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Hubert Hüppe zu 200 Tage rot-grün-gelb: Viele Worte – keine Taten

Portraitfoto von Hubert Hüppe im dunklen Anzug, weißem Hemd und dunklem Binder
Pressefoto Hubert Hüppe
Foto: René Golz

Berlin (kobinet) "Außer Spesen nichts gewesen?" Dieser Frage ging kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul am 26. Juni anlässich der Marke von 200 Tagen rot-grün-gelber Regierungskoalition in seinem Kommentar für die kobinet-nachrichten zur Behindertenpolitik nach. Bei verschiedenen Akteur*innen nachgefragt, hat er nun auch ein Statement von Hubert Hüppe, dem Berichterstatter für Menschen mit Behinderungen der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zu seiner Einschätzung der ersten 200 Tage bekommen. "Viele Worte - keine Taten", so fasst Hubert Hüppe seine Einschätzung der bisherigen Regierungsarbeit von rot-grün-gelb zusammen.

„Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung hat bei Menschen mit Behinderungen viel Hoffnung auf eine inklusivere Gesellschaft geweckt. Ein Schwerpunkt des Vertrages lag auf der Teilhabe am Arbeitsleben im ersten Arbeitsmarkt. So sollen die Budgets für Arbeit und Ausbildung erweitert werden, und Werkstätten für behinderte Menschen sollen stärker für den ersten Arbeitsmarkt qualifizieren. Auch im Bereich der Barrierefreiheit will die neue Regierung vorankommen, und die politische Beteiligung von Menschen mit Behinderungen soll verbessert werden. Wirklich gute Vorsätze. Allerdings ist nach nun rund 200 Regierungstagen Ernüchterung eingekehrt. In keinem Bereich wurde bisher eine Regierungsinitiative gestartet. Der Bundesregierung sind offensichtlich andere Themen wesentlich wichtiger“, betonte Hubert Hüppe in seinem Statement für die kobinet-nachrichten.

Ausdruck davon sei die Gastrede von Bundesminister Hubertus Heil auf dem Jahresempfang des Beauftragten der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen Jürgen Dusel vom 21. Juni 2022 gewesen. „Bis auf die anstehende Reform der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe hat der Minister nichts Handfestes in Aussicht gestellt, um die Situation von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Allerdings hat die Ampelkoalition bisher noch kein Gesetz für Menschen mit Behinderungen erarbeitet, geschweige denn in den Bundestag eingebracht. Da, wo bisher in der neuen Legislatur Menschen mit Behinderungen betroffen waren, wurde die Ampelkoalition ihrem eigenen Anspruch nicht gerecht“, betont Hubert Hüppe.

„Nach dem klaren Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Triage vor über einem halben Jahr legten der Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und der Bundesjustizminister Marco Buschmann einen Referentenentwurf vor, der den Anliegen möglicherweise von einer Triage-Situation Betroffenen in keinerlei Hinsicht gerecht wird. Die Beteiligung von Betroffenen ist bei diesem Thema bisher höchst unzureichend. Dem Grundsatz ‚Nichts über uns ohne uns‘ wird diese Vorgehensweise nicht gerecht. ‚Mehr Fortschritt wagen‘ sieht anders aus“, erklärte Hubert Hüppe.

