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Wir sind anscheinend eh da und machen alles umsonst

Ottmar Miles-Paul am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Ottmar Miles-Paul am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor in Berlin
Foto: Michael Gerr

Kassel (kobinet) Kurze Einladungsfristen zu Anhörungen, Anfragen zur Partizipation zum Nulltarif bzw. zu unakzeptablen Bedingungen oder ein völlig überzogener Aufwand für die Teilnahme an Veranstaltungen und Vorträgen. Das und vieles mehr nervt den Behindertenrechtler und Sprecher der LIGA Selbstvertretung, Ottmar Miles-Paul, schon seit langem. Nun musste er sich mal Luft verschaffen und stellt in seinem Kommentar klar, dass wir behinderte Menschen eben nicht immer eh da sind und schon gar nicht alles umsonst machen. Daraus ergibt sich für ihn auch so manche Absage für Anfragen, die schon sehr unkonkret daherkommen.

Kommentar von Ottmar Miles-Paul

Mittlerweile bekomme ich mehrmals in der Woche Anfragen für Vorträge, die Mitwirkung an Podiumsdiskussionen, Schulungen, Statements bei Online-Veranstaltungen, Einladungen zu Anhörungen oder für die Mitwirkung in Beiräten von Ministerien oder Projekten. Jemandem wie mir, der ständig nach mehr und einer guten Partizipation ruft, müsste dabei doch eigentlich das Herz aufgehen? Endlich werden die Richtigen gefragt, endlich dürfen wir unsere Anliegen einbringen und endlich werden wir vielleicht auch gehört. Wunderbar! Die ganze Sache hat nur einen Webfehler. Anscheinend denkt der Großteil dieser Einladenden, dass ich und viele andere behinderte Menschen, die sich bei solchen Veranstaltungen mit zum Teil sehr hohem Anspruch und entsprechendem Vorbereitungs- und Zeitaufwand einbringen, nichts anderes zu tun haben und das sehr gerne und selbstverständlich alles für lau machen. Denn sehr selten enthalten derartige Anfragen auch nur eine einzige Zeile zu den finanziellen Rahmenbedingungen. Und da reißt mir mittlerweile der Geduldsfaden.

Bei Projektentwicklungsprozessen wird zuweilen von denen gesprochen, „die eh da sind“, also von denjenigen, auf die man auch ohne Kosten zurückgreifen und die man einfach so mit einplanen kann. Dieses Prinzip scheint bei vielen Akteur*innen in der Behindertenarbeit und -politik anscheinend das leitende Prinzip zu sein. Irgendwie haben viele den Eindruck, dass wir behinderte Menschen da sitzen und nur darauf warten, von ihnen eingeladen zu werden, ohne dafür einen Heller oder Cent zu bekommen. Sie denken anscheinend, dass wir so reiche Selbstvertretungsorganisationen haben, die uns entweder für solche Anfragen frei stellen, bzw. nur dafür bezahlen, dass wir an allen möglichen Partizipationsprozessen kostenfrei teilnehmen können. Dem ist leider nicht so. Und wenn einige von uns Jobs in diesem Bereich haben, dann müssen wir meist sehr anspruchsvolle Projekte managen bzw. umsetzen, die meist nichts mit der konkreten Anfrage zu tun haben.

Wie wäre es sonst zu erklären, dass ständig bei mir und anderen Anfragen eingehen, in denen keine Zeile darüber zu lesen ist, wie die finanziellen Rahmenbedingungen sind. Es wird gefragt, ob man dies oder das zu einem bestimmten Zeitpunkt machen kann, ohne dass daraus ersichtlich wird, ob und welches Honorar dafür gezahlt wird, ob und wie Reisekosten erstattet werden und welcher Arbeitsaufwand überhaupt damit verbunden ist, also ob zum Beispiel ein Vortrag verschriftlicht werden muss, bzw. wieviele E-Mails man für eine einfache Veranstaltung zum Teil vorher und nachher lesen und schreiben muss.

