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Mister Marsk und ich oder Mut und Maß, die Zukunft der Raumfahrt

sitzt auf einer Bank am Wald
Hans-Willi Weis
Foto: Hans-Willi Weis

Merzhausen (kobinet) Nicht von Science Fiction handelt die folgende Glosse im verlängerten Kurzgeschichtenformat, vielmehr von Ereignissen der allernächsten Zukunft, die soeben begonnen hat. Einem 9-Euro-Ticket zum Mond. Von der Energiepartnerschaft mit Naturvölkern auf fremden Planeten. Auf der Marsoberfläche sich vermehrenden Robotern und Rollstuhlfahrern und einem Blinden, der sehen kann. Von seiner ungetrübten Sicht auf schwarze Löcher und was das alles mit grünem Wasserstoff zu tun hat. Doch der Reihe nach.

Genauer hinhören, wenn es um die Zukunft geht

„Mut und Maß, die Zukunft der Raumfahrt“, höre ich den Radiosprecher die nachfolgende Sendung ankündigen. Nur geringfügig zeitverzögert merke ich, er hat nicht „Mut und Maß“ gesagt, sondern „Mond und Mars“. Die akustische Unschärfe, durch die für den Bruchteil einer Sekunde „Mut und Maß“ statt „Mond und Mars“ in meinen Synapsen angekommen ist, ergäbe hinsichtlich der Raumfahrt für mich trotzdem Sinn. „Mut“ was den Mars anlangt, der von der Erde ziemlich weit weg ist, „Maß“ mit Blick auf den Mond, der Erdtrabant liegt nur einen Katzensprung entfernt und bei Maßhalten oder Sparen auch in der Raumfahrt empfiehlt sich das näher liegende Ziel. Der Mond ist in wenigen Tagen für alle erreichbar. Folglich läge die Zukunft der Raumfahrt in einem 9-Euro-Ticket zum Mond. Und den Mars überlässt man am besten Elon Musk.

Wenn wir schon beim genaueren Hinhören sind, treffender als Mut und Maß wäre Mutwille und Maßlosigkeit. Nicht nur für die Raumfahrtmilliardäre der Zukunft, das wirtschaftsliberale Catch as catch can verlangt es von uns allen. Selbst jetzt noch, da wir, wie die Radiomoderatorin die finanzministerielle Ansage eilfertig nachplappert, alle den Gürtel enger schnallen müssen. Und alle etwas ärmer werden, wie der Finanzminister gesagt hat, der es wissen muss, sitzt er doch gewissermaßen an der Quelle staatlicher Reichtums- und Armutsschöpfung. – Alle ärmer werdend, schnallen wir also unisono die Gürtel enger, egal, ob sie aus Krokodilleder gefertigt sind, aus Plastik sind oder einfach aus einem Strick bestehend, das Material spielt keine Rolle. Dieses gemeinsam den Gürtel enger schnallen ist so ziemlich das erhabenste Solidaritätsgefühl, das ich seit Langem verspürt habe.

Nun kann niemand mehr behaupten, die Reichen würden reicher und nur die Armen immer ärmer. Ich meine, wo wir jetzt alle ärmer werden und auch ein Elon Musk rechnen muss, damit er sich nicht beim Kauf von Twitter und seinen sonstigen Einkäufen verhebt. So wie ich rechnen muss, mich nicht an einem Stück Schwarzwälder Kirschtorte zu verheben, nachdem um die Monatsmitte, trotz Grundsicherung – eben doch nicht gründlich genug gesichert – meine Lebensmittelmarken aufgebraucht sind. Ansonsten unterscheide ich mich überhaupt nicht von jemandem wie Elon Musk, wir müssen alle essen und trinken, höchstens unterscheiden wir uns noch in dem, was jedem von uns in Zukunft bleibt, mir das 9-Euro-Ticket zum Mond, der Mars Marsk. Sprechende Namen sind nichtssagenden vorzuziehen.

