Halle (kobinet) Der Kommentar von Ottmar Miles-Paul vom 22. Juni 2022 mit dem Titel "Wir sind anscheinend eh da und machen alles umsonst", der sich mit dem fehlenden Bewusstsein der angemessenen Vergütung der Leistungen behinderter Menschen in der Behindertenarbeit und -politik beschäftigt, hat einige Reaktionen ausgelöst. Unter anderem hat sich Jennifer Sonntag aus Halle gemeldet und auf einen Beitrag zum gleichen Thema verwiesen, den sie vor einiger Zeit veröffentlicht hatte. Die kobinet-nachrichten greifen diesen Beitrag gerne auf und veröffentlichen diesen.
Beitrag von Jennifer Sonntag
Behinderte Menschen: Expert*innen zweiter Klasse?
Wenn ich als Expertin für Veranstaltungen angefragt werde, sind mir Wertschätzung und Augenhöhe auf beiden Seiten wichtig. So freute ich mich über die Einladung als Podiumsteilnehmerin zu einer Teilhabekonferenz unter der Leitfrage: “Wie geht es weiter auf dem Weg zur Inklusion?“. Kostenvoranschläge für Honorare konnten eingereicht werden. Ich registrierte diesen Sinneswandel, denn bei uns Expert*innen mit Behinderungen erwarten Veranstaltende leider noch allzu häufig kostenlose Beteiligungen, auch wenn wir mit gleichen oder geeigneteren Qualifikationen antreten. So werden wir die Über-uns-ohne-uns-Kultur nie verlassen. Und auch diesmal hatte ich mich zu früh gefreut. Ich erhielt eine irritierte Antwort. Die Honorare seien nicht auf die Expert*innen in eigener Sache bezogen.
Geschätzte Veranstaltende: Inklusion und Teilhabe heißt auch, dass Expert*innen mit Behinderungen in Panels und an Podien nicht immer kostenlos sitzen können. An Ehrenämtern mangelt es vielen von uns nun wirklich nicht. Aber gerade bei solchen Konferenzen, bei denen es um unsere Kompetenzen und Belange geht, finde ich es ein wichtiges Zeichen, eben nicht wieder in der Ehrenamtsfalle zu landen. In jedem Fall sollte ein nicht honorierter Arbeitsaufwand für eine behinderte Person eine selbstbestimmte und keine strukturelle Entscheidung sein. Für mich ist immer die Frage interessant, ob ausschließlich von den behinderten Akteur*innen eine kostenlose Mitwirkung erwartet wird oder von allen.
Während entlohnte Menschen ohne Behinderungen bei solchen Konferenzen häufig über Schwerpunkte wie „Arbeit und Inklusion“ referieren, verhindern sie durch den Ausschluss honorierter und qualifizierter Expert*innen mit Behinderungen gelebte Inklusion. Mal wird es direkt, mal durch die Blume gesagt: Honorare gelten nicht für Expert*innen in eigener Sache. Ausgerechnet die, die permanentes Ehrenamt behinderter Expert*innen voraussetzen, sind erfahrungsgemäß dienstlich und nicht ehrenamtlich zugegen. Und natürlich habe ich befreundete Organisationen im Blick, die Selbsthilfe, die oft mit kleinen Summen hantieren muss und für die ich mehrere Tage in der Woche kostenlos arbeite. Aber es gibt geförderte Inklusion, oft an unseren Bedürfnissen vorbei, in die Taschen derer hinein, die unser Teilhaben an der Teilhabe dann doch eher behindern.
Ich schrieb im nächsten Schritt beteiligte Vortragende und Behindertenbeauftragte an, die in den Fachforen der Veranstaltung für Inklusion Gesicht zeigen sollten. Oft wissen nichtbehinderte Beteiligte an solchen Tagungen nicht, dass Menschen mit Behinderungen für Vorträge gar nicht erst angefragt werden. Diese Mitwirkenden führten daraufhin Rücksprache mit dem Veranstalter. Auf diese Impulse hin entschuldigte er sich bei mir. Ergebnis: ich wurde durch einen anderen behinderten Ehrenamtler ersetzt. Alle Experten in eigener Sache blieben also nach wie vor Ehrenamtler und nun gab es nicht mal mehr eine einzige Frau mit Behinderung in der Gesprächsrunde.
