
Foto: Laura Mench
Berlin (kobinet) Die Ausgestaltung der Regelungen für die Umsetzung des GKV-Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz - IPReG bereitet vielen Betroffenen große Sorgen. "Schon allein, dass offiziell am 1. Januar 2023 nur noch bestimmte Fachärzt*innen die außerklinische Intensivpflege verordnen dürfen und aber bis heute nicht klar ist, wer diese Ärzt*innen sind, welche Qualifikation sie haben müssen und wo ich diese finde, zeigt doch, dass das System ein Problem hat", betont beispielsweise Laura Mench. Und für Amelie Cartolano ist klar, dass sie nicht vom Abitur ins Pflegeheim will. kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul sprach mit den beiden über ihre Ängste und Erfahrungen mit den derzeitig geplanten Regelungen zur Intensivpflege.
kobinet-nachrichten: Amelie, wir haben uns am 18.08.2019 im Bundesgesundheitsministerium bei den spontanen Protesten anlässlich der Veröffentlichung des Gesetzentwurfes für ein Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz– kurz RISG – kennengelernt. Du hast dich damals auf deinen 13. Geburtstag gefreut und warst ganz frisch am Gymnasium. Du und deine Familie waren damals angesichts des Gesetzesentwurfes vollkommen schockiert und auf eurem Plakat stand: „Vom Abitur ins Pflegeheim?“ Wie siehst du das heute, nachdem aus dem RISG zum GKV- Intensivpflege-und Rehabilitationsstärkungsgesetz – IPReG umbenannt wurde und gerade im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und den Bundesrahmenvereinbarungen ausgestaltet wird?
Amelie Cartolano: Jetzt bin ich gerade 16 geworden und verstehe leider vieles besser. Ich will kein schlechtes Gewissen haben, weil ich seit meinem 4. Lebensjahr eine Beatmung brauche und diese Versorgung sehr teuer ist. Ganz ehrlich, wenn mich eine gute Fee fragen würde, ob ich lieber den Rollstuhl oder die Beatmung loswerden möchte, würde ich definitiv den Rollstuhl abgeben, weil mich fehlende Barrierefreiheit viel mehr einschränkt, als meine Beatmung, die wie ein Körperteil von mir ist.
kobinet-nachrichten: Laura, auch du hast die Entwicklung vom damaligen RISG bis zum heitigen IPReG als Selbstbetroffene und Aktivistin miterlebt und kennst dich mit der Thematik gut aus. Wie bewertest du das IPReG zum heutigen Tage? Gibt es etwas, was du als gut einschätzt?
Laura Mench: Im Grunde ist der Gedanke, einen Rechtsanspruch auf die außerklinische Intensivpflege zu verankern ja kein schlechter. Das Problem ist bei dem besagten Gesetz nur, dass ein Rechtsanspruch nur so gut ist, wie seine Umsetzbarkeit und diese Umsetzbarkeit, so wie der aktuelle Sachstand, der ja noch nicht final ist, das vorsieht, ist nicht gegeben. Schon allein, dass offiziell am 1. Januar 2023 nur noch bestimmte Fachärzt*innen die außerklinische Intensivpflege verordnen dürfen und aber bis heute nicht klar ist, wer diese Ärzt*innen sind, welche Qualifikation sie haben müssen und wo ich diese finde, zeigt doch, dass das System ein Problem hat.
kobinet-nachrichten: Inwiefern wird dich das Gesetz betreffen, Laura? Merkst du jetzt schon, dass sich etwas verändert? Welche Gedanken machst du dir für die Zukunft?
Laura Mench: Das Gesetz wird mich insofern betreffen, als dass ich natürlich auch die Verordnung für die außerklinische Intensivpflege nutzen müsste, aufgrund der Beatmung. Wenn ich nicht weiß, wer das verordnen kann, kann ich die Verordnung nicht holen, was im Endeffekt dazu führen würde, sollte es über die Verordnung für häusliche Krankenpflege nicht mehr gehen, dass ich keine Verordnung habe und meine Versorgung durch das persönliche Budget nicht weiterlaufen kann, bzw. keine Versorgung bestehen kann, weil ich ja keine Verordnung habe… Frei nach dem Prinzip „keine Verordnung, kein Geld!“.