Wenn man also – wie bei mir bisher oft der Fall – eine Veranstaltung oder ein Thema interessant findet und sich darauf einlässt, dass man eine entsprechende Anfrage erst einmal positiv beantwortet, muss man erst viele Fragen stellen, um heraus zu bekommen, wie die finanziellen Konditionen sind und dann zum Teil mühsam verhandeln. Das kostet nicht selten viel Zeit und nervt unheimlich, weil es zum Teil längere Zeit offen ist, ob überhaupt etwas bezahlt wird und es zum Teil dann so klingt, dass es toll ist, dass „selbstverständlich“ die Reisekosten übernommen werden. Von einem Honorar für den Arbeitsaufwand ist dabei dann meist immer noch keine Rede. Irgendwann fallen diese Verhandlungen dann vielleicht befriedigend aus, oft aber nicht, weil der damit verbundene Aufwand häufig nicht gesehen und vergütet wird. Wenn dann noch ein intensiver Austausch darüber stattfinden soll, wie ein Vortrag genau auszusehen hat und am Ende dann noch die Anfrage für die schriftliche Abfassung des Vortrags kommt, von der vorher keine Rede war, bleibt zumindest bei mir oft ein ziemlich fahler Nachgeschmack, ob des unterbezahlten Gesamtaufwandes. Nicht selten muss ich für eine solche Veranstaltung an die 30 bis 50 Mails zur Vor- und Nachbereitung austauschen bzw. noch Telefonate führen. Besonders ärgerlich finde ich, wenn die Rückmeldung kommt, dass in dem Projekt keine Honorare eingeplant sind, sprich die Kosten für die anvisierte Partizipation also anscheinend nicht eingeplant wurden bzw. gar nicht gesehen werden.

Für mich und andere bedeuten solche mühsamen Verhandlungen in der Regel, dass mich dies erst einmal viel unnötige Zeit und Kommunikation kostet, ich mir Urlaub nehmen muss, um an den Veranstaltungen teilnehmen zu können bzw. meine Wochenenden opfere, die Abrechnung des Honorars bzw. der Reisekosten zum Teil sehr aufwändig ist – also dass der Aufwand oftmals weit den Rahmen dessen übersteigt, was als Leistung bezahlt wird. Und wenn dann noch Einladungen für ehrenamtlich Wirkende zu Anhörungen von Ministerien wie zuletzt vom Bundesministerium für Gesundheit mit einer Vorlaufzeit unter 40 Stunden kommen, dann kann einem auch mal leicht der Kragen platzen. Besonders bereichernd sind übrigens auch Anfragen, bei denen man ein Angebot für einen Vortrag oder eine Moderation abgeben soll. Allein die Lektüre der Unterlagen zur Angebotsabgabe und deren Ausfüllen kostet oft schon mehr Zeit als die Vorbereitung des Vortrags.

Um nicht falsch verstanden zu werden. Es geht mir gar nicht darum, überhöhte Vergütungen zu bekommen und es gibt auch Organisationen und Projekte, für die ich gerne auch etwas kostenfrei mache. Zudem frißt das ehrenamtliche Engagement in den eigenen Organisationen oftmals schon viel zu viel Zeit. Hier geht es aber um Wertschätzung für gut gemachte Arbeit. Wenn ich einen Handwerker anrufe, dann ist mir klar, dass es hier um eine Leistung geht und ich frage nicht nur einfach so in den leeren Raum, ob der Klempner vielleicht mal Zeit hätte, bei mir einfach vorbei zu kommen. Die Sache hat einen Preis, der verhandelt wird – und das ist auch gut so!

Es ist also eine Frage des Grundverständnisses und der Wertschätzung – und daran mangelt es im Bereich der sogenannten Behindertenhilfe und -politik zum Teil erheblich. Massenweise werden beispielsweise Projekte gefördert, bei denen ständig von Partizipation getönt wird, so dass es einem schon fast wohl in den Ohren klingt. Wenn diese Partizipation aber für uns behinderte Menschen zum Nulltarif erfolgen soll, während die meist nichtbehinderten Beschäftigten gut dafür bezahlt werden, dann ist das alles andere als stimmig. Wenn wir behinderte Menschen darüber hinaus immer wieder angefragt werden, an Befragungen oder Umfragen mitzuwirken, dann ist das nett, aber auch hier wäre eine entsprechende Anerkennung angebracht – zumal zum Teil noch Einwilligungs- oder Datenschutzerklärungen ausgefüllt werden sollen, die man zum Teil ausdrucken, unterschreiben, wieder einscannen oder gar per Post verschicken muss. Wir bringen hier unsere Erfahrungen und unser Herzblut in solche Aktivitäten ein, ohne später meist zu erfahren, was eigentlich dabei herausgekommen ist. Auch Studierende glauben oft, dass wir nur dazu geboren sind, ihnen bei irgendwelchen Recherchen kostenfrei und selbstverständlich zu helfen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, dass dies für uns Aufwand bedeutet.