Aufgrund der Corona-Pandemie musste die Konferenz schließlich in den digitalen Raum verschoben werden. Gerade durch die digitalen Möglichkeiten hätte sich hier eine echte Chance für Inklusion ergeben. Fachvorträge zu ihren Themen können auch und insbesondere Menschen mit Behinderungen mitgestalten. Die Fachforen wurden jedoch wie gehabt auch online im großen Stil von nichtbehinderten Referierenden zu Inklusions- und Teilhabethemen besetzt. Behinderte Menschen wurden in einer Meinungsrubrik immerhin angehört, mit dem Zusatz, dass es sich hier eben ausschließlich um individuelle Meinungsäußerungen handele. Natürlich, für die Fakten waren die Nichtbetroffenen Referierenden zuständig.
Das Zusammenwirken behinderter und nichtbehinderter Akteur*innen finde ich durchaus bereichernd und angemessen, solange auch Referierende mit Behinderung zu ihren eigenen Themen in den Fachforen, nicht nur auf den „billigen“ Plätzen sitzen. Für mich stellt sich das immer ein bisschen wie ein Kongress zu Frauenbelangen dar, auf dem nur Männer sprechen. Einige Frauen dürften dann, denken wir das mal weiter, zu ihren eigenen Belangen zwar ihre Meinung sagen, als Fachleute auf Augenhöhe würden sie aber gar nicht erst angefragt. Stellen wir uns das mal bei anderen Diversitätsthemen vor. Das stößt bei den Betroffenengruppen selten auf Begeisterung.
Exemplarisch veröffentlichte ich meine Erfahrung in den sozialen Medien und erhielt viel Zuspruch von Mitbetroffenen. Ich hatte mit dem Thema in ein Wespennest gestochen. Ein Leser meldete jedoch rück, er verstünde diese Selbstdarstellung nicht und ginge davon aus, ich würde meine Seminare und Workshops aus Überzeugung machen. Er selbst sei auch blind und Ehrenamt gebe ihm Kraft. Und genau das möchte ich auch niemandem absprechen. Ich persönlich will mich jedoch nicht vergebens durch mein Studium und zahlreiche Qualifikationen gekämpft haben, die alles andere als barrierefrei waren, um dann von Luft und Liebe zu leben. Es muss dann vielleicht nicht immer das Ehrenamt sein, gerade bei großen Kongressen, bei denen offensichtlich ein Budget für Mitwirkende bereitsteht. Und es gibt wunderbare Beispiele für Veranstaltungen, bei denen ich meine Beiträge ganz selbstverständlich honoriert bekam, auch außerhalb der Inklusionsszene.
Meine Ehrenämter haben, vorsichtig gesagt, etwas Überhang. In manchen Kontexten möchte ich mich nicht als Maskottchen für verkleidete Teilhabe und undurchblutete Inklusion hergeben, während andere ihre Anwesenheit dienstlich verbuchen oder Honorare abrufen können. Dann ist das gerade bei Tagungen rund um Inklusion keine Inklusion. Ich möchte aber nicht für alle sprechen. Manche/r tritt gern ehrenamtlich auf, hat vielleicht einen sicheren Job und möchte gern etwas zurückgeben. Manche/r darf auch nichts hinzuverdienen oder möchte einfach keine komplizierten Abrechnungen. Aber uns immer kostenlos vorauszusetzen ohne nachzufragen ist übergriffig. Es gibt viele unter uns, die freiberuflich tätig sind und mit ihren Expertisen oder Qualifikationen auf hohem Niveau arbeiten. Unsere Tätigkeit bedeutet gute Vorbereitung, Mehraufwand und stetige Weiterbildung. Auch die Erstattung von Fahrtkosten, die auch nicht immer gegeben ist, honoriert nicht unsere eigentliche Arbeit. Um die Leitfrage der Teilhabekonferenz zu beantworten: So geht es jedenfalls nicht weiter auf dem Weg zur Inklusion!
Ergänzende Links zu Expert*innen in eigener Sache und Honorarstaffel:
Link zum Kommentar von Ottmar Miles-Paul vom 22. Juni 2022 in den kobinet-nachrichten
Leider erlebe ich auch bei Veranstaltungen zur digitalen Teilhabe/Barrierefreiheit, dass häufig keine behinderten Expert:Innen eingeladen werden. Ich erinnere mich da konkret an eine Veranstaltung von Microsoft, eine von der IAAP DACH oder auch eine von der German UPA. Behinderte Personen dürfen nur Betroffenen-Prosa abgeben, werden aber von der Szene nicht als Experten wahrgenommen. Siehe z.B. die Gruppe Barrierefrei informieren und kommunizieren (BIK), die den BITV-Test unter Ausschluss behinderter Expert:Innen entwickelt.