Ach ja, wieso ich von Lebensmittelmarken rede. Laut neuestem Wording heißen die Lebensmittelmarken gar nicht mehr so, sondern Bürgergeld, obwohl Hartz Fünf die elegantere und sprachlich sparsamere Bezeichnung wäre. Doch solange uns vorerst bloß das Gas ausgeht oder auszugehen droht, aber noch keineswegs die Spucke wegbleibt, sehen die meisten keinen Grund, auch mit Worten sparsamer umzugehen. Sie reden weiter drauflos, wie ihnen der Schnabel gewachsen oder nein, wie er ihnen massenmedial neoliberal zurechtgestutzt worden ist. Zurechtgestutzt zu einer „Lügenfresse“ könnte man jedoch nur dann sagen, würden die Plappermäuler überhaupt merken, welchen Sprachmüll sie CO₂-belastet in die Atmosphäre emittieren.

Musk ein Maskenträger?

Worin ich mich wahrscheinlich ein weiteres Mal, außer der Tatsache, dass wir alle und so auch Mister Marsk und ich ärmer werden, von ihm nicht unterscheide: Pandemiebedingte Maskenträger sind wir beide gewesen. Postpandemisch allerdings beschäftigt mich die Maskenfrage bei Musk noch einmal anders. Der Altachtundsechziger in mir fragt sich post marxistisch, ob die in den Social Media aufpoppende Person Elon Musk alt marxistisch gesprochen eine „Charaktermaske“ genannt zu werden verdient. Ja und nein würde ich sagen. Ja, insofern, als hinter der „Charaktermaske Musk“ für deren Treiben ein anderes Drehbuch als das bloß Charakterliche ausschlaggebend ist, nämlich dasjenige des Digital- und Plattformkapitalismus. – Nein, keine Charaktermaske also, weil die klassische Charaktermaske den Träger der Maske bzw. dessen wahres Gesicht verdeckt oder versteckt und ein Social-Media-Performer wie Musk die Maske aber immer schon hat fallen lassen und gänzlich unmaskiert und ungeniert agiert.

Schlagender Beweis für den überwältigenden geschichtlichen Siegeszug des Kapitalismus, die charakterliche Maskierung ist überflüssig. Der Plattformkapitalismus und seine plattesten Personifikationen kommen ohne Masken aus, sie müssen ihr wahres Gesicht nicht verbergen. Darum von Marx zu Nietzsche. Der tolle Mensch, sagt Nietzsche und Musk ist so ein toller Mensch, sage ich, der tolle Mensch und Musk haben noch genügend „Chaos in sich, um einen tanzenden Stern zu gebären“ – nicht eigentlich zu gebären, den Stern gibt es ja bereits, vielmehr ihn zu betreten, seinen cowboystiefel- oder nikebeschuhten Fuß auf denselben zu setzen. Und bei diesem Riesenschritt Nietzsches Erdfloh weit hinter sich und unter sich zurückzulassen, jenen Erdfloh, der als mittelmäßiger Massenmensch den Altplaneten bevölkert und übervölkert und Sternen stürmende Visionäre wie Musk durch seine flohhaft erdgebundene Mutlosigkeit maßlos ärgert. Ihnen mit seinem massenhaften Herumgehüpfe am Erdboden womöglich den Bilderbuchstart der Marsmission vermasselt, wegen Flohgestöber vor der Windschutzscheibe das Abheben der Rakete verzögert.

