsberechtigten gesetzt, denen ein Spendensegen winkt. Doch, weshalb so allgemein, wenn es auch konkret und anschaulich geht.
Dazu muss ich nur Wolfgang Tischer aus meinem Langzeitgedächtnis hervorholen, es ist das Jahr 2009. Aber wer ist Wolfgang Tischer? Die wenigsten kennen ihn, wahrscheinlich nur die, welche in besagtem Jahr einen Blick in die Weihnachtsausgabe der Badischen Zeitung getan haben. Wolfgang Tischer ist ein mittelloser Kulturwissenschaftler, wohnhaft in einem kleinen Ort bei Freiburg und überdies sehbehindert. Die BZ zeichnete ein anrührendes Porträt des Bedürftigen, wie heißt es schon bei Brecht, „man sieht nur die im Licht, die im Schatten sieht man nicht“.
Als mich nach Weihnachten Herr F. besuchte, ein treuer Begleiter bei Besorgungen in der Stadt, meinte er, „in der BZ stand an Weihnachten ein Bericht über einen sehbehinderten Kulturwissenschaftler mit einer ganz ähnlichen Geschichte wie der deinen, ein Herr Tischer oder Fischer, ich glaube es war Tischer …“ Ich gab mich mäßig überrascht, man sehe daran, dass ein Schicksal wie das meinige kein Einzelfall sei. – Dass Wolfgang Tischer und meine Wenigkeit identisch sind, wollte ich F. nicht verraten. Mochte ich doch nicht offenbaren, dass ich mich gewissermaßen prostituiert hatte.
Frau B. von der örtlichen Sozialstation hatte mir gesagt, falls ich dazu bereit wäre, nicht nur wie in den zurückliegenden Jahren bei ihr den Nachweis meiner Bedürftigkeit zu hinterlegen, sondern dazu bereit wäre, einer freundlichen Journalistin von der Lokalredaktion telefonisch ein paar persönliche Fragen zu beantworten, die diese anschließend zu einem kleinen Porträt verarbeitet, selbstverständlich anonymisiert, gebe es für mich aus dem Topf der vorweihnachtlich eingeworbenen Wohltätigkeitsspenden nicht lediglich die üblichen 50 EUR, sondern eine einmalige Aufstockung auf 80 EUR. – Genau das tat ich, weil ich für Geld alles mache.
Die nette Journalistin hatte mir am Ende unseres Telefonats noch gesagt, ich solle mich nicht wundern, wenn auf den Artikel hin bei mir das Telefon nicht mehr stillstehe, weil sich dauernd Leute melden, die mir gern Gutes tun möchten. – Das Telefon klingelte ein einziges Mal. Eine Dame rief an, die ihre Eintrittskarten für das Neujahrskonzert im Freiburger Konzerthaus verschenken wollte, weil sie und ihr Mann kurzfristig eine attraktive Einladung zu Freunden erhalten hatten. So kamen meine Begleiterin und ich am Neujahrstag in den Genuss jenes Konzerts, an dessen musikalischem Höhepunkt das Orchester „An der schönen blauen Donau“ intonierte und die Zuhörerschaft in den Sitzreihen in ein so seliges Wellen schaukeln geriet, dass man am liebsten immer so weiter hätte schaukeln mögen, fort und fort, bis ans Ende des neuen, doch gerade erst begonnenen Jahres.