Deshalb ist es meines Erachtens an der Zeit, dass wir klar machen, dass wir eben „nicht eh da sind“ und dass wir ganz und gar nicht alles umsonst machen. Denn wir haben zum Teil einen erheblichen (Mehr)-Aufwand, auf dem wir nicht allein sitzen bleiben wollen. Auch wenn wir uns ehrenamtlich in unseren Organisationen engagieren, die meist keine hohen Mitgliedsbeiträge verlangen können, weil die Mitglieder schlichtweg wenig Geld haben, heißt das nicht, dass wir für gut finanzierte Angebote alles für lau machen, damit diese oft noch reicher und wir noch müder werden.

Ich und viele andere bringen uns gerne in Beiräten ein, ich wirke gerne an Veranstaltungen mit, die für mich und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Sinn machen, ich verändere gerne etwas zum Positiven und bringe mich auch in die Politik ein, aber nicht selbstverständlich für lau und ein bloßes Vergelts-Gott. Und ich freue mich auch über Anfragen, die die entsprechende Wertschätzung vermitteln und Lösungen für eine angemessene Vergütung oder Aufwandsentschädigung finden, was ich zum Glück auch immer wieder erlebe.

Wenn ich und andere also auf Anfragen ablehnend antworten, in denen nicht zu erkennen ist, welches Honorar für die angefragte Tätigkeit vorgesehen ist, was genau erwartet wird und wie die Erstattung der Reisekosten angedacht ist, dann könnte es daran liegen, dass wir eben nicht eh da sind und schon gar nicht für umsonst. Und vor allem, dass wir es leid sind, ständig deutlich machen zu müssen, dass auch unser Wirken etwas wert ist. Die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland (ISL) hat übrigens im Rahmen ihres Projektes vom Case zum Coach (CASCO) eine Honorarstaffel für die Vergütung von Referent*innen als Empfehlung entwickelt:

Link zur Honorarstaffel

Lesermeinungen

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3 Lesermeinungen
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Sonja Röder
29.06.2022 01:46

Lieber Ottmar, ich finde es gut, dass du dir endlich einmal Luft gemacht hast und deinen Argumentation ist nichts hinzuzufügen. Das ist auch der Grund, warum Joscha ausgestiegen ist. Nicht wegen für all den Arbeitsaufwand, sondern wegen der simplen Übernahme z.B von Fahrtkosten. Und: weil sie, nachdem man sich mit ihr dekoriert hatte, auch bei Ministerien und ähnlichem nicht einmal einer Rückmeldung für würdig hielt.
Ottmar, habe einfach dank für all deine Arbeit! Sonja