Die verlorene Zeit müssten die ungestümen Visionäre notgedrungen mit kleineren Projekten totschlagen. Was Musk ohnehin schon tut. Eins von seinen Retortenbabys wurde jüngst aus der Entbindungsstation entlassen: Optimus heißt der Kleine und ungefähr an der Stelle, wo man den Babys von uns Erdflöhen die Nabelschnur abgeschnitten hat, hat der kleine Optimus eine offene Schnittstelle zum Programmieren für die verschiedensten Robotertätigkeiten, solche im Haushalt und auch auf der Straße und unterwegs. Dazu muss sein Prototyp nur noch in Serie gehen und dem steht nichts im Wege. Denn, so wieder einmal die Stimme eines Radiosprechers und diesmal habe ich genau hingehört, „nach Einschätzung von Tesla-Chef Elon Musk könnte das Geschäft mit Robotern in Zukunft bedeutender werden als das mit Autos“. Und die Stimme fährt fort, „um seine Umgebung zu erfassen, nützt Optimus die gleiche Technologie mit mehreren Kameras und künstlicher Intelligenz wie die Fahrassistenzsysteme der Autos von Tesla“. (Computer und Kommunikation, dlf vom 8.10.2022).

Rein technisch nennt man dies einen Synergieeffekt und finanziell eine Win-win-Situation. Übrigens, nicht allein für den Projektemacher Musk, auch für mich, für geschäftliche Nullen wie unsereins, denen zu nichts und niemand eine lukrative oder profitable Idee einfällt. Und die es eigentlich verdient hätten, in die Röhre zu schauen oder schwarze Löcher anzustarren, da sie die Menschheit kein Jota voranbringen und erst recht nicht auf den Mars. Selbst wir Einfaltspinsel profitieren noch vom Ideenreichtum und der Geschäftstüchtigkeit wackerer Raumfahrer wie Musk und Bezos, die sich durch nichts und niemand aufhalten lassen – typisch für mich, dass ich wieder nicht weiß, wer von ihnen zur Zeit im Weltall die Milliardärsnase vorn hat.

Doch vor lauter Begeisterung schweife ich ab. Und wollte doch nur sagen, was die Radiostimme noch gesagt hat und inwiefern ich, der blinde Erdfloh, der sich immer schon eine pflegeleichte und benutzerfreundliche Blindenassistenz gewünscht hat, nicht so störanfällig wie die fleischlichen Systeme von der Flohserie, inwiefern also auch jemand wie ich ganz konkret von Musk profitiert, sobald sein Optimus in Serie geht. „Tesla strebt einen Preis um die 20 000 US-Dollar an“, sagte die Radiostimme und ich habe keinen Grund anzunehmen, dass diese Kosten nicht von der Kasse übernommen werden. Weil, auch wenn es anfangs freiwillig ist, man in Kürze schon keine Wahl mehr hat und praktisch gezwungen ist, sich so ein Ding anzuschaffen. Friss, Erdfloh oder stirb, heißt es dann und spätestens jetzt muss und wird die Kasse zahlen. Schon deswegen, weil einer wie Musk nicht eher ruhen wird, als bis er im Zuge seiner Zwangsbeglückung der Menschheit einem jeden Erdling sein neustes Gadget angedreht hat und noch dem letzten blinden Erdfloh den kleinen Optimus aufs Auge drückt.

Mein Selfie mit dem kleinen Optimus und Little Feather

I had a dream, so beginnt eine berühmte Rede von Martin Luther King, PoC-Aktivist avant la lettre. Die Welt, von welcher er in dieser Rede träumt – Menschenwürde, Gleichheit und soziale Gerechtigkeit –, sieht im Rückblick von heute aus ziemlich alt aus, gemessen an unserem heutigen, gigantischen disruptiven Fortschritt, der uns täglich eine neue Transformation beschert und die Welt vom gestrigen Tag auf den Kopf stellt oder auch auf die Füße, so genau lässt sich das nicht sagen.

Warum ich gerade an King und seine Rede denke? Weil ich heute Nacht selbst einen Traum hatte. Mir träumte, ich wäre auf dem Mars und begegne dort Elon Musk. Ja wirklich, Mister Marsk persönlich, im Ernst, ich scherze nicht, darüber macht man keine Witze, es handelt sich um Begegnungen der dritten Art. An sich äußerst selten, nur dass sie derzeit gehäuft in Erscheinung treten.

Also Mister Marsk und ich. Und zu allem Überfluss mitten auf dem Mars. Und nicht einmal nur wir beide zu zweit, nein, wir waren zu dritt, denn an meiner rechten Seite schritt im staksigen Robotergang der kleine Optimus einher, ich hielt ihn an der Hand oder vielmehr er hielt mich, er hatte die meinige mit seiner ein wenig steif geratenen Androidenhand ergriffen und bewährte sich vorzüglich als mein Blindenbegleiter. War doch auf Musk zu meiner Linken in dieser Hinsicht keinerlei Verlass. Wie in seinem Wachleben, so macht er sich auch im Traum nicht einmal die Mühe, den Eindruck zu vermeiden, dass die anderen, in diesem Fall der kleine Optimus und ich, für ihn nichts als ein Klotz am Bein sind. Auch auf der Marsoberfläche ist er ständig abgelenkt, weil ihm schon die nächste Projektidee wie ein Querschläger durch den Kopf schießt. Ich habe richtig gelegen mit meiner ursprünglichen Vermutung, kein bisschen Sinn für die Schönheit schwarzer Löcher, die man so wunderbar und zahlreich am Marshorizont verschwinden, sehen kann. Permanent im Kopf der Kerl, nichts in der Birne als „the next big thing“, das er gleich um die Ecke kommen sieht, sehen will, es ist alles so zwanghaft bei ihm. Aber was soll schon auf dem Mars, außer der besseren Sicht auf die schwarzen Löcher, um die nächste Ecke kommen.

Und dann kam doch etwas, wie dies in Träumen so üblich ist. Manche Stellen auf dem Mars sind Monument Valley in Arizona zum Verwechseln ähnlich, vor allem wenn die gigantischen Steinskulpturen in rötlichem Glanz erglühen bei entsprechender Beleuchtung. Hinter solch einer Skulpturengruppe trat plötzlich Little Feather, die Apachin, hervor, im First-Nations-Outfit, Wildleder mit Fransen, Mokassins aus Büffelhaut und auf dem Kopf den obligatorischen Federschmuck. Sofort lief bei mir im Kopf dieser ganze Karl May-, Winnetou und Schatz im Silbersee-Film ab, politisch vollkommen unkorrekt natürlich. Und wie beim filmisch rasanten Schnittwechsel der Szene im Kino gruppierten wir uns auch schon zum Touristen-Selfie vor monumentaler Kulisse. Meine Wenigkeit in der Mitte, rechts von mir der kleine Optimus und zu meiner Linken statt Marsk nun Little Feather.

Selbstverständlich hätte ich das Selfie augenblicklich auf Social Media gepostet, hätte Marsk sich nicht quergestellt, er wollte nicht, dass ich sein Starlink zum Posten benutze, obwohl es die einzige Netzverbindung vom Mars zur Erde ist. Ein Selfie zu viel könne bei dieser Entfernung das Fass der Netzüberlastung zum Überlaufen bringen und Starlink kollabiere (noch vor kurzen verstand ich bei Starlink immer Darling, ehe ich begriffen habe, worum es sich handelt). Jedenfalls weigerte er sich. Was ich an der schlecht gekleideten Ureinwohnerin, er meinte Little Feather, denn nur so toll fände und außerdem sei das Selfie und Posting mit ihr „cultural appropriation“ reinsten Wassers, bekäme die Woken-Gemeinde der USA Wind davon, ginge sie uns an die Gurgel, mir und ihm, dabei führe er bereits einen Vielfrontendkrieg (da musste ich an sein erst kürzlich gegen Apple gerichtetes Posting von dem auf einer Straße quergestellten Tesla-Panzer mit der Aufschrift WAR denken und erkannte die Wahrheit seiner Worte).