Des Weiteren kann tatsächlich meine Hausarztpraxis seit einer Weile die Verordnung für häusliche Krankenpflege immer nur quartalsweise verlängern und die letzte läuft pünktlich zum Jahreswechsel aus. Ich bin gespannt.
kobinet-nachrichten: Amelie, was wünschst du dir für die Zukunft?
Amelie Cartolano: Ich will mich aufs Erwachsenwerden freuen können und auf mein Leben mit einem interessanten Beruf und hoffe, dass ich gesund bleibe. Im Mai habe ich mein erstes Praktikum in einer Beratungsstelle der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB) absolviert zur Berufsorientierung in der Schule. Dort arbeiten coole Frauen, die auch mit Permobil und Beatmung unterwegs sind – wie ich. Das sind meine Vorbilder. Wir werden zusammen weiter kämpfen, so dass wir wegen der Intensivpflege nicht von Leuten behindert werden, die nur sehen, was das kostet und uns am liebsten in Beatmungsheime verfrachten möchten. Durch das Praktikum denke ich jetzt, dass ich eine sehr gute berufliche Zukunftsperspektive habe, wenn ich das Passende studiere. Das darf mir keiner verbauen! Klar brauche ich Sicherheit und Geräte, die immer funktionieren, aber ich will nicht, dass sich immer alles nur um meine Behinderung dreht. Nur an Sicherheit zu denken, macht kein Mensch. Ich möchte auch ein gutes und aufregendes Leben.
kobinet-nachrichten: Gab es bei dir schon konkrete Situationen, in denen du gemerkt hast, dass dich die Auswirkungen des Gesetzes betreffen?
Amelie Cartolano: Zum Glück ist meine Versorgung noch sehr sicher. Es gab aber auch schon die Situation, dass unser Pflegedienstchef über dem Dienstplan verzweifelt. Dann habe ich Angst, dass er alles hinschmeißen könnte, wenn jetzt bald alles noch komplizierter wird. Seit meiner Geburt wohnen wir in derselben Wohnung, die nicht barrierefrei ist. Zu fünft finden wir keine Wohnung ohne Barrieren und für uns passt es auch so. Es sollte keiner kommen und uns sagen, dass es nicht in Ordnung ist, wie wir wohnen.
kobinet-nachrichten: Laura, du bist nicht nur als Selbstbetroffene mit der Thematik in Berührung, sondern du arbeitest ja auch als Peer Counselorin, also berätst andere behinderte Menschen zu Fragen der Teilhabe. Ist hier das IPReG schon Thema im Beratungsalltag?
Laura Mench: Ja, in meinen Beratungen ist das tatsächlich oft ein Thema, vor allem wenn es um persönliche Assistenz oder Pflege bei Beatmung oder sonstiger Intensivpflege-Indikation geht. Es ist ganz selten, dass die Ratsuchenden nicht zumindest am Rande schon etwas mitbekommen haben und dann doch mal nachfragen. Ich merke, dass das gerade bei jungen Menschen, die auf Beatmung angewiesen sind und zum Beispiel mitten im Studium stecken und eigentlich erst richtig mit dem Leben anfangen möchten, große Unsicherheiten auslöst. Zumal ich in der Zwickmühle stecke, dass ich gerne allen sagen möchte, dass sie sich keine Sorgen machen sollen, irgendwie wird es schon gehen. Das Problem ist, das kann ich nicht, denn ich habe keine Grundlage dafür. Ich kann aktuell nicht sagen, welche Knöpfe wir ab 2023 (oder jetzt schon vorbereitend) drücken müssen/können, damit wir schnell, gemeinsam mit den Ratsuchenden die Grundlage für ein gutes, persönliches Budget schaffen können, welches die selbstbestimmte Versorgung zu Hause, an der Uni oder bei der Arbeit reibungslos gewährleistet. In der Tat kenne ich Zielvereinbarungen, die immens hohe Qualitätsanforderungen festschreiben, was dem eigentlichen Gedanken der Persönlichen Assistenz, nämlich die volle Verantwortungsübernahme und Selbstbestimmung durch die behinderte Person selbst, total entgegen stehen. Das ist eine erschreckende Entwicklung.
