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Positionen zur gerechten Entlohnung und Inklusion behinderter Menschen

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Berlin (kobinet) "Alle Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung sollen ihren Arbeitsort frei wählen dürfen. Und alle sollen mit einem ausreichenden Lohn ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können.“ Dies fordert Ulla Schmidt, die Bundesvorsitzende der Lebenshilfe. Welche Schritte auf dem Weg zu einem inklusiven Arbeitsmarkt notwendig sind, hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe nun in einem Positionspapier aufgeschrieben.

Die gleichberechtigte Teilhabe am Arbeitsleben ist in der von Deutschland im Jahr 2009 ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention fest verankert. Doch bis heute ist dieses Ziel nicht erreicht. Das gilt auch für die Entlohnung in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung steht dazu: „Wir werden das Beteiligungsvorhaben zur Entwicklung eines transparenten, nachhaltigen und zukunftsfähigen Entgeltsystems in den WfbM und deren Perspektiven auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt fortsetzen und die Erkenntnisse umsetzen.“ Die alte Bundesregierung hatte eine Studie in Auftrag gegeben, deren Abschlussbericht für Ende 2022 angekündigt ist. Daher erwartet die Lebenshilfe ab 2023 eine umfassende Reform der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, heißt es in einer aktuellen Presseinformation der Bundesvereinigung Lebenshilfe.

Mit ihrem Positionspapier legt die Bundesvereinigung Lebenshilfe nun neun zentrale Forderungen vor, die die kobinet-nachrichten im folgenden dokumentieren:

1. Personenzentrierung

Für Menschen mit Behinderung darf es keinen Unterschied machen, welchen Ort sie für die Leistungserbringung wählen. Sie sollen frei darin sein, ihre Teilhabeleistungen nach ihrem jeweiligen Bedarf und ihren eigenen Wünschen auch in inklusiven Settings und unabhängig von der Beschäftigung in einer WfbM zu erhalten.

2. Arbeitsrechte

Auf einem inklusiven Arbeitsmarkt müssen arbeitende Menschen die gleichen Rechte und Pflichten haben, auch wenn sie Leistungen zur Teilhabe an Arbeit beziehen, Unterstützung brauchen, weniger leistungsfähig sind als andere oder in WfbM beschäftigt sind.

3. Anspruch auf einen Arbeitsplatz

Menschen, die auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben angewiesen sind, sollen auch in Zukunft ihren Anspruch auf einen solchen Arbeitsplatz behalten. Wenn sie nicht selbst einen Arbeitsplatz finden, haben wohnortnahe WfbM oder andere Anbieter ihnen einen Arbeitsplatz anzubieten.

4. Kein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeit

Auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf müssen Zugang zu Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben.

5. Die Kompetenz von Werkstätten nutzen

WfbM erfüllen wichtige Funktionen, wie das Bereitstellen von Arbeitsplätzen, die Unterstützung bei der Arbeit, berufliche Rehabilitation, Bildung und soziale Teilhabe. Alle fünf Funktionen sollen in einer personenzentrierten, flexiblen und inklusiven Struktur erhalten bleiben und sollen durch WfbM als Kompetenzzentren bereitgestellt werden.

6. Bildung und Ausbildung stärken

Berufsorientierung, arbeitsplatzbezogene berufliche Bildung sowie berufliche Fort- und Weiterbildung sind wichtige Voraussetzungen für selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben.

7. Mehr inklusive Arbeitsplätze

Der allgemeine Arbeitsmarkt in Deutschland ist nicht inklusiv. Die Zahl an inklusiven, barrierefreien Arbeitsplätzen in allen Unternehmen muss ausgebaut werden. Hierfür braucht es dringend weitere Maßnahmen. Dazu gehören auch erweiterte und strengere Regelungen bei der Ausgleichsabgabe.

8. Unabhängigkeit von Grundsicherungsleistungen

Knapp ein Drittel der Beschäftigten in WfbM sind heute auf ergänzende Grundsicherung angewiesen. Ein neues Entgeltsystem muss so ausgestaltet sein, dass es Menschen mit Behinderung unabhängig von existenzsichernden Leistungen macht.

9. Finanzielle Sicherheit auch im Alter

Menschen mit Behinderung sollen auch im Alter unabhängig von existenzsichernden Leistungen leben können. Eine angemessene Alterssicherung ist unverzichtbar.

Die neun Forderungen werden in dem 19-seitigen Positionspapier ausführlich und auch in Leichter Sprache erläutert. Dabei macht die Lebenshilfe deutlich, dass die beiden zentralen Ziele – langfristige Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes und eine gerechte Entlohnung für Menschen mit Behinderung – unbedingt gemeinsam angegangen werden müssen. Das Positionspapier steht im Internet unter folgendem Link zum Download zur Verfügung.

https://www.lebenshilfe.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Wissen/public/Positionspapiere/BVLH_Positionspapier_Teilhabe_an_Arbeit_09.2022_.pdf

Der Deutsche Bundestag hat in einem Entschließungsantrag der letzten Legislaturperiode die Bundesregierung aufgefordert, einen genaueren Blick auf die Entlohnung der behinderten Beschäftigten in Werkstätten für behinderte Menschen zu werfen. Mittlerweile biegt das hierzu vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales beauftragte Forschungsvorhaben in die Zielgerade ein. Dies war Grund genug für die Virtuelle Denkwerkstatt (VDW) und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL), die mit Vertretern in der Steuerungsgruppe für dieses Forschungsprojekt mitwirken, eigene Vorschläge zur Verbesserung der Entlohnung und Inklusion behinderter Menschen, die in Werkstätten für behinderte Menschen arbeiten, zu machen.

Am 10. September haben die Virtuelle Denkwerkstatt (VDW) und die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) folgende Vorschläge unterbreitet:

Link zu den Vorschlägen

In Ergänzung hierzu hat die Virtuelle Denkwerkstatt (VDW) eine ausführliche 28seitige Darstellung über ihre Vorschläge und vor allem über die Entwicklung der Entlohnung behinderter Menschen in der „Werkstatt“ für behinderte Menschen veröffentlicht.

Link zum ausführlichen Hintergrundpapier der VDW zur Entwicklung der „Werkstatt“-Entlohnung