Alexander Drewes
22.06.2022 22:19

Man ist durchaus versucht zu schreiben: Es wurde aber ja auch endlich einmal Zeit!
Dankenswerterweise greift Ottmar Miles-Paul hier eine Problematik auf, an de sich die Problemschwerpunkte der „Behindertenselbsthilfe“ geradezu klassisch exemplifizieren lassen.
Ich nenne das, was Miles-Paul hier beschreibt, Marionettentheater.
Wie komme ich auf diesen Begriff?
Weite Teile der Behindertenbewegung bemühen sich seit über 20 Jahren, im politischen Prozess mitgestaltend ernst genommen zu werden.
Die Ergebnisse sind – höflich formuliert – überschaubar. Wenn man – und gerade dieses Gesetz hat gezeigt, wie kampagnenfähig die Behindertenbewegung ist – die Entstehung des BTHG ansieht, erstaunt bis heute die – man kann das kaum anders schreiben – Verächtlichkeit, mit der sowohl die damalige Sozialministerin Nahles als auch ihr Apparat den Beteiligungsprozess weitgehend haben im Sand verlaufen lassen.
Oder wie der vormalige Staatssekretär Thönnes auf einer Diskussionsveranstaltung nach Ratifizierung der UN-BRK vermeinte, der Behindertenbewegung ins Stammbuch schreiben zu müssen, gesetzgeberisch sei überhaupt nichts mehr zu bewerkstelligen, die Rechtslage in Deutschland decke die Vorgaben der UN-BRK doch bereits vollständig ab.
Es fehlt nicht nur an Wertschätzung, wie Miles-Paul plastisch darlegt, es herrscht ein Maß an Geringschätzung vor, dass einen vermeinen lässt, hier würde nicht Politik für mehr als ein Zehntel der Bevölkerung gemacht, sondern wir seien ein Nullum.
Ich stelle bei Vortragsveranstaltungen, zu denen ich als Referent geladen werde, auch regelmäßig fest, dass es ein grundständiges Erstaunen darüber gibt, dass man als schwerbeeinträchtigter Mensch in selbständiger Tätigkeit seinen Lebensunterhalt auch tatsächlich verdienen muss.
Nicht alleine, dass hier nach wie vor völlig paternalistische Vorstellungen greifen, es erweckt sich in der Darstellung, die Miles-Paul liefert, geradewegs der Eindruck, wir sollten doch dankbar sein, dass man uns dergestalt „wertschätzt“, uns überhaupt zu Veranstaltungen einzuladen (was in der Konsequenz dieser Vorstellung bedeutete, dass wir im Grunde noch Geld mitbringen sollten, um der Huld der Teilnahme überhaupt teilhaftig werden zu dürfen).
Zudem krankt die Behindertenbewegung nach wie vor daran, dass sie teilweise ein Zwitterwesen darstellt, wenn große Leistungserbringer ein fundamentales Interesse daran haben, dass sich an den – im Grunde genommen seit wenigstens 50 bis 60 Jahren – zementierten Zuständen gar nichts Wesentliches ändern möge. Dabei spielen in der Dualität von Agitation und tatsächlich gelebtem Anspruch auch die Sozialverbände eine durchaus zweischneidige Rolle.
Meine immer und immer wieder vorgebrachte These, dass die Behindertenbewegung solange „nichts reißen wird“, als sie es nicht schafft, einen politischen Machtfaktor darzustellen, an dem letztlich niemand mehr vorbeikommt, findet sich eben auch darin wieder, dass in einer Leistungsgesellschaft wie dieser eine Leistung nur dann anerkannt wird, wenn sie ein gewisses gesellschaftliches Prestige aufweist.
Man kann sich folglich Gedanken darüber machen, weshalb wir zwar einen Deutschen Behindertenrat haben (in dem sogar alle drei Säulen der Behindertenbewegung vertreten sind), derselbe aber nicht nur selbst bei beeinträchtigten Menschen weitgehend unbekannt ist, sondern in der (sozial- und behinderten-)politischen Debatte faktisch nicht wahrgenommen wird. Vielleicht liegt das ja daran, dass das wirtschaftliche und mithin das politische Interesse dieser drei Säulen letztlich völlig unvereinbar ist und man sich deshalb selbst dort regelmäßig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigt.
Ich für meinen Teil mache mir den Aufwand, den Miles-Paul hier beschreibt, regelmäßig schon gar nicht, zumindest nicht, ehe nicht die Honorarfrage geklärt ist. Das halte ich auch für selbstverständlich: Weshalb sollten wir hier wesentlich anders agieren, als es – ökonomisch betrachtet – jeder nicht beeinträchtigte Mensch tun würde, der als Selbständiger von derartigen Honoraren lebt? Wenn mir ein Gegenüber erstaunt dahingehend kommt, dass er oder (seltener) sie doch damit gerechnet haben würde, dass ich die Leistung unentgeltlich erbringe, pflege ich zu sagen: Umsonst ist der Tod, und selbst der kostet das Leben.

Konrad W.
22.06.2022 12:05

Ich bin sonst nicht so der aktive Kommentarschreiber, aber in diesem Fall musste ich mich einfach anmelden, damit ich ein goßes „Danke“ an sie weitergeben kann: Danke, Herr Miles-Paul, dass Sie derart treffend ein weiteres Dilemma der Behindertenrechtsbewegung benennen und über die teilweise vollkommen falschen Annahmen einiger Personen(gruppen) aufräumen, die denken, dass wir einfach nichts anderes zu tun haben und bitte auch noch dankbar sein dürfen, üerhaupt gefragt zu werden.
Sie sprechen mir aus der Seele!

…zumal ich von weiteren Paradoxien sprechen könnte: Behinderte in Grundsicherung (auch viele Werkstattbeschäftigte, Werkstatträte, usw.), die „Mehreinnahmen“ über Honorare nahezu vollständig an die Sozialämter weitergeben müssen. Da gibt es sehr unsensible Personen, die keine Vorstellung davon haben, dass Honorar nicht immer ein richtiges Honorar ist…