kobinet-nachrichten: Bei den Bundesrahmenempfehlungen, die gerade ohne Öffentlichkeit verhandelt werden, geht es um die Qualifikation der Fachkräfte und um bauliche und strukturelle Qualitätsvorgaben. Amelie, wüsstest Du gerne, was dort besprochen wird?
Amelie Cartolano: Es sollte vor allem darüber gesprochen werden, wie alle Menschen mit Beatmung dort versorgt werden können, wo sie leben wollen. Wenn Pflegedienste jetzt wegen zu komplizierter Bestimmungen hinschmeißen, gibt es für viele Beatmete gar keine Lebensqualität mehr.
Leider kenne ich Kinder, die gar keinen Pflegedienst finden. Die Kinder können dann nicht nach Hause und leben im Hospiz. Als Kind nicht bei seiner Familie leben zu können, weil man viel Unterstützung durch andere braucht, finde ich krass. Oder die Kinder können nicht in die Schule, weil man wegen der Maschinen immer von Pflegekräften begleitet werden muss. Die Eltern müssen dann mitgehen, damit das Kind in einer Klasse lernen kann. Wir kennen einige Eltern, die dafür ihren Beruf aufgeben und die Intensivpflege, die vom Arzt verordnet wurde, selbst leisten müssen. Für die Kinder, Eltern und Geschwister ist das furchtbar, weil alle zu kurz kommen.
kobinet-nachrichten: Worüber machst du dir Sorgen?
Amelie Cartolano: Am meisten Sorgen mache ich mir um die anderen beatmeten Kinder, die ich kenne. Kinder-Intensivpflegedienste sind jetzt schon knapp und haben keine Leute. Wenn die Anforderungen immer strenger werden, geht nichts mehr.
kobinet-nachrichten: Amelie, du beendest vermutlich bald deine Schulzeit: Wie möchtest du leben, wenn du die Schule beendet hast?
Amelie Cartolano: Wenn ich mit der Schule fertig bin, möchte ich auch keine Einschränkungen, wo ich mich aufhalte oder was ich mit meinem Leben anfangen will oder wo ich später wohnen möchte. Ganz schlimm wäre, wenn ich nach dem Abi nur rumhängen könnte, weil irgendwas für irgendwen mit der Intensivpflege nicht passt. Ich bin nicht nur „Intensivpflege“!
Ich will dann, wie meine Geschwister, vielleicht in eine coole Studenten-WG ziehen, vielleicht mit Leuten, die auch Assistenz oder Überwachung benötigen und was ich dann nicht brauche, ist, dass mir vorgeschrieben wird, wie meine WG aussehen muss.
kobinet-nachrichten: Was wünscht ihr beiden euch von der Politik?
Laura Mench: Ich glaube, das wichtigste was wir fordern können, ist Klarheit. Klarheit darüber, wer außerklinische Intensivpflege verordnen kann. Klarheit darüber, welche Grundlagen dazu bestehen und vor allem Klarheit darüber, wie selbstbestimmtes Leben mit Beatmung oder sonstigem Intensivpflegebedarf weiterhin möglich ist.
Amelie Cartolano: Ich wünsche mir, dass die Politiker*innen, die uns damals vor dem Brandenburger Tor versprochen haben, dass wir weiter selbst bestimmen können, wo und wie wir leben, ihre Versprechen halten. Viele wichtige Regelungen, die jetzt zur Intensivpflege beschlossen werden, bekommt leider keiner mehr mit.