Für den Bereich Arbeit gäbe es nur die Ankündigung, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. „Bisher gibt es aber die Regelung, dass ein Betrieb statt Arbeitnehmer mit Behinderungen zu beschäftigen, auch Aufträge an Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) erteilen kann. Das entlastet ihn von der Pflicht, eine Ausgleichsabgabe zu zahlen. Bleibt diese Regelung bestehen, entsteht eher ein Konjunkturprogramm für WfbMs, als dass dadurch neue Arbeitsplätze für die Betroffenen entstehen. Vorhandene Instrumente zur Arbeitsmarktförderung für Schwerbehinderte bleiben aufgrund schleppender Umsetzung und grundsätzlicher Mängel wirkungslos. Das zeigt sich am Beispiel des ‚Budgets für Ausbildung‘, welches als Fördermittel vor zweieinhalb Jahren eingeführt wurde, um Menschen mit Behinderungen außerhalb einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen im ersten Arbeitsmarkt eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit ist dieses Budget bundesweit seit seiner Einführung unter der Verantwortung von Minister Hubertus Heil gerade einmal von 37 Personen in Anspruch genommen worden. Obwohl die Probleme auf der Hand liegen, bleibt das SPD-geführte Ministerium tatenlos. Statt Sonderwelten aufzubrechen, fordert der Behindertenbeauftragte der SPD-Fraktion, Takis Mehmet Ali, mehr Geld für Werkstätten für behinderte Menschen.“

In allen Lebensbereichen – in Kindertagesstätten, Schulen, der beruflichen Bildung, Arbeit, bei der Teilhabe an politischen Entscheidungen oder in der Freizeit – sind nach Ansicht von Hubert Hüppe auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft keine Fortschritte zu erkennen. „Eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag zum Thema Inklusion könnte – wenn sie nicht zum Alibi für Nichtstun dient – aus meiner Sicht Fortschritte bringen. Allerdings ist Voraussetzung für einen Erfolg, dass als Sachverständige tatsächlich auch nur Menschen mit Behinderungen und nicht Wohlfahrtsverbände oder Träger von Einrichtungen vertreten sind. Bündnis 90/Die Grünen und die FDP, so hört man, wären für die Einsetzung einer entsprechenden Enquete und hätten dafür auch genug Stimmen im Bundestag. Allerdings wehren sich offensichtlich die SPD und vor allem das Ministerium für Arbeit und Soziales.. Vielleicht auch aus Angst, endlich mehr für tatsächliche Inklusion zu tun“, teilte Hubert Hüppe mit.

Link zum Kommentar von kobinet-Redakteur Ottmar Miles-Paul zu 200 Tage rot-grün-gelber Regierungskoalition vom 26. Juni 2022

Link zum Statement von Jens Beeck vom 29. Juni 2022 zu 200 Tage rot-grün-gelb

Lesermeinungen

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5 Lesermeinungen
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Uwe N.
06.07.2022 12:33

Ansich ist das ja alles Richtig, was in diesem Artikel steht….. Das einzige, was mir ein wenig Bauchschmerzen macht:
Wir reden alle von „Inklusion“ und von der „Barrierefreiheit“ was ja auch wichtig und Richtig ist, keine Frage. Aber: man sollte im ersten Schritt erst mal klar Definieren, was das denn ist!!!
Sowohl Inklusion als wie auch vor allem Barrierefreiheit!
Grade wenn es um Barrierefreie Wohnungen geht, stelle ich immer wieder fest, das viele Wohnungen zwar „Rollstuhlfahrergerecht“ sind, aber bei weitem nicht Barrierefrei.
Barrierefrei ist eine Wohnung für mein dafürhalten erst, wenn Jeder Mensch mit Behinderung in dieser Barrierefreien Wohnung zurecht kommt und es keine barrieren hat. Bedeutet: Barrierefreie Wohnunge müssen zwingend Individuell gestaltet werden! Die Barrieren eines Blinden Menschen sind schließlich andere, als die eines Rollstuhlfahrers, oder eines Gehörlosen, oder eines kleinwüchsigen…….. Das ist endlos fortführbar!
Ich finde es ja gut, dass man sich müht und sich Gedanken macht….. Aber wenn die Begrifflichkeiten schon reine Auslegungssache sind, wird es eben auch schwer mit der umsetzung. Man darf auch nicht Voraussetzen, dass jeder der in der Politik ist, Automatisch weiß, was Menschen mit Behinderung WIRKLICH brauchen!! Hier braucht es klare Kommunikation!

