Hannover (kobinet) Auf Einladung der niedersächsischen Sozialministerin Daniela Behrens fand am 6. September 2022 im Alten Rathaus in Hannover eine Veranstaltung mit und für Menschen statt, die als Kinder und Jugendliche in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe und Psychiatrie zwischen 1949 und 1975 Leid und Unrecht erfahren haben. Betroffene Menschen hatten dort Raum, über ihre Erlebnisse in den Einrichtungen sowie ihre Erfahrungen mit der Stiftung Anerkennung und Hilfe zu berichten. Vertreterinnen und Vertreter aus Landespolitik und Kirchen erkannten das erlittene Leid und Unrecht öffentlich an und bekannten sich zu ihrer Verantwortung.
„So etwas darf nie wieder möglich sein“, darin waren sich die niedersächsische Sozialministerin Daniela Behrens, Landesbischof Ralf Meister und Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ in Anbetracht der Schilderungen von Betroffenen zu Gewalt und Missbrauch einig. „Im Namen der Landesregierung Niedersachsen erkenne ich nicht nur das erlittene Leid und Unrecht an, ich möchte alle Betroffenen um Verzeihung bitten“, erklärte Ministerin Behrens gegenüber den geladenen Gästen.
Bischof Dr. Heiner Wilmer SCJ ergänzte für die Katholische Kirche: „Als Kirche übernehmen wir Verantwortung für das Unrecht, das Menschen in kirchlichen Einrichtungen der Behindertenhilfe oder in stationären psychiatrischen Einrichtungen der Kirche angetan worden ist. Wir müssen alles dafür tun, dass sich dies nicht wiederholt. Dabei helfen uns die wissenschaftlichen Erkenntnisse und insbesondere die Schilderungen der betroffenen Menschen. Oft gibt es keine Worte für das Leid, das Betroffene erfahren haben.“
Für die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers sagte Landesbischof Ralf Meister: „Wir sind beschämt über das Leid der Betroffenen, das auch in unseren Einrichtungen und in unserer Verantwortung geschehen ist. Ich bitte die Betroffenen um Entschuldigung und Verzeihung. Wir sehen es als unsere Pflicht an, hinzusehen, hinzuhören, aufzudecken, Verantwortung zu übernehmen und offenzulegen. Im Wahrnehmen und Anerkennen liegt die Voraussetzung zur Bewältigung.“
Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen der Presseinformation des niedersächsischen Sozialministeriums zufolge die Menschen, denen als Kinder und Jugendliche großer Schmerz zugefügt wurde und die lange Zeit keine öffentliche Anerkennung und Aufmerksamkeit für ihr Leid erfahren haben. In einer moderierten Gesprächsrunde erzählten vier betroffene Menschen über ihre persönlichen Erlebnisse und Schicksale. Marita Kirchhof war als achtjähriges Kind im ehemaligen Niedersächsischen Landeskrankenhaus in Wunstorf und berichtete über ihre schlimmen Erlebnisse. Sie wünscht sich für die Zukunft, dass „den Betroffenen von Leid und Unrecht besser bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Erlebnisse geholfen wird, auch die Krankenkassen mehr Verantwortung übernehmen und die Gesellschaft ihre Pflicht zum Schutz insbesondere von Kindern, behinderten und alten Menschen annimmt.“
Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet. Das Video (mit begleitender Gebärdensprache und Untertiteln) wird in Kürze auf der Internetseite des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung verfügbar sein: www.ms.niedersachsen.de/anerkennung
Was die Vertreter*innen der Kirchen und der Landesregierung genau tun wollen, dass sich ein solches Unrecht und Leid nie mehr wiederholt, das geht aus der Presseinformation des Sozialministeriums nicht hervor. Was mit den Menschen geschieht, die in Einrichtungen heutzutage immer noch Gewalt erleben müssen und oft ohne Alternative in der gleichen Einrichtung bleiben müssen, das geht auch nicht aus der Presseinformation hervor. Und was die Kirchen und die niedersächsische Landesregierung tun wollen, dass behinderte Menschen wie es die UN-Behindertenrechtskonvention schon seit über 12 Jahren vorsieht mitten in der Gemeinde statt in Sonderwelten leben, lernen und arbeiten können, auch das geht aus der Presseerklärung nicht hervor.
Hintergrund:
In stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe bzw. Psychiatrie kam es in der Vergangenheit zu Leid und Unrecht. Viele Menschen, die als Kinder oder Jugendliche dort lebten, leiden noch heute an den Folgen körperlicher und psychischer Gewalt, zum Beispiel ungerechtfertigter Zwangsmaßnahmen, Strafen, Demütigungen, an den Folgen sexualisierter Gewalt oder auch unter finanziellen Einbußen, weil sie in den Einrichtungen gearbeitet haben, ohne dass dafür in die Rentenkasse eingezahlt wurde.
Um diese Menschen zu unterstützen, haben der Bund, die Länder und die Kirchen die Stiftung „Anerkennung und Hilfe“ zum 1. Januar 2017 ins Leben gerufen. Betroffene Menschen konnten sich bis zum 30. Juni 2021 für den Erhalt von Anerkennungs- und Unterstützungsleistungen bei der Stiftung anmelden. In Niedersachsen ist die Stiftung über die vier Anlauf- und Beratungsstellen beim Niedersächsischen Landesamt für Soziales, Jugend und Familie zu erreichen. Bisher sind in diesen über 2.100 Beratungsgespräche, bei über 2.300 Anmeldungen, geführt worden. Die Laufzeit der Stiftung endet mit Ablauf des Jahres 2022.