
Foto: Siegurd Seifert / inclusio tv
BERLIN (kobinet) Am 10. September war der Vorsitzende des ABiD-Instituts Behinderung & Partizipation (IB&P) im Alter von 71 Jahren verstorben. Das ist ein sehr schmerzlicher Verlust. Die Mitglieder des ABiD-Institutes trauern gemeinsam mit seiner Mutter, seinen Söhnen, seinen drei Enkeln und zahlreichen weiteren Familienangehörigen sowie mit vielen Freundinnen und Freunden, vor allem aus der nationalen und internationalen Behindertenbewegung, aus der Politik und der Partei DIE LINKE um ihn.
Nach einem Badeunfall war Ilja Seifert im Halswirbelbereich querschnittsgelähmt. Im Anschluss an sein Germanistik-Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin, das er im Jahr 1974 als Diplom-Germanist abschloss und seiner Promotion zum Dr. phil. an der Akademie der Wissenschaften der DDR war er in der Kulturarbeit tätig.
In der Wendezeit gehörte Ilja Seifert zu den Begründern des Berliner Behindertenverbandes und des Behindertenverbandes der DDR, der nach dem 3. Oktober 1990 als Allgemeiner Behindertenverband in Deutschland „Für Selbstbestimmung und Würde“ e.V. (ABiD) weiter arbeitete.
Ilja Seifert vertrat den ABiD lange Zeit im Deutschen Behindertenrat (DBR) und war vom DBR ins Europäische Behindertenforum (EDF) entsandt worden. Zahlreiche öffentliche Protestaktionen von Menschen mit Behinderungen sind mit seinem Namen verbunden, so, zum Beispiel die Demonstrationen am 5. Mai in Berlin zu dem seit 1992 stattfindenden Europäischen Protesttag für die Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Auf Initiative von Ilja Seifert gründete sich am 5. April 2018 an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin das ABiD-Institut Behinderung & Partizipation (IB&P), zu dessen Vorsitzenden er gewählt wurde. Sein Ziel war es, mit dem IB&P die Selbstvertretungs- und Selbsthilfefunktionen des ABiD durch praxisbasierte wissenschaftliche Analysen auf eine fundierte Grundlage zu stellen, sie zu erweitern und wirksamer zu gestalten. Das IB&P betrachtet sich als Teil der Disability Studies Community in Deutschland. Seine Spezifik besteht darin, getreu dem Motto „Nichts über uns ohne uns!“ aus der Betroffenenperspektive zu agieren. Davon zeugen die unter Federführung von Ilja Seifert erarbeitete Machbarkeitsstudie für die Tätigkeit eines solchen Instituts, die ABiD-Studie „Alt werden mit Behinderung – Mittendrin ein Leben lang“ sowie seine Mitwirkung an der 2021 fertiggestellten Ausstellung „überZEUGEN: Geschichten von Menschen mit Behinderungen aus Deutschland und der Ukraine“.
An der Spitze des ABiD und des IB&P engagierte sich Ilja Seifert über 15 Jahre lang für die Kooperation mit Behindertenorganisationen in den zwölf Nachfolge-Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Entstanden ist eine in Deutschland einmalige internationale Zusammenarbeit mit zahlreichen Veranstaltungen und Projekten, bei denen der Erfahrungsaustausch zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention im Mittelpunkt steht. Dabei war Ilja Seifert auch Brückenbauer zwischen den Behindertenorganisationen in Osteuropa sowie Zentralasien und der Europäischen Union.
Ilja Seifert wurde am 19. März 1990 über die Liste der PDS Berlin in die Volkskammer der DDR gewählt. Als einer von 144 Volkskammerabgeordneten wurde er am 3. Oktober, mit dem Tag der Deutschen Einheit, in den Bundestag kooptiert und war damit auch der erste im Rollstuhl sitzende Bundestagsabgeordnete im gesamtdeutschen Parlament. Für insgesamt vier weitere Wahlperioden wurde er als Abgeordneter der PDS beziehungsweise. der Partei DIE LINKE in den Bundestag gewählt. Dort war er behindertenpolitischer Sprecher seiner Fraktion und in verschiedenen Ausschüssen tätig.
Neben seinen Reden im Deutschen Bundestag sowie zahlreichen Gedichten und Essays hinterlässt Ilja Seifert zahlreiche Publikationen, welche die Geschichte der Behindertenbewegung in der DDR sowie im wiedervereinigten Deutschland als auch die Entwicklung zahlreicher behindertenpolitischer Themen nachzeichnen.
Aus Sicht des IB&P hat Ilja Seifert die Behindertenbewegung und die Behindertenpolitik in Deutschland in den vergangenen drei Jahrzehnten maßgeblich mit geprägt. Dieses Erbe will das IB&P bewahren und in seiner weiteren Tätigkeit nutzen. Das macht das ABiD-Institut auch mit dem umfangreicheren und detaillierteren Nachruf auf Dr. Ilja Seifert auf seiner Internet-Seite deutlich.
Die Beisetzung findet am 28. Oktober 2022 um 12.00 Uhr auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin, Chausseestraße 126, statt. Zur anschließenden Gedenkveranstaltung wird gesondert eingeladen. An Stelle von Blumen und Kränzen bittet Ilja um eine Spende an das ABiD-Institut Behinderung & Partizipation e.V. (IB&P), IBAN: DE13 1009 0000 2742 3610 07 bei der Berliner Volksbank.