Alexander Drewes
Antwort auf  Uwe N.
06.07.2022 22:10

Inklusion definiert sich als Legalnorm über die UN-BRK, was Barrierefreiheit bedeutet, lässt sich vollständig aus dem BGG erschließen.

Uwe N.
Antwort auf  Alexander Drewes
07.07.2022 09:45

Hallo Herr Drewes.
Theorie und Praxis…….. Von der Theorie bin ich da voll umfänglich bei ihnen!! Die Praxis jedoch sieht leider anders aus.

Alexander Drewes
Antwort auf  Uwe N.
08.07.2022 00:54

Ich fürchte, wir schreiben ein wenig aneinander vorbei.
Die Bauordnungen der Länder sehen mittlerweile die Notwendigkeit barrierefreien Bauens durchaus vor (vgl. z.B. § 54 Abs. 1 HBO für das Land Hessen; die Sätze 2 bis 4 dieses Absatzes umschreiben recht präzise, was im Einzelnen barrierefrei zu sein hat, die Ausgestaltung erfolgt dann nach der DIN bzw. der EN).
Der Haken liegt im unbestimmten Rechtsbegriff des § 54 Abs. 3 HBO als Regel-Ausnahme-Verhältnis, wenn dort von unverhältnismäßigem Mehraufwand die Rede ist, bei dessen Vorliegen auf die Regel verzichtet werden kann.
Ein unbestimmter Rechtsbegriff ist zwar richterlich vo nachprüfbar, er hat jedoch die unschöne Neigung, sich im Normalfall erst über Jahre hinweg juristisch zu konkretisieren. Da zudem dabei auf die örtlichen Gegebenheiten abzustellen ist, kann der unverhältnismäßige Mehraufwand z.B. aufgrund der topographischen Verhältnisse dann – wir bleiben in Hessen – in Frankfurt anders zu bemessen sein als im topographisch schwierigeren Kassel.
Sie sehen: Der Teufel steckt im Detail.

Uwe N.
Antwort auf  Alexander Drewes
08.07.2022 09:46

Nein, ich glaube wir reden nicht aneinander vorbei.
Fakt ist doch mal eines: Wenn von oben klar kommuniziert wird, dass alles Barrierefrei sein soll, aber nich klar definiert ist, was „Barrierefrei“ wirklich Bedeutet, ist der Begriff eine reine Auslegungssache. Schön dass es all diese Tollen Paragraphen gibt!! Sie sind wichtig und Absolut Notwendig! Aber ebenso wichtig jedoch leider nunmal nich Vorhanden, ist die Definition von den Begriffen….. Hier gibt man den Leuten viel zu viel Spielraum! Meiner Meinung nach, müssen die Betroffenen Menschen viel mehr mit im Boot sein, damit SIE sagen können, was als „Barrierefrei“ zu Bewerten ist!! Stichwort „Experten in eigener Sache“!. Ich bitte sie auch, das ganze Bitte nicht persönlich zu nehmen. Es geht mir keinesfalls darum irgendjemanden anzugreifen….. Dazu kenne ich sie zu wenig 😉 Mir geht es darum zu sagen, was ich tagtäglich von vielen Betroffenen selbst höre.
Kurz zur Erklärung: Ich bin als 1. Vorsitzender im Werkstattrat der Oberuerseler Werkstätten tätig und pflege einen (hoffentlich) guten Kontakt zu den Mitarbeitern. dadurch bekomme ich eben viele Dinge mit. Natürlich ist mir Bewusst, dass vieles nicht einfach umsetzbar ist oder eben nur unter erschwerten Bedingungen machbar ist, jedoch ändert das nichts an der tatsache, dass auch Behinderte menschen das recht haben ihre Meinung frei und Unverblümt sagen zu dürfen…… Wird nur Leider von viel zu wenigen Leuten Wahrgenommen und Akzeptiert! Auch hier nochmal: Kein Angriff…. Weder gegen sie noch an sonst Jemanden der das hier liest….. Von daher…..
Alles gut!!