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Berlin (kobinet) Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag hat den Bundeskanzler aufgefordert, zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine "Nationale Ukraine-Konferenz" einzuberufen. In der Öffentlickeit wird lebhaft über die Folgen des russischen Angriffskriegs und die Sanktionspolitik des Westens diskuktiert.
In einem Brief an Kanzler Olaf Scholz meint Marie-Agnes Strack-Zimmermann, es sei dringend notwendig, die Karten auf den Tisch zu legen und dabei zu klären, was Deutschland aktuell leiste und zu was Bundeswehr, Industrie und Politik in den kommenden Wochen noch in der Lage seien. Die FDP-Politikerin plädiert für ein Treffen, bei dem Vertreter aus Politik und dem Bundeskanzleramt, der Rüstungsindustrie, den Gewerkschaften und der Bundeswehr an einem Tisch sitzen und weitere Schritte abstimmen.
In einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung schrieb Heribert Prantl, die Spirale von Sanktionen beende den Krieg nicht. „Es gab und gibt im Westen ursprünglich die Erwartung oder jedenfalls die Hoffnung, dass die Sanktionen in Russland eine Stärkung der dortigen Opposition bewirken. Aber es ist das Gegenteil der Fall; sehr viele Menschen in Russland fühlen sich von den westlichen Sanktionsstaaten angegriffen und gedemütigt – und binden sich noch stärker an Putin als bisher“, so der prominente Publizist.
„Was tun? Noch mehr Sanktionen? Ich sehe nicht, dass die Spirale von Sanktionen und Gegensanktionen, ich sehe nicht, dass die Auflösung von Institutionen hier und dort, dass die gegenseitige Ausweisung der Diplomaten helfen könnte, den Krieg zu beenden oder wenigstens zu verkürzen“, sagt Prantl. „Irgendjemand wird die Gespräche, die zur Beendigung des Krieges führen, ja führen müssen. Irgendjemand wird dafür sorgen müssen, dass es dann friedlich weitergeht. Wer soll das tun, das frage ich mich, wer soll diese Gespräche vorbereiten, wenn alle Gesprächskanäle zugeschüttet sind? Ich glaube, dass wir, bei aller Verurteilung des Putin-Kriegs, herauskommen müssen aus der Sanktionsspirale.“
In der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung fragt Antje Vollmer: „Wo sind die Realos geblieben?“ Die wundersame Auferstehung der Daseinsberechtigung der Nato als Sinn und Zweck der Zeitenwende sieht die ehemalig Vizepräsidentin des Bundestages und Grünen-Politikerin als „Teil einer Strategie, die erneut die Welt mit dem schärfsten aller Schwerter, mit dem der Ideologie, zerteilt“.
„Wir, die wir fassungslos und oft hilflos einer Kriegskatastrophe mit Tausenden von Opfern zusehen, die im Verlauf immer deutlicher zu einem klassischen Stellvertreterkrieg zwischen Russland und dem Westen wird, werden aber stündlich ermahnt, nicht vom fahrenden Zug abzuspringen, uns nicht vom Kriegsherrn im Kreml aufspalten zu lassen – denn das Volk der Ukraine kämpfe schließlich für uns alle, für unsere Freiheit“, so Vollmer. „Sie sterben für Europa, sie haben verdient, den europäischen Traum mit uns zu leben“, zitiert sie die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, die sprachlich gern übergriffig werde.
„Wir werden gerade durch eine umfassende moralische Aufrüstung und Dauerbeschallung immer tiefer hineingezogen in die geopolitische Schlachtordnung, die in Zukunft offenbar ausgefochten werden soll: Freiheit gegen Tyrannei, Demokratie gegen Autokratie und Despotie, Gut gegen Böse, der Westen gegen Russland und China“, warnt die 79-jährige evangelische Theologin.
„Das inzwischen aus jedem Maß geratene Sanktionssystem, mit dem man das Einhalten der einmal selbst postulierten Regeln weltweit durchzusetzen versucht. Diese Form der politischen schwarzen Pädagogik kommt allmählich an die Grenzen ihrer Wirksamkeit – und genau das scheint ein Grund für die ständige Warnung zu sein, hier dürfe doch ja keiner aus der Reihe tanzen oder gar zu zweifeln beginnen“, sagt Vollmer. „Aber genau dieser Zweifel und eine öffentliche Debatte sind jetzt angebracht, um größeren Schaden von Europa abzuwenden.“