Berlin (kobinet) Was unter dem Tagesordungspunkt 14 der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages mit der Bezeichnung "Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes", recht unscheinbar daherkommt, hat es in sich. Seit Beginn der Corona-Pandemie haben sich behinderte Menschen gegen diskriminierende Auswahlkriterien im Falle von Ressourcenknappheiten im Gesundheitswesen gewehrt, was bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Dezember 2021 in ihrem Sinne geführt hat. Heute müssen die Bundestagsabgeordneten in der Debatte zu dem von vielen als unzureichend kritisierten Gesetzentwurf der Bundesregierung zu nichtdiskriminierenden Regelungen in Triage-Situationen in einer gut 45minütigen Bundestagsdebatte Stellung beziehen. Diese beginnt um 17:20 Uhr und wird über www.bundestag.de live im Internet übertragen
Erfahrungsgemäß kommt es im Zeitplan der Bundestagssitzungen häufig zu kleineren Änderungen. Daher wird all denjenigen, die die Debatte live im Parlamentsfernsehen im Internet verfolgen wollen, empfohlen, wegen der genauen Zeiten, immer mal wieder auf den aktuellen Tagesordnungsverlauf zu schauen. Derzeit ist 17:20 bis 18:05 Uhr als Debattenzeit vorgesehen.
Link zur aktuellen Tagesordnung und den entsprechenden Zeiten
Bei der geplanten „Triage-Regelung“ im Infektionsschutzgesetz darf das Verbot der Ex-Post-Triage nach Ansicht des Runden Tischs Triage keinesfalls aufgeweicht werden. Vielmehr sei es durch konkrete Strafandrohungen zu erhärten. Bei der Ex-Post-Triage wird eine begonnene Behandlung zugunsten einer anderen Person mit vermeintlich besseren Erfolgsaussichten abgebrochen, obwohl der nun zum Sterben verurteilte Mensch ohne Therapieabbruch möglicherweise noch eine Überlebenschance gehabt hätte. Vorschläge zur Strafbarkeit der Ex-Post-Triage im derzeit diskutierten Infektionsschutzgesetz enthalten die neuen erweiterten Gesetzesformulierungen des Runden Tisch Triage: „Wir positionieren uns damit gegen das Votum des Bundesrats, der eine Überprüfung des Verbots der Ex-Post-Triage angemahnt hat“, erläutert Dr. Sigrid Arnade, Mitinitiatorin des Runden Tisch Triage im Vorfeld der heutigen Bundestagsdebatte.
„Anscheinend hat der Bundesrat dem Drängen von Teilen der Ärzteschaft nachgegeben, die schon länger die Erlaubnis der Ex-Post-Triage mit garantierter Straffreiheit fordern“, mutmaßt Arnade. „Dass dadurch die Würde und das Lebensrecht der Betroffenen verletzt und die deutsche Verfassung mit Füßen getreten wird, nimmt man offensichtlich billigend in Kauf. Das ist beschämend!“ empört sich Arnade.
Selbst wenn die Ex-Post-Triage verboten bliebe, entspreche der heute debattierte Gesetzentwurf laut Arnade auch grundsätzlich in keiner Weise den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Dieses habe in einem Beschluss im Dezember 2021 festgestellt, dass ein Vergleich von Erfolgsaussichten zu Diskriminierungen führen könne. „Wieso soll das nun bei einem Vergleich von Überlebenswahrscheinlichkeiten, wie ihn der Gesetzentwurf vorsieht, anders sein? Es ist diskriminierend, wenn nur den vermeintlich Stärkeren bei knappen Ressourcen eine Überlebenschance gegeben wird“, kritisiert Arnade. „Die bislang verfassungsrechtlich gültige Lebenswertindifferenz wird mit diesem Gesetz in seiner jetzigen Form ausgehebelt. Lebenswertindifferenz bedeutet, dass kein Leben mehr wert ist als ein anderes. Beispielsweise ist das Leben eines jungen oder nicht behinderten Menschen nicht mehr wert als das einer alten oder behinderten Person. Die gesamtgesellschaftlichen Folgen der zugrundeliegenden Logik, dass die Schwächeren für die Stärkeren geopfert werden, mag ich mir gar nicht ausmalen“, so Arnade.
Link zu den Formulierungsvorschlägen des Runden Tischs Triage: http://www.nw3.de/attachments/article/419/221011_RTT-Triage-Gesetzesvorschl%C3%A4ge.pdf
Der „Runde Tisch Triage“ (www.runder-tisch-triage.de) ist ein Zusammenschluss der LIGA Selbstvertretung (http://liga-selbstvertretung.de), der Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP) (www.cbp.caritas.de) sowie des Forums behinderter Juristinnen und Juristen (FbJJ) (http://fbjj.de).
Link zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, der die Grundlage der Debatte bietet