Für alle die, welche zwischenzeitlich Little Feather noch nicht gegoogelt haben: 1973 war sie auf die Bühne der American Awards getreten und hatte verkündet, Marlon Brando – damals noch kein so alter weißer Mann wie er es heute wäre – werde den ihm verliehenen Oscar nicht annehmen, aus Protest gegen den rassistischen Umgang mit den Ureinwohnern Amerikas und deren Darstellung in den Filmen Hollywoods. Vereinzelter Beifall im Publikum ging in lautem Buh-Rufen unter. Cowboy-Darsteller und Western-Held John Wayne soll, von sechs Sicherheitsmännern festgehalten, hinter der Bühne getobt haben, „lasst mich los, dass ich der Rothaut die Fresse poliere, wo ist mein Colt“, so oder so ähnlich, schätze ich, hat er gebrüllt. – „Das weiße Amerika war geschockt, noch nie zuvor war eine indigene Person auf der größten Bühne der Filmstars zu sehen gewesen, schon gar nicht live im Fernsehen,“ stand im Oktober in der taz anlässlich von Little Feathers Tod in diesem Herbst. Und auch ein großes Foto von Little Feather soll auf der Seite zu sehen gewesen sein. Ein würdiger Ersatz für mein durch Marsk verhindertes Selfie mit ihr bzw. dessen Posting auf Social Media direkt von der Marsoberfläche aus.

Des Pudels Kern ist grüner Wasserstoff

Wie es in Träumen nicht unüblich ist, kam es nach der Selfie-Episode erneut zu einem abrupten Szenenwechsel. Wir waren wieder zu dritt wie ursprünglich, also Marsk, ich und der kleine Optimus und befanden uns in einer sandigen Senke, wo überall kleine Marsroboter mit ausgefahrenem Greifarm zur Entnahme von Gesteinsproben umhersausten. Die Dinger hatten sich seit der Landung ihres Prototyps in dieser Marsgegend ungeheuerlich vermehrt, wahrlich eine Plage. Sie flitzten uns zwischen die Beine und verhakten sich im Hosenbund. Marsk war genervt, scheiß Rollstuhlfahrer, hörte ich ihn fluchen. Rollstuhlfahrer? Was ging ihm nun schon wieder durch den Kopf, stellte er sich die Verkehrswende auf dem rötlich tödlichen Planeten vor? Wie die Teslaflotte seiner Elektroautos ausschwärmt und ihr die Rollstuhlfahrer allerorten im Weg sind. Ein mutwilliges Hindernis, das nicht sein müsste, denn an sich böte die Marslandschaft freie Fahrt für freie Bürger durch ein endloses Ödland, verglichen mit dem die brandenburgische Steppe eine blühende Landschaft ist, jenes ostdeutsche Weideland, wo zeitgleich zu unserem Herumgetappe in dieser unwirtlichen marsoberflächlichen Senke auf Marsk Geheiß hin in Rekordzeit das neue Teslawerk aus dem Boden gestampft wird.

Das war es aber nicht, woran er dachte, ich hatte komplett falsch gelegen. Rollstuhlfahrer und die Probleme, die sie bei der Verkehrserschließung des Planeten verursachen könnten – von dem Problem für diese selbst, dass der Planet wegen der Roboterplage und den fehlenden Rampen nämlich nicht barrierefrei ist –, dies alles war ihm schnuppe. Seine Sorge galt ausschließlich den Ureinwohnern, wie mir in der folgenden Traumsequenz, die gleichzeitig die letzte sein sollte, schlagartig klar wurde.

Um die Ureinwohner sorgte er sich, people of color, die kleinen grünen Marsmännlein, von denen uns noch keines über den Weg gelaufen war. Sie mussten sich nach der Ankunft der ersten Roboter und nun auch von uns dreien, Marsk, mir und dem kleinen Optimus, in entlegene Täler und Senken zurückgezogen haben. Damit fiel es mir wie Schuppen von den Augen und wie es abermals in Träumen gang und gäbe ist, wusste ich auf einmal Bescheid, ohne zu wissen woher. Mit einem Wort, grüner Wasserstoff ist des Pudels Kern, darauf hat es Marsk abgesehen (und ich möchte wetten, der fliegende Robert, also Habeck, ist längst bei ihm gewesen, hat seinen Bückling gemacht und mit dem Deal in der Tasche den Rückflug angetreten, heim zu uns Erdflöhen).

Unterdessen geht es hier oben den kleinen grünen Männlein an den Kragen. Zuerst wird man sie fangen und in Reservaten konzentrieren, die bedauernswerten Angehörigen der First Nation des Planeten, alles einzig darum, möglichst ressourcenschonend an ihren Rohstoff zu gelangen. Denn dies hatte ich vorher auch nicht gewusst: die Ureinwohner, die kleinen Marsmännlein, grün vom Scheitel bis zur Sohle, diese Marsianer – kleiner Kopf, dicker Bauch, spindeldürre Beinchen, wie sie frühere Marsologen stets zutreffend beschrieben haben – sind quasi randvoll mit grünem Wasserstoff gefüllte Schleimbeutel, so simpel sich das anhört. Kurz, anders als beim umweltschädlichen Fracking, wo man das Gas mühsam aus dem Schiefer pressen muss, muss man hier die reichlich vorhandenen Schleimbeutel lediglich wie eine Zitrone auspressen und im Handumdrehen hat man sich kostengünstig in den Besitz der derzeit wohl begehrtesten grünen Energie gebracht. Überdies gibt es kein Entsorgungsproblem, kein Vergleich zum Atommüll. Zwar lohnt es nicht, die leeren grünen Hüllen, also die ausgequetschten Schleimbeutel, wie Zitronenschalen zu kompostieren, man könnte sie jedoch gleichmäßig über die Oberfläche verteilen und so den roten Planeten künstlich begrünen, ein nachhaltiges Greenwashing, dessen grünliche Hintergrundstrahlung am nächtlichen Himmel noch nach einhundert Millionen Jahren von der Erde aus sichtbar wäre, wenn es schon lange keine grünen Männlein mehr gibt. Es sei denn, man hat ein paar ausgestopfte Exemplare im Naturkundemuseum aufbewahrt.

Während ich mich gedankenverloren meiner sinnreichen Betrachtung über technologischen Fortschritt und grünes Wachstum hingebe, fuchtelt plötzlich jemand mit der Hand vor meinem Gesicht. Es ist Marsk, der ein kleines grünes Marsmännlein gefangen hat. Triumphierend schwenkt er es hin und her, die gefangene Kreatur in seiner Hand zappelt verzweifelt mit den Beinchen, Marsk hat sie fest im Griff, wie alles, was er anpackt und nicht wieder loslässt, bevor er nicht das Maximum aus der Sache für sich herausgeholt hat. Noch immer dicht vor mir mit seiner Hand und dem Gefangenen darin, will er mir etwas demonstrieren. Daumen und Zeigefinger um den Hals des Ureinwohners geschlungen, die übrigen Finger und den Ballen der Hand um den kugelrunden Leib, drückt er einmal kurz und kräftig zu. Ein kurioses Geräusch lässt mich zusammenzucken, als hätte einer unter dem Stiefel eine tennisballgroße Knallerbse zertreten oder eine fette Wanze zwischen Daumen und Zeigefinger zerdrückt, ich spüre im selben Moment den Schwall grüner Pampe im Gesicht, eine zähe, klebrige Flüssigkeit, die mir über Nase und Lippen rinnt und vom Kinn tropft.

Wie es bei Alpträumen nicht ungewöhnlich ist, in der Sekunde des größten Schreckens oder Entsetzens aufzuwachen, bin auch ich im nämlichen Augenblick wach geworden. Ebenfalls nicht ungewöhnlich, fühlte ich mich zwar erleichtert, weiß aber auch noch, was ich dachte. Mein erster Gedanke nach dem Erwachen war: Aus einem Albtraum kann man immer noch erwachen, bei der Wirklichkeit geht es